Köln kurz vor Abstieg:Ein chronischer Fall

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Er schoss gegen Freiburg öfter und gefährlicher als jeder seiner Mitspieler aufs Tor und verkörperte genau deshalb die Kölner Harmlosigkeit: Faride Alidou, als Ergänzung geholt, müsste jetzt Torjäger sein, der er nicht ist. (Foto: Wunderl/Beautiful Sports/Imago)

Dem 1. FC Köln gelingt auch gegen müde Freiburger kein Treffer. Das 0:0 drückt die personelle Not des Trainers und die Unzulänglichkeit des Kölner Kaders aus, der Klub muss sich auf die zweite Liga einstellen.

Von Philipp Selldorf, Köln

"Sehr großes Potenzial" hatte Sportchef Christian Keller dem neuen Angreifer Faride Alidou im vorigen Sommer attestiert, nachdem dieser seinen Vertrag beim 1. FC Köln unterschrieben hatte. Keller lobte Alidous "Geschwindigkeit, Tiefgang und das offensive Eins-gegen-eins", doch was er durch Nichterwähnen ausdrücklich nicht lobte, waren Torgefahr, Schusstechnik und Zielstrebigkeit. Und schon gar nicht hat er behauptet, der 22-Jährige gebürtige Hamburger sei ein abgezockter Profi mit hohem Bildungsstand in der Schule des Berufsfußballs. Es gebe da noch "Entwicklungsfelder", stellte Keller fachgerecht fest. Bloß das beachtliche Ausmaß der "Entwicklungsfelder" des von Eintracht Frankfurt inklusive Kaufoption geliehenen Stürmers hat er diskret unterschlagen.

Vom Stand der Dinge in Alidous Erziehung haben sich am Samstagabend die Anhänger des 1. FC Köln während der Partie gegen den SC Freiburg ein Bild machen können - besser gesagt: machen müssen, denn ein Vergnügen war das nicht für die FC-Fans und auch nicht für den Kölner Trainer Timo Schultz. Alidou kam 36-mal mit dem Ball in Berührung und schoss dreimal aufs Tor, öfter und gefährlicher als jeder seiner Mitspieler, doch gerade deshalb symbolisierte er wie kein Zweiter das chronische und erbarmungswürdig anzuschauende Sturmproblem des Teams. Der FC war zum Siegen verdammt, aber selbst gegen einen müden, mäßig ambitionierten und sportlich stagnierenden Sportclub reichte es bloß zum torlosen Remis, das die 50 000 Zuschauer im Stadion nach dem Abpfiff abrupt verstummen ließ. Bis dahin hatten die Leute das Team fast hysterisch unterstützt, nun legte sich bedrücktes Schweigen über das Haus. Der 1. FC Köln war dem Abstieg wieder ein Stück näher gerückt, und jeder wusste: Schon am nächsten Tag könnte sich das Schicksal vollziehen.

Ursprünglich sollte Alidou als Ergänzungsspieler ins Team wachsen, im Vordergrund der Angriffsabteilung standen Davie Selke, Mark Uth und Luca Waldschmidt, "Spieler mit zighundert Bundesligaspielen", wie Trainer Schultz jetzt betonte. Selke jedoch lief am Samstagabend an Krücken durchs Stadion, in seiner Saisonakte sind eine Zerrung, eine Fußverletzung und ein Mittelfußbruch verzeichnet. Er hat die halbe Saison gefehlt und ist mit sechs Treffern dennoch der beste Kölner Schütze. Uth verpasste das Freiburg-Spiel wegen eines Infekts, davor hatte er ein halbes Jahr wegen Kniebeschwerden passen müssen. Auch Waldschmidt war zwischenzeitlich mehr als drei Monate krankgeschrieben. "Wenn dir solche Spieler wegbrechen - das kriegst du im Kader nicht aufgefangen", erläuterte Schultz.

Der Trainer trug das Argument in einer Rede vor, die eine dreifache Verteidigungsrede war: in eigener Sache, weil er in 16 Liga-Spielen mit dem FC nur zwei Siege geschafft hat; in Anwaltschaft der Mannschaft, deren moralischen Zustand er über die Maßen lobte ("brutaler Charakter, unfassbarer Wille") und in Entlastung des Sportchefs Keller, der nicht nur für die Auswahl des Kaders verantwortlich ist, sondern - wenn er, wie vom Präsident versprochen, im Dienst bleiben darf - auch für die Auswahl des Trainers, der den 1. FC Köln in der zweiten Liga betreut. Schultz, dessen Vertrag im Abstiegsfall endet, würde gern bleiben, aber ob Keller ihn lässt?

Der Coach darf für sich in Anspruch nehmen, dass er Alidou aus der Versenkung des Kaders aufs Spielfeld geführt hat. Vorgänger Steffen Baumgart war an den taktischen Defiziten des Stürmers verzweifelt, der in Wahrheit noch sehr viel lernen muss, damit er die vier Millionen Euro wert ist, die in seiner Kaufoption vermerkt sind. Dass ihn Schultz zur Stammkraft befördert hat, drückt die personelle Not des Trainers und die Unzulänglichkeit des Kölner Kaders aus. "Wir haben 20 Torschüsse abgegeben, das muss einfach reichen, um mal ein Tor zu schießen. Aber das haben wir wieder nicht geschafft", referierte Schultz. Dabei hatte er im Laufe der Partie ein halbes Dutzend Offensivspieler ausprobiert. Richtig gefährlich wurde es lediglich ein einziges Mal, in der 71. Minute: Alidou brauchte aus kurzer Distanz nur noch Torwart Noah Atubolu zu überwinden - und schoss übereilt und unplatziert.

Die absehbare Angriffsschwäche der Kölner war schon vor der Saison ein viel diskutiertes Thema, doch Sportchef Keller setzte auf straffes Kostenmanagement im Kader und befand, der Bestand genüge vollauf. Das Ergebnis: Jetzt muss der Azubi Faride Alidou als Torjäger herhalten, der er nicht sein kann. Auch dies ist Ausdruck einer Saison, die vom Selbstbetrug und von der Hybris der Verantwortlichen geprägt wurde.

Ja, es seien auch ein paar Fehler gemacht worden, hatte der Präsident Werner Wolf beinahe gnädig eingeräumt, als er während der vorigen Woche in zwei Interviews vorläufig Bilanz zog und zu einem erstaunlichen Resultat kam. Die drei Geschäftsführer, seine beiden Präsidiumskollegen und sich selbst lobte er für hervorragende Arbeit und garantierte dafür allen Beteiligten das Bleiberecht - Abstieg hin oder her. "Der Kurs stimmt", findet Wolf. Dass die Kölner dieser Auffassung zustimmen, nachdem der FC in 32 Spielen bloß 24 Tore geschossen hat, das sollte der Präsident vielleicht besser nicht erwarten. Noch steht ein letztes Heimspiel aus. Kaum anzunehmen, dass sich alle Fans erneut damit begnügen, ihre Enttäuschung still zu ertragen.

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