Das neunte und bislang längste Spiel der Schach-WM 2023 endet remis. Damit steht es 5,0 zu 4,0 für Jan Nepomnjaschtschi, der noch zweieinhalb Punkte aus den verbleibenden fünf Spielen braucht, um Weltmeister zu werden. Nach dem gestrigen Eröffnungsleak strebte Ding Liren ein ruhiges und solides Spiel an, wofür er in der Spanischen Partie die solide Berliner Verteidigung wählte, die in manchen Varianten bis ins Endspiel hinein ausanalysiert ist. Der Chinese war etwas besser vorbereitet, brachte sich dann aber mit 17... Tb8 in die Bredouille. Für ein Bauern-Opfer hätte er vielversprechende Aktivität erhalten, geriet so aber durch einen Tempo-Verlust in die Defensive. Auch weil der Russe jedoch nicht bedingungslos auf Sieg spielte, konnte Ding Liren sich in einer zeitweise sehr giftigen Stellung verteidigen und in ein ausgeglichenes Endspiel entkommen. Jan Nepomnjaschtschi versuchte mit Mehrbauer zwar noch sein Glück und knetete die Stellung lange. Sein Kontrahent verteidigte sich jedoch präzise und ließ nichts mehr anbrennen. Jetzt folgt wieder ein Ruhetag, ehe es am Sonntag für den chinesischen Großmeister mit den weißen Figuren darum gehen wird, den Rückstand auszumerzen und auf Sieg zu spielen. Selbstverständlich sind wir dann hier im Liveticker ab 11:00 Uhr ebenfalls wieder dabei.

Jetzt kommen die Züge wieder schnell aufs Brett. Die Springer schlagen die gegnerischen f-Bauern und gleichzeitig mit dem Schach-Gebot bietet der russische Großmeister seinem Gegner jetzt das Remis an, das dieser annimmt. Das neunte Match der Schach-WM 2023 endet damit ohne Entscheidung. Tatsächlich zeigt sich jetzt auch, dass der Russe sich von dem Endspiel, das durchgehend auf Remis-Kurs war, mehr erhofft hat. Nepo schüttelt den Kopf und schaut verbissen drein.

Die f-Bauern sind festgelegt, die Springer decken passiv. Somit lavieren jetzt die Könige im Rückraum herum.

Jetzt also doch der Bauern-Vorstoß mit 76... f4. Ding Liren wirkt sehr sicher in dem, was er macht.

Während Jan Nepomnjaschtschi mit seinem König wieder über die linke Seite kommt, hat Ding Liren sogar die Chance, den f-Bauern weiter nach vorne zu schieben. Der chinesische Großmeister spielt die Partie aber weiterhin sehr ruhig runter und lässt sich auf keine überhasteten Züge mehr ein.

Während Jan Nepomnjaschtschi weiterhin keinen Weg findet, wirkt Ding Liren insgesamt sehr sicher. Der Chinese verteidigt sich präzise und scheint alles im Griff zu haben.

Jan Nepomnjaschtschi presst und presst an der Stellung, aber überall wo er seinen Hebel anzusetzen versucht, ist Ding Liren, der sofort entscheidend stört und den Weg versperrt.

Nepo versucht, irgendwie mit seinem König Fortschritte zu erzielen, aber die Wege sind versperrt. Immer wieder tanzt der Springer von Ding den gegnerischen König aus. So langsam aber sicher wäre es an der Zeit, das Remis zu akzeptieren.

Die Spieler lavieren ihre Figuren hin und her. Nepo versucht, irgendwie durchzukommen, während Ding sich dagegen stemmt.

Der russische Großmeister lässt weiterhin nicht locker und ist noch nicht bereit dazu, sich auf ein Remis einzulassen. Weiterhin ist aber nicht zu erkennen, wie er Fortschritte erzielen könnte. Immerhin kommen inzwischen die Züge wieder etwas flotter aufs Brett.

Die nächsten Züge kommen recht schnell aufs Brett, womit beide Spieler nun auch Zug 60 überschreiten. Damit bekommen sie weitere 15 Minuten Zeitgutschrift. Außerdem kommen nun pro ausgeführtem Zug weitere 30 Sekunden hinzu. Der Chinese hält dabei alles beisammen und manövriert die Partie weiter dem Remis entgegen. Noch gibt es aber keine konkreten Angebote zur Punkteteilung.

Ding Liren zieht nun selbst seinen Springer und droht, gegebenenfalls auf f2 zu nehmen, sollte Jan Nepomnjaschtschi nun auf f5 zugreifen. Der einzig sinnvolle Versuch dürfte wohl die Antwort f3 sein.

Ding Liren nimmt das Feld f6 mit seinem König ein, woraufhin Jan Nepomnjaschtschi den Springer nach d4 entwickelt. Das sieht nicht wirklich nach einem Fortschritt aus.

Nach über zwölf Minuten setzt Jan Nepomnjaschtschi mit einem Schach-Gebot fort. Das wirkt nicht wie der ambitionierteste Versuch, denn es ermöglicht dem Chinesen, mit dem König näher zu kommen. Auf f6 ist außerdem bei exakt zwei Feldern auf einer Geraden zwischen Springer und König ein weiteres Schach-Gebot ausgeschlossen.

Jan Nepomnjaschtschi schaut abermals über sechs Minuten in die Stellung und sucht nach dem Zug, der die unangenehmsten Fragen stellt und das größte Potenzial für seinen Gegner birgt, doch noch einmal einen Verlustzug zu spielen.

Jan Nepomnjaschtschi muss den h-Bauern natürlich schlagen, woraufhin Ding Liren sofort seinen König näher zum Geschehen überführt. Weiterhin ist die Stellung völlig ausgeglichen, obschon der Chinese der Spieler ist, der sich unter zunehmend schwindender Zeit verteidigen muss und bereits vor drei Tagen unter dem Druck der Uhr eingebrochen ist.

Nach einer Viertelstunde und mit nur noch 16 Minuten auf der Uhr, opfert Ding Liren nun seinen h-Bauern, um die Stellung etwas zu vereinfachen.

Ding Liren weiß, dass er sich keine Ungenauigkeiten leisten darf, weshalb er seine nächsten Schritte im Moment sicher nicht nur doppelt und dreifach durchrechnet, sondern eher vier- oder fünffach. Auch in seinen nächsten Zug steckt der 30-Jährige bereits mehr als zehn Minuten.

Der russische Großmeister aktiviert nun seinen König. Ding Liren könnte nun mit h3 eine weitere Vereinfachung anstreben und die Deckung der gegnerischen Bauern aufheben, die dann nach gxh3 deutlich an Kraft verlieren würden. Noch muss der Chinese allerdings ein paar präzise Züge finden. Jan Nepomnjaschtschi lässt ihn mit dem Remis nicht so einfach entkommen und lauert weiterhin darauf, dass Ding Liren eine Ungenauigkeit anbietet.

Ding Liren lässt sich nicht beirren und schlägt den gegnerischen h-Bauern. Das ist objektiv der richtige Zug, der den Ausgleich hält.

Nach über 20 Minuten hat Jan Nepomnjaschtschi seinen Plan scheinbar gefasst. Er setzt mit 54. h4 fort.

Abermals steckt Jan Nepomnjaschtschi über zehn Minuten in seine Berechnungen und sucht am Brett nach einem möglichen Gewinnweg, der allerdings ohne Zutun von Ding Liren nicht entstehen kann. Der Russe steht mit seinem Mehrbauern natürlich komfortabler, kann aber nicht durchbrechen, wenn der Chinese sich keinen Fehler mehr leistet.

Die Türme tauschen sich ab und der Russe zieht seinen Springer zur Seite, woraufhin Ding Liren den g-Bauern ein Feld nach vorne zieht. Die Partie kommt dem Remis damit einen Schritt näher, obschon Jan Nepomnjaschtschi nach wie vor natürlich probieren kann, noch etwas aus dem Spiel herauszuholen. Der russische Großmeister kann weiterhin ohne Risiko fortsetzen und scheint genau das auch vorzuhaben.

Ding Liren nimmt sich erneut etwas Zeit, um zu berechnen, ob er erneut den Turm-Tausch anbieten kann und das Endspiel trotzdem Remis hält. Die Antwort fällt wohl positiv aus, denn nach ein paar Minuten bietet der Chinese mit Te8 den erneuten Tausch an. Nimmt Nepo nun nicht an, fällt der Springer.

Zur Abwechslung kommen jetzt mal wieder drei sehr rasche Züge. Nepo vertreibt den gegnerischen Turm mit Kf3, woraufhin Ding abermals den Turm-Tausch anbietet, dem der Russe mit einem Schachgebot ausweicht.

Ding Liren setzt nach kurzer Bedenkzeit trotzdem mit f5 dort und greift damit den gegnerischen Springer an.

Jan Nepomnjaschtschi muss sich um die Drohung des Chinesen kümmern, mit f5 den Springer zu vertreiben und den Bauern auf f2 zu gewinnen. Nach sieben Minuten deckt er seinen Bauern mit Kg3 und aktiviert damit gleichzeitig auch seinen König.

Wieder denkt Ding Liren vier Minuten lang nach. Dann stellt er seinen König nach f8. Im Endeffekt bleibt es ein sehr zähes Lavorieren auf beiden Seiten. Verbraucht der Chinese nun allerdings für jeden Zug so viel Zeit, könnte die Uhr möglicherweise noch einmal zum Faktor werden. Aktuell hat der 30-Jährige aber noch 39 Minuten und 41 Sekunden. Nach Zug 60 gibt es überdies noch einmal eine Viertelstunde Zeitgutschrift sowie ein Inkrement von 30 Sekunden pro ausgeführtem Zug.

Nepo kehrt aus dem Ruheraum zurück und führt seinen nächsten Zug umgehend aus. Mit 48. Ta7 verbleibt er auf der siebten Reihe.

Nach fast einer Viertelstunde setzt Ding Liren mit 47... Sd6 fort und greift den gegnerischen Turm an.

Auf einmal investiert der chinesische Großmeister wieder über sechs Minuten Bedenkzeit am Brett. Lässt Ding Liren sich durch den Umstand verunsichern, dass Jan Nepomnjaschtschi so selbstbewusst weiterspielt und allen leisen Remis-Angeboten ausweicht? Mit noch fast einer Stunde auf der Uhr kann der Chinese sich jedenfalls die Zeit nehmen, um noch einmal tief nach etwaigen versteckten Ressourcen zu suchen.

Das neunte Match der Schach-WM zieht sich inzwischen wie Kaugummi. Ding gibt ein Schach und besetzt anschließend die zweite Reihe, woraufhin Nepo auf die siebte Reihe zurückkehrt. Abermals werden diese Züge von beiden Spielern aufs Brett geblitzt. Pausen entstehen momentan nur, wenn einer der beiden Akteure sich in den Ruheraum zurückzieht.

Nepo hat weiterhin Lust auf die Partie und geht auch diesem Angebot, die Stellung zu vereinfachen aus dem Weg. Er zieht den Turm nach b5 zurück.

Der Chinese kehrt aus dem Ruheraum zurück und zieht ganz cool 44... Te7, womit er seinem Gegner den nächsten Tausch anbietet.

Ding Liren ist mit Sf5 nun sogar bereit mit Minusbauer und Doppelbauer in das Endspiel mit den Türmen zu gehen, weil er sich so sicher ist, dass er dieses Endspiel theoretisch mühelos im Remis halten kann. Jan Nepomnjaschtschi geht dem Abtausch der Springer jedoch aus dem Weg. Der Russe signalisiert damit, dass er nur zu seinen eigenen Konditionen zu einem Remis bereit ist. Mehr als kleine psychologische Spielchen sind das allerdings nicht. Unmöglich kann Nepo in dieser Stellung noch davon ausgehen, auf Sieg spielen zu können. In Hinblick auf den weiteren Verlauf des WM-Kampfs will er stattdessen vielmehr seinen Kontrahenten noch etwas zermürben und arbeiten lassen.

Der Zug 43. Tb7 ändert nicht wirklich viel an der Stellung. Umso merkwürdiger, dass der Russe weiterhin an der Partie festhält.

Jan Nepomnjaschtschi bleibt am Brett, lässt aber bereits fünf Minuten seiner Zeit verstreichen. Möglicherweise ist es seine finale Prüfung, ob wirklich kein versteckter Gewinnweg mehr in der Stellung liegt. Solange Ding Liren aber nicht tatkräftig mit einem dicken Fehler mithilft, ist hier nichts mehr zu holen.

Ding Liren kehrt nach sechs Minuten aus dem Ruheraum zurück und spielt dann den extraordinären Zug 42... Sg3. Ein ganz leises Remis-Angebot. Lässt sich der Russe auf den Springer-Tausch und die Verschlechterung seiner Struktur ein, können sich beide Spieler endgültig die Hände reichen. Insofern ist dieser Zug des Chinesen auch eine etwas provokante Frage, wie viel Interesse Jan Nepomnjaschtschi noch an der heutigen Partie hat.

Während Ding Liren sich nun doch in seinen Ruheraum zurückgezogen hat, führt Jan Nepomnjaschtschi 42. Tb4 aus und verlässt die Bühne ebenfalls. Beide Spieler haben aber auch insgesamt über 70 Minuten Zeit, was die kleine Auszeit rechtfertigt.

Die Spieler erreichen nun die Zeitkontrolle und erhalten beide eine zusätzliche Stunde Bedenkzeit gutgeschrieben. Das hält beide jedoch nicht davon ab, am Brett zu bleiben und extrem schnell zu ziehen. Der Russe hat nun ein Endspiel mit einem Bauern mehr bekommen, das er natürlich noch sehr risikofrei eine Weile spielen kann. Objektiv ist das aber natürlich ein Remis, was beide Spieler wissen werden.

Nach neun Minuten des Nachdenkens und mit 13 Minuten Restzeit zieht Ding Liren nun 38... Sd4 und strebt damit weitere Vereinfachungen an.

Nach einer Stafette von sehr schnell ausgeführten Zügen nimmt sich Ding Liren jetzt noch einmal etwas mehr Zeit. Seine Waffe ist der c-Bauer. Jedoch muss er sich auch um das Gegenspiel kümmern. Die weißen Leichtfiguren sind bereits im Angriff, während im nächsten Zug ein Turmschwenk nach g4 droht. Der 30-Jährige rechnet schon seit über sechs Minuten.

Die Züge werden weiterhin aufs Brett geblitzt. Viel Potenzial ist nicht mehr auf dem Brett. Ein Remis-Angebot darf aber erst nach 40 ausgeführten Zügen ausgesprochen werden. Den einen oder anderen stimmigen Züge müssen beide Spieler folgerichtig noch finden.

Beide Spieler lassen sich jetzt auf einen massenhaften Abtausch ein. Die Partie plätschert jetzt sehr einvernehmlich dem Remis entgegen.

Ding Liren lässt sich auf den Damentausch ein. Jan Nepomnjaschtschi schlägt zurück. Beide Spieler stehen bei unter 25 Minuten für acht weitere Züge.

Der Russe entscheidet sich jetzt dafür, den Bauern auf a4 einzusammeln und den Abtausch der Damen anzubieten. Kommt das jetzt aufs Brett, dürfte weiteres Potenzial aus der Stellung verschwinden.

Sieht so aus, als sei Ding Liren jetzt aus dem Gröbsten raus. Die Stellung ist objektiv ausgeglichen, während beide Spieler ihre Figuren manövrieren und besser stellen.

Jetzt kommen die Züge wieder etwas schneller. Beide Spieler stehen bei ca. 30 Minuten Restzeit. Nepo braucht noch zehn Züge bis zur ersten Zeitkontrolle, bei Ding sind es elf Züge. Derweil ist die Stellung deutlich abgekühlt.

Zumindest haben beide Spieler aber die Pause genutzt, um sich ihre nächsten Schritte schon zu überlegen. Nepo nimmt das schöne Feld f5 mit seinem Springer ein, während Ding sein Spiel am Damenflügel sucht.

In den letzten Partien waren es genau diese Situationen, in denen Ding Liren die Zeit investierte, die ihm am Ende fehlte. Klar, er hat drei Möglichkeiten, den Läufer zurückzuschlagen. fxe6 scheidet aber alleine aus positionellen Gründen sofort aus, während auch Txe6 garantiert nicht der Weg sein kann, weil nach Lxc5 Txc5 alle schwarzen Figuren komplett unkoordiniert auf dem Brett stehen. Sxe6 ist praktisch trivial. Dennoch lässt der Chinese unfassbare fünfeinhalb Minuten verstreichen, ehe er den eigentlich einzigen Zug auch ausführt. Unverständlich!

Wow! Jan Nepomnjaschtschi lässt die Qualität stehen und tauscht stattdessen die die weißfeldrigen Läufer ab. Eine hochgradig interessante Entscheidung. Damit entsteht aber andererseits keine gefährliche Bauernstruktur am Damenflügel, während überdies das Feld f5 nun für seinen Springer eingenommen werden kann.

Der chinesische Großmeister entwickelt nun endlich auch seinen weißfeldrigen Läufer und bietet den Abtausch der Läufer an. Der Russe könnte nun allerdings auch die Qualität gewinnen, was wiederum eine schwarze Bauern-Übermacht am Damenflügel erzeugen würde. Das ist alles andere als trivial für Nepo.

Nach einer Viertelstunde wartet Jan Nepomnjaschtschi mit dem interessanten Zug 26. Lc4 auf. Damit greift er nicht nur den gegnerischen Turm an, sondern verhindert auch, dass sein weißfeldriger Läufer mit Sb3 ausgesperrt wird.

Anders als am Dienstag, als Ding Liren in höchster Zeitnot die Partie einstellte und abermals in diesem WM-Kampf in Rückstand geriet, muss auch Jan Nepomnjaschtschi über jeden Zug sorgfältig nachdenken. Der Russe investiert abermals über zehn Minuten in seine Überlegungen und ist damit bei weniger als 40 Minuten angekommen, die ihm noch für 15 Züge bis zur ersten Zeitkontrolle bleiben.

Der chinesische Großmeister geht jetzt möglichen Verstrickungen auf der a3-f8-Diagonale aus dem Weg, indem er seinen Turm zur Seite zieht. Anstatt die d-Linie zu besetzen, überlässt er diese nun allerdings auch seinem Kontrahenten. Damit bleibt er weiterhin in der Defensive.

Ding Liren entschließt sich dazu, den schwarzfeldrigen Läufer mit Sh7 anzugreifen, der wiederum auf c1 zum Gegenangriff auf den gegnerischen Turm ansetzt. Der Chinese geht nach b5 zurück, woraufhin Nepo den dritten Läufer-Zug in Folge ausführt und die Diagonale a3-f8 einnimmt.

Der Russe setzt jetzt mit 23. Lg5 vor. Das nimmt dem Angriff ein Stück weit den Wind aus den Segeln. Sieht ganz so aus, als wolle der 32-Jährige die komplizierte Partie in ruhigere Fahrwasser manövrieren.

Nepo entscheidet sich dafür, den schwarzfeldrigen Läufer seines Gegners vom Brett zu nehmen. Ding nimmt umgehend mit seinem Turm zurück. Beide Spieler sind inzwischen bei unter 50 Minuten Restzeit angekommen.

Abermals muss Jan Nepomnjaschtschi mehr als zehn Minuten in seine Überlegungen stecken. Einen direkten Gewinnweg gibt es nicht am Horizont, obwohl die Stellung zweifelsfrei mit Weiß angenehmer zu spielen ist. Dennoch: Ein unpräziser Zug und die Partie kann ganz schnell auch in die andere Richtung kippen.

Ding Liren setzt kurzerhand zum Gegenangriff an und bringt seinen Turm mit Txb2 auf die zweite Reihe des Russen.

Jan Nepomnjaschtschi hat seine Entscheidung getroffen und gießt mit 21. Sg6 weiteres Öl ins Feuer. Die Stellung bleibt extrem komplex und undurchsichtig. Abermals muss jetzt Ding Liren tief rechnen und die beste Verteidigung finden.

Nepo muss tief rechnen. Ein unpräziser Zug und das Angriffspotenzial verschwindet vom Brett. Dementsprechend investiert der Russe nun bereits über zehn Minuten in seinen nächsten Schritt. Vermutlich muss er den Läufer zunächst besser stellen. Beispielsweise nach g5.

Jan Nepomnjaschtschi lässt nicht allzu viel Zeit verstreichen und schnappt sich mit seinem Läufer den Bauern auf h6. Ding Liren hat damit offensichtlich gerechnet, denn seine Antwort 20... Sc5 kommt ebenfalls wie aus der Pistole geschossen aufs Brett.

