Längst gilt der Darß nicht mehr als Geheimtipp - was den Sommertourismus betrifft. Im Winter ist die Halbinsel zwischen Rostock und Rügen ein idealer Ort für alle, die die Einsamkeit lieben. Kaum vorstellbar, dass hier im Sommer zu Tausenden Badegäste lagern. Der legendäre feinsandige und weitläufige Darßer Weststrand ist im Winter beinahe menschenleer. An manchen Stellen ist er auch nur noch wenige Meter schmal. Und auf einigen Abschnitten gleicht er einem undurchdringlichen Dickicht. Die Herbst- und Winterstürme haben zahllose Bäume auf den Strand geworfen. Fast bis ans Wasser reicht hier der Darßwald. Wer nicht kilometerweit durch den Wald wandern will, findet am Parkplatz Drei Eichen einen guten Ausgangspunkt für Winterwanderungen am Weststrand. An Werktagen stehen dort nur wenige Autos. An Drei Eichen zwischen dem Seebad Ahrenshoop und dem am Bodden gelegenen Dorf Born beginnen auch die geführten Wanderungen der Nationalpark-Ranger.
Wen es auch im Winter schnell ans Wasser drängt, braucht etwa 20 Minuten zu Fuß. Ein paar Schritte noch durch den windgeschützten Wald, dann braust ohne Vorwarnung der eisige Nordostwind über den Strand. Wo keine umgestürzten Kiefern und Buchen den Weg versperren, lässt es sich auf dem festgefrorenen Sand auch gegen den Wind laufen. Hier und da stöbern dick eingepackte Sammler an der Wasserkante im Schwemmgut. Manche suchen Bernstein, andere ungewöhnliche Hölzer oder Hühnergötter, wie die Steine mit Löchern genannt werden. Wind und Wellen haben ganze Arbeit geleistet: An vielen Stellen hat sich die Küstenlinie verändert. Der Sand, der hier am Weststrand abgetragen wird, landet am Darßer Ort, einer Landzunge, die sich immer weiter in die Ostsee hinaus verlängert.
Zurück nach Drei Eichen geht es auf einem der vielen Pfade durch den Darßer Urwald. Überall riesige alte Buchen, dazwischen Eichen und Birken. Hier und da ragen von Pilzen besiedelte Bäume als hölzerne Ruinen gen Himmel. Andere Stämme in der sogenannten Kernzone des Nationalparks sind vor Altersschwäche umgestürzt und schon halb vermodert. Die Gräben rechts und links der Wege sind randvoll mit dunkelbraunem, moorigem Wasser, das von einer dünnen Eisdecke überzogen ist. Der Wald wirkt hier fast ein wenig unheimlich. Mit dem Auto ist man in wenigen Minuten in Wieck, einem kleinen staatlich anerkannten Erholungsort am Bodden. Viel los ist hier nicht. Auch im Bootshafen herrscht Winterschlaf. Das touristische Leben des Dorfes scheint sich um diese Jahreszeit auf ein einzelnes Hotel zu konzentrieren, das sich der regionalen Küche verschrieben hat - Fisch aus dem Bodden, Wild aus dem Darßwald, Käse und Gemüse in Bioqualität.
Nach dem ausgiebigen Frühstück steht am nächsten Tag eine Wanderung auf der Boddenseite der Halbinsel auf dem Programm. Ausgangspunkt ist der Hafen von Althagen. Auf dem Deich führt der Weg Richtung Niehagen. Rechter Hand liegen viele alte und einige moderne Häuser. Die meisten werden wegen des herrlichen Blicks auf den Bodden an Feriengäste vermietet. Jetzt sehen sie leer aus. Links erstreckt sich ein breiter Schilfgürtel, der von zugefrorenen Wasserflächen unterbrochen wird. Zwei Schlittschuhläufer versuchen ihr Glück. Auch Spaziergänger wagen ein paar Schritte auf das Eis. Hinter Niehagen führt der Weg in weitem Bogen zwischen Wiesen und Schilfgürtel Richtung Wustrow. Der Wind bläst kräftig, der Blick schweift über weites flaches Land und die im Sonnenlicht glitzernde Fläche des Bodden-Eises. Es geht vorbei an uralten Kopfweiden. Auf einem Acker scharren Hirsche nach Futter. Von Weitem ist die Backsteinkirche von Wustrow zu sehen. Der Turm, der den besten Blick über die Halbinsel ermöglichen soll, ist an diesem Tag geschlossen. Auch im Ort herrscht Ruhe. Nur wenige Wintergäste spazieren auf die Seebrücke, die 240 Meter weit in die Ostsee ragt. Im Kneipenrestaurant am Strand sind sogar Fensterplätze mit Blick aufs Wasser frei. Nach Grünkohl oder Waffeln mit heißen Kirschen führt der Weg dