Der Sessellift zuckelt den Berg hoch; der Schnee ist weiß, der Himmel blau, die Pisten über dem Skiort Lenzerheide sind fast leer. Der Mann mit der spiegelnden Sonnenbrille im Lift könnte blendende Laune haben. Hat er aber nicht. Was er von der neuen Seilbahn hält? "Die Leute sollen laufen, wenn sie in die Berge wollen", schimpft er. Dabei arbeitet er selbst bei einer Liftgesellschaft. Er weiß, wie schwer es geworden ist, mit Bergen und Schnee Geld zu verdienen, und trotzdem: "Früher hat man am Hörnli noch Steinböcke gesehen; die bleiben dann weg, das ärgert mich am meisten." Dann besinnt er sich plötzlich. Vielleicht fällt ihm wieder ein, dass die Dinge sind, wie sie sind; jedenfalls sagt er schließlich resigniert: "Aber doch, das ist schon eine gute Sache mit der Seilbahn."
Offenbar ist die Sache mit der Seilbahn kompliziert genug, dass man locker gleichzeitig dafür und dagegen sein kann. Mehr als 40 Jahre lang haben sie hier diskutiert, ob das Skigebiet von Lenzerheide mit dem benachbarten Arosa zusammengelegt werden soll. Jetzt ist es fast soweit: In der zweiten Januarhälfte soll die Verbindungsseilbahn eröffnet werden. Ein einziger Kran steht noch oben am Hang gegenüber, der blitzblanke Zubringerlift wartet sessellos auf den Start. Manche sind zwiegespalten, andere begeistert, wieder andere haben den Widerstand aufgegeben. Und alle fragen sich nervös, wie es nun weitergeht - mit den Bergen, mit dem Schnee, mit dem Skifahren; mit Arosa und Lenzerheide.
Ski fahrend kommt man nicht von einem Gebiet in das andere
Zwischen beiden Gebieten liegen nur ein paar Kilometer Luftlinie, für Seilbahn-Ingenieure ein Klacks. Ja, und das Urdental, natürlich. Umso besser, dachten die Betreiber früher einmal, und hatten schnell einen Pistenplan für das bis heute kaum erschlossene Tal parat. Daraus wurde nichts: Umweltverbände protestierten entsetzt. Einen neuen Plan verwarfen die Bürger von Lenzerheide, ein dritter wurde erstellt. Nun wird die Seilbahn in 2500 Metern Höhe ohne Zwischenmasten und ohne neue Pisten über das Urdental schweben. Ski fahrend kommt man also nicht von einem Gebiet ins andere. Die Umweltschutzorganisation Mountain Wilderness hat zusätzlich ausgehandelt, dass die Wildtier-Schutzzonen im Urdental besser gekennzeichnet und Freeride-Abfahrten dort nicht beworben werden.
Eigentlich kein schlechter Kompromiss, fast ein Musterbeispiel für gute Einbindung aller Beteiligten. Das Ergebnis könnte man für die Skigebiete wohl als Win-Win-Situation bezeichnen: Lenzerheide hat wenig Hotelbetten, aber viele Pisten, in Arosa ist es umgekehrt; vom Zusammenschluss profitieren beide. Und doch ist der Streit noch lange nicht beigelegt, nur der Frontverlauf wurde angepasst. Im Kampf gegen die Seilbahn haben die Gegner kapituliert. Jetzt wird über eine neue Sesselbahn gestritten, die die beiden Talseiten des Skigebiets in Lenzerheide bequemer verbinden und die Fusion komplett machen soll. Hinter den Querelen steht aber die Frage, welcher Wintertourismus hier noch Zukunft hat, und zu welchem Preis für Mensch und Natur er zu haben ist.
"Ich glaube nicht, dass man diese Tourismusindustrie noch 50 Jahre halten kann"
Wer Katharina Conradin danach fragt, bekommt eine freundliche, aber bestimmte Antwort: "Ich glaube nicht, dass man diese Tourismusindustrie noch 50 Jahre halten kann", sagt die Geschäftsführerin von Mountain Wilderness Schweiz. Der Verband hat zwar seinen Einspruch zurückgezogen, aber vor allem, weil man sich vor Gericht schlechte Chancen ausrechnete, nicht aus Liebe zum Skitourismus. "Es wird notgedrungen eine Konzentration bei den Skigebieten geben; die Alpen waren nicht immer gottgegeben Skifahrerland", sagt Conradin. Jedes Gebiet wolle das Größte sein, irgendwann würden die Angebote ununterscheidbar: "Die Landschaft verkommt zu einer austauschbaren Kulisse."
Hinzu kommen die konkreten Konsequenzen, zählt Conradin auf: Die Beschneiung verbraucht Energie und bringt den Wasserkreislauf durcheinander. Damit man Pisten überhaupt mit Kunstschnee präparieren kann, müssen sie halbwegs eben sein - auch daher all die Carving-Autobahnen, die mit dem Originalzustand der Berge wenig zu tun haben. Nicht einmal das Argument, dass der Skitourismus Arbeitsplätze in Bergregionen erhält, lässt sie gelten: "Intensiver Tourismus macht Wohnraum teuer und bietet Arbeitsplätze zu schlechten Bedingungen, das ist nicht unbedingt fair", sagt sie. Stattdessen will sie Qualitätstourismus, regionale Wirtschaftskreisläufe und Verzicht: Nicht jeder Mensch müsse zu jeder Zeit auf jeden Berg.
In der Diagnose, dass es so wie bislang nicht weitergeht, dürften die Bergbahnen von Arosa und Lenzerheide ihr immerhin zustimmen. Die Zahl der Tage, die Ski- und Snowboardfahrer auf der Piste verbringen, ist seit Jahren eher rückläufig. Die Menschen werden älter und rosten ein, sie wollen nicht mehr jeden Urlaubstag von früh bis spät auf der Piste verbringen. Und selbst in den Alpenregionen lernen Kinder nicht mehr automatisch Ski- oder Snowboardfahren. Der Klimawandel macht das Geschäft nicht leichter. Schnee von oben ist ja gut verzichtbar, aber einigermaßen kalt muss es sein, damit der Kunstschnee liegen bleibt. Und zwar von Weihnachten bis Ostern, damit die Millionen wieder hereinkommen, die Bau und Unterhalt von Pisten, Liften und Beschneiungsanlagen kosten. Allein im Skigebiet Lenzerheide steht eine Infrastruktur im Wert von 217 Millionen Euro. Aber wer da spart, kann auch gleich dichtmachen und das Feld der Konkurrenz überlassen - so jedenfalls sehen es viele Betreiber und rüsten weiter auf.
Auch Arosa, mit nur 70 Pistenkilometern und vielen mäßig ausgelasteten Hotels, steht nicht gut da, trotz wunderschöner Lage und sehr schweizerischem Charme. Zwei Jahre in Folge haben die Bergbahnen, die auch mehrere Hütten und Hotels betreiben, nach Abschreibungen und Zinsen Verluste gemacht. Das Wetter war schlecht, viele Gäste blieben weg.
"Es ist ein Verdrängungsmarkt"
Im Gewusel auf der sonnigen Terrasse einer Hütte sieht das Gebiet familiär, idyllisch und gar nicht nach Problemen aus, aber die Bilanzen stehen ja auch nicht auf der Tageskarte. Auf einer Bank sitzt Stefan Reichmuth, mitteljung und sportlich, und obwohl er den furchterregenden Titel Marketingleiter Arosa Bergbahnen trägt, redet er nicht groß um Tatsachen herum. "Es ist ein Verdrängungsmarkt", sagt er. Und da Pistenkilometer nun einmal das Hauptkriterium seien, nach dem Gäste ihr Urlaubsziel wählten, hoffe man mit der Zusammenlegung auf einen größeren Anteil am Kuchen. Zusammen bringen beide Gebiete es auf 225 Pistenkilometer, damit werden sie auf einen Schlag zum größten Skigebiet Graubündens.
225 Pistenkilometer - selbst ein Raser mit 50 Sachen Durchschnittsgeschwindigkeit wäre damit 4,5 Stunden beschäftigt, ohne Liftzeiten. "Ich habe mich auch schon gefragt, ob ich das an einem Tag schaffe", sagt Reichmuth und lacht leise. "Aber früher hatte man das Gebiet spätestens in zwei, drei Tagen gesehen; jetzt hat man mehr Auswahl." Und die Ansprüche der Gäste seien eindeutig gestiegen - auch, weil man sie an ein immer besseres Angebot gewöhnt habe.
Heute fährt eine Seilbahn auf den Gipfel
Oben am Weisshorn, in 2653 Meter Höhe, sieht man ein schlicht unverbesserbares Angebot an Bergpanoramen, was beim Thema "Gäste und ihre Ansprüche" freilich nur selten eine Rolle spielt. Anfang des 20. Jahrhunderts, als Arosa langsam vom Luftkur- zum Wintersportort wurde, stiegen die Touristen wenn, dann mit Fellen unter den Holzskiern hier herauf; in zwei, drei Tagen hatten sie ebenso viele Touren gemacht. Heute fährt eine Seilbahn auf den Gipfel, und es gibt nebst Bar, Lounge und Restaurant die höchstgelegene Kleinschaukonditorei Europas, was immer das heißen mag. Hinter dem Restaurant ist es sehr still. Dort sitzt ein einsamer Gast und liest ein Buch über den Sinn des Lebens in einer verrückten Welt, ausgerechnet.
Beim Abfahren über die planierten Pisten schleichen sich noch ganz andere Sinnfragen ein: Wer eigentlich noch mehr solcher Kunstpisten braucht, was überhaupt der ganze Skizirkus soll. Schön ist es trotzdem, hilft alles nichts.