Nach fast einer Viertelstunde entscheidet sich Ding Liren mit 56 Minuten und 21 Sekunden Restzeit auf der Uhr nun für den Schlagzug bxa4. Das öffnet auch seinem Turm die b-Linie, stemmt sich allerdings nicht gegen die weißen Angriffsideen.

Der Zeitvorteil des chinesischen Großmeisters ist inzwischen passé. Ding Liren muss bei jedem Zug momentan lange und tief rechnen. In seinen 19. Zug steckt der 30-Jährige schon mehr als zehn Minuten, wodurch er bei weniger als einer Stunde an restlicher Bedenkzeit angelangt ist.

Jan Nepomnjaschtschi verfolgt jedoch andere Ziele und überführt stattdessen ganz ruhig erst einmal seine Dame in den Angriff. Der chinesische Großmeister muss sich jetzt einige Züge lang sehr präzise verteidigen. Verstrickungen, denen er mit dem Bauern-Opfer hätte aus dem Weg gehen können.

Jetzt führt Ding Liren jenen Zug aus, der einen Zug vorher wohl die beste Wahl gewesen wäre: 18... Lf8. Allerdings kann die Figur dadurch, dass der Springer von Jan Nepomnjaschtschi bereits auf h4 steht, theoretisch sofort angegriffen werden. Der Russe könnte sich einen Zug wie Sg6 erlauben, da der Bauer auf f7 durch den weißfeldrigen Läufer auf a2 gefesselt ist. Ding Liren wäre möglicherweise dazu gezwungen, den Läufer sofort wieder zu ziehen.

Der chinesische Großmeister merkt nun sicherlich, dass er seinem Gegner dieses Tempo nicht hätte geben dürfen, und sucht nach Auswegen. Schon über zehn Minuten rechnet Ding Liren am Brett.

Jan Nepomnjaschtschi ist ein sehr praktischer und prinzipieller Spieler, was er auch dadurch unterstreicht, dass er umgehend aus dem Ruheraum zurückkehrt und den langsamen Zug seines Gegners mit dem logischen Fortsetzungszug 18. Sh4 bestraft. Das sieht jetzt ziemlich ungemütlich für den Chinesen aus.

Ding Liren steckt eine gute Viertelstunde in seine Überlegungen und setzt dann mit 17... Tb8 wenig ambitioniert vor. Damit deckt er den Punkt b5 zwar, spielt aber zu langsam und überlässt jedoch seinem russischen Kontrahenten die Initiative, der nun mit Sh4 Fortschritte machen und den Punkt f5 einnehmen könnte.

Ding Liren denkt jetzt erstmals lange nach in diesem neunten Spiel der Schach-WM 2023. Schon über acht Minuten sitzt der 30-Jährige am Brett, der möglicherweise im Sinn hat, mit einem Bauern-Opfer fortzusetzen. Eine mögliche Variante wäre 17... Lf8 18. axb5 cxb5 19. Dxc5 Sc5 mit dem Ziel, im nächsten Schritt La6 zu spielen und für den geopferten Bauern viel Aktivität zu erhalten.

Jan Nepomnjaschtschi steckt wieder über vier Minuten ins Geschäft und stellt dann seine Dame auf ein besseres Feld.

Ding Liren nutzt den Rückzug des gegnerischen Läufers sofort aus und gewinnt mit 16... b5 Raum. Abermals muss Jan Nepomnjaschtschi nachdenken.

Jan Nepomnjaschtschi kehrt zwar nach knapp zehn Minuten ans Brett zurück, rechnet dort aber weitere zehn Minuten, ehe nach fast 20 Minuten sein Zug aufs Brett kommt. 16. La2 ist dabei eine Neuerung, die diese Stellung einzigartig macht. Vermutlich suchte der russische Großmeister an dieser Stelle nach einer Möglichkeit, den gut vorbereiteten Ding Liren aus der Theorie zu reißen.

Die Uhr des russischen Großmeisters läuft schon seit fünf Minuten. Jan Nepomnjaschtschi ist jedoch nicht am Brett, sondern sitzt im blauen Sessel in seinem Ruheraum und überlegt dort, was er von dem letzten Zug seines Gegners halten soll. Noch immer gibt es jedoch einige Vorgängerpartien mit exakt dieser Stellung.

Offensichtlich hat Ding Liren genau diese Variante sehr gut vorbereitet, denn mit 15... Dc7 zieht er an dieser Stelle einen eher unnatürlichen Zug, der sich grundsätzlich präventiv gegen Sf5 richtet und dabei die Deckung des Punktes e5 beibehält. Tatsächlich ist das die erste Empfehlung der Computer-Engine an dieser Stelle.

Jan Nepomnjaschtschi entscheidet sich für die prinzipielle Fortsetzung und zieht 15. Sg3. Eine mögliche Idee wäre es, mit Sf5 die gegnerische Dame zu befragen, um den Punkt e5 perspektivisch aufs Korn zu nehmen.

Jan Nepomnjaschtschi steckt knapp zwei Minuten in seine Überlegungen, ehe er den offensichtlichen Zug 14. Lc4 ausführt. Ding Liren antwortet postwendend mit Sa6. Sollte der Läufer den Springer nun schlagen, was objektiv kein schlechter Zug ist, wäre das ein leichter Tempoverlust für den Russen. Stimmiger wäre es daher wohl, den Springer von f1 nun auf das angedachte Zielfeld zu überführen. Sowohl Se3 als auch Sg3 wurde in der Vergangenheit schon gespielt.

Ding Liren befragt mit c6 jetzt den weißfeldrigen Läufer. Vom normalerweise immer sofort ziehenden Russen, der keine Sekunde verschenkt, wenn es eigentlich nur einen Zug gibt, kommt überraschenderweise aber nicht sofort die Antwort. Ausnahmslos jede einzelne Vorgängerpartie ging hier mit 14. Lc4 weiter.

Ding Liren vollzieht mit 12... h6 ebenfalls einen nützlichen Abwartezug, woraufhin Jan Nepomnjaschtschi mit 13. Sf1 mit der angesprochenen Umgruppierung seines Springers beginnt.

Der russische Großmeister investiert nun seinerseits vier Minuten, ehe er mit 12. h3 fortsetzt. Weiterhin wenig Überraschungen in diesem neunten Match der Schach-WM.

Beide Spieler dürften die gängige Theorie zu dieser Stellung noch kennen. Entsprechend schnell kommt nun auch die Antwort von Ding Liren, der sich für 11... Td8 entscheidet.

Jan Nepomnjaschtschi entscheidet sich jetzt gegen den Hauptzug Sb3 und entwickelt stattdessen seinen Turm nach e1. Das würde perspektivisch auch die Umgruppierung des Springers von d2 über f1 nach e3 oder g3 ermöglichen. Auch zu diesem Zug gibt es noch einige Vorgängerpartien in der Datenbank. Bislang antworteten die Schwarz-Spieler hierauf mit h6 oder Td8.

Ding Liren schaut nun erstmals volle fünf Minuten in die Stellung. Der bekannte Theorie-Zug, mit dem Schwarz den Ausgleich behält, ist der etwas unnatürlich aussehende Rückzug des Springers auf sein Ursprungsfeld b8. Genau diesen Zug spielt der chinesische Großmeister nun auch.

Ding Liren entwickelt seine Dame nach e7, woraufhin Jan Nepomnjaschtschi, der gerade einmal vier Minuten bislang verbraucht hat, ebenfalls umgehend mit einem Damenzug antwortet. Unter anderem gab es genau diese Stellung schon zwischen Carlsen und Kramnik (2017).

Jan Nepomnjaschtschi hat mit Lxc6, De2, Dc2 und diversen Bauernzügen etliche Möglichkeiten, entscheidet sich aber dafür, mit a4 den Vorstoß des gegnerischen a-Bauern zu unterbinden. Auch das wurde schon einige Dutzend Male gespielt.

Abermals muss der chinesische Großmeister kurz überlegen, wie er fortsetzen möchte. Anstelle des Hauptzuges De7 setzt er mit a5 mit dem zweithäufigsten Zug in dieser Stellung fort.

Ding Liren entschiedet sich dafür, auf e4 zu schlagen, woraufhin Jan Nepomnjaschtschi zurücknimmt. Damit haben wir jetzt die bereits mehrere hundert Male schon gespielte Berliner Verteidigung auf dem Brett, wie sie auf höchstem Niveau sehr häufig gespielt wird.

Beide Spieler folgen sehr normalen Zügen. Der Chinese hält dann nach 7. Sbd2 kurz inne. Die Entscheidung, die er jetzt treffen muss, lautet, ob er im Zentrum rausnimmt und der grundsoliden Hauptvariante mit hohem Remis-Potenzial folgt, oder ob er abweicht.

Jan Nepomnjaschtschi geht mit 3. Lb5 in die Spanische Partie, woraufhin Ding Liren mit 3... Sf6 antwortet. Das ist die Berliner Verteidigung. Der Russe kann sich nun überlegen, das sehr bekannte, allerdings auch sehr ausgetretene Endspiel anzustreben. Damit würde die Partie ziemlich früh in Remis-Gewässer gleiten.

Auch beim chinesischen Großmeister gibt es heute keine Überraschung. Nach der Französischen Verteidigung im letzten Spiel zieht er heute 1... e5. Sehen wir damit erneut die Spanische Partie?

Das Match startet und Jan Nepomnjaschtschi eröffnet erneut mit seinem Standardzug 1. e4. Keine Überraschung.

Im Vorfeld der Schach-WM hat es sieben Partien im klassischen Schach zwischen Jan Nepomnjaschtschi und Ding Liren gegeben, in denen der Russe die weißen Steine führte. Nepo blieb in all diesen sieben Spielen ebenso ungeschlagen (zwei Siege, fünf Remis) wie in seinen vier bisherigen Weiß-Partien bei der Schach-WM 2023 (zwei Siege, zwei Remis). Das macht die Aufgabe für den chinesischen Großmeister nicht gerade leichter, der heute mit den schwarzen Figuren dagegenhalten muss.

Überschattet wurde die gestrige Partie von einer vermeintlichen Enthüllung des Repertoires von Ding Liren. In der Amateurdatenbank einer bekannten Online-Plattform ließen sich kurioserweise mehrere Partien zwischen zwei Accounts finden, die im Vorfeld der WM ausnahmslos gegeneinander gespielt haben und eben jene Eröffnungsidee in der Nimzo-Indischen Verteidigung mit e3, a3 und Ta2 auf dem Brett hatten. Ein Blick in die anderen Partien offenbarte unter anderem die in Match zwei gezeigte Idee mit 4. h3 im abgelehnten Damengambit, wodurch davon auszugehen ist, dass diese Accounts Ding Liren und einem seiner Trainingspartner zuzuordnen sind. Das ist ein empfindlicher Rückschlag für den chinesischen Großmeister, der zahlreiche seiner noch nicht gezeigten Ideen vermutlich nicht mehr spielen kann und mit der Hypothek des Rückstands nun auch noch sein Repertoire anpassen muss. Unweigerlich drängt sich dadurch die Frage auf, wie es um die mentale Verfassung des chinesischen Großmeisters bestellt ist, der genau weiß, dass eine weitere Niederlage einer kleinen Vorentscheidung gleich käme.

Am gestrigen Donnerstag kam bei der sehr spannenden Schach-WM, die bereits sieben verschiedene Eröffnungen in acht Partien bereithielt, die Nimzowitsch-Indische Verteidigung aufs Brett, in der Jan Nepomnjaschtschi in komplexer Stellung einen absoluten Verlustzug spielte. Anders als in den bisherigen Spielen, in denen ein einziger Fehler für die Entscheidung sorgte, vergab Ding Liren aber gleich drei Chancen, den Sieg unter Dach und Fach zu bringen. Letztlich tat sich Nepo ein trickreiches Springer-Opfer als letzte Ressource auf, um ins Remis zu entfliehen.

Jan Nepomnjaschtschi führt nach acht Partien, von denen sage und schreibe fünf Spiele entschieden wurden, mit 4,5 zu 3,5. Dem Russen fehlen damit noch drei Punkte, um Weltmeister zu werden. Über den Berg ist der 32-Jährige jedoch noch lange nicht. Ein Sieg reicht Ding Liren, um auszugleichen.

Willkommen zurück aus Astana! Hier findet am heutigen Freitag die neunte Partie der Schach-WM 2023 zwischen Jan Nepomnjaschtschi und Ding Liren statt. Los geht es um 11:00 Uhr.