München:Arbeiterwohlfahrt kämpft zum 100. um mehr Anerkennung

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Zum 100. Geburtstag der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Bayern im kommenden Jahr fordert der Landesvorsitzende Thomas Beyer ein Umdenken in der Gesellschaft. "Zu...

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München (dpa/lby) - Zum 100. Geburtstag der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Bayern im kommenden Jahr fordert der Landesvorsitzende Thomas Beyer ein Umdenken in der Gesellschaft. „Zu viele schätzen nicht mehr wert, was wir mit der Wohlfahrtspflege geschaffen haben“, sagte Beyer der Deutschen Presse-Agentur in München. Die Menschen müssten erkennen, dass der soziale Sektor nicht in wirtschaftlichen Druck geraten dürfe. „Ein Pflegeheim ist keine Schraubenfabrik.“

Beyer zog Parallelen zu Debatten um Klima- und Artenschutz: „Wenn wir jetzt über Nachhaltigkeit reden, könnte das Bewusstsein geschärft werden, dass wir unsere Strukturen stärken müssen. Wenn wir ehrlich sind: Uns alle wird die soziale Frage früher beschäftigen als Umweltprobleme.“ Jeder könne pflegebedürftig werden, allen drohe Arbeitslosigkeit - Themen, bei denen die Awo Betroffene betreut. Doch Beyer sagte mit Blick auf die Landwirte und das Entgegenkommen der Politik auf deren Kritik, beim Artenschutz als Buhmann dargestellt zu werden: „Etwas Vergleichbares gibt es für den sozialen Sektor nicht.“

Die Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin Marie Juchacz hatte 1919 die Arbeiterwohlfahrt in Deutschland als Alternative zu kirchlichen Angeboten oder dem Roten Kreuz gegründet. Ein Jahr später gab es die ersten Ortsvereine im Freistaat, den Anfang machte Nürnberg. Das 100-jährige Bestehen will der Landesverband im neuen Jahr unter anderem mit einer Festschrift und einer Wanderausstellung feiern, die vor allem die Leistung von Frauen bei der Awo in den Fokus rückt.

Mit rund 60 000 Mitgliedern, mehr als 13 500 ehrenamtlich Engagierten und über 29 000 hauptamtlichen Mitarbeitern sieht Beyer den Verband gut aufgestellt und als relevanten Arbeitgeber im Land. Nicht ohne Stolz vergleicht er die Awo Bayern mit den derzeitigen politischen Höhenfliegern: „Wir sind rund viermal so stark wie die Grünen.“ Die Awo kümmere sich zum Beispiel um Alten-Clubs und Seniorenbegegnungsstätten und biete vom Main bis zu den Alpen rund 3000 Plätze für Patienten mit seelischen Erkrankungen und mehr als 30 000 Plätze in Kindertageseinrichtungen. „Wir waren in konservativen Regionen die ersten, die Krippen hatten“, lobte der Vorsitzende.

Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) sagte: „Die Awo ist eine der großen Säulen des sozialen Bayerns. Sie leistet einen unverzichtbaren Beitrag zum Zusammenhalt unseres Gemeinwesens.“ Als Träger von mehr als 1700 Einrichtungen und Diensten etwa für Kinder, Jugendliche, Senioren und Menschen mit Behinderung leiste die Awo wertvolle Arbeit in den Bereichen Erziehungsberatung, Eheberatung, Beratung für Migranten, für Opfer sexualisierter Gewalt, für ehemalige Strafgefangene, für Krebskranke, Obdachlose, Arbeitslose und Schuldner. Die Zusammenarbeit sei eng und vertrauensvoll.

Doch Beyer räumt auch Probleme ein: In katholisch geprägten Gegenden sei die Caritas der Marktführer, in Franken gebe es Landstriche, wo es neben der Diakonie keine Angebote gebe. „Beim Bekanntheitsgrad haben wir noch Hausaufgaben zu machen“, so Beyer. „Aber man muss realistisch sein: soziale Hilfeleistungen werden pragmatisch ausgesucht.“ Für manche komme nur eine kirchliche Pflegeeinrichtung infrage. Oft gehe es um örtliche Nähe zur Heimat oder Angehörigen. Hinzu komme Konkurrenz von privaten Anbietern.

Und ein Problem teile die Awo mit anderen Hilfsorganisationen: die Nachfolgesuche für Ämter. „Aber da läuft es nicht spezifisch schlecht für uns. Das ist ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend, dass die Leute lieber zu Hause auf dem Sofa bleiben im Privaten“, sagte Beyer. „Früher gab es bei den Feuerwehren Kampfkandidaturen. Heute braucht der Bürgermeister drei Anläufe, um überhaupt einen weichzuklopfen.“

Mit Blick auf die Staatsregierung lobte der Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg und frühere SPD-Landtagsabgeordnete die Zusammenarbeit mit den Ministerien für Soziales und Gesundheit. Mehr Engagement aber wünsche er sich von Regierungschef Markus Söder (CSU): „Der jetzige Ministerpräsident hat keine Zeit für uns“, kritisierte Beyer. Selbst in der kurzen Amtszeit Günther Becksteins (CSU) sei Beyer in der Staatskanzlei gewesen. „Und wir waren Dauergäste bei Horst Seehofer, der ja ein Mann des Sozialen war.“ Söder jedoch betrachte die Leistungen der Awo als zu selbstverständlich. „Da ist mir das Bewusstsein zu schwach, dass Wohlfahrtspflege wichtig ist.“

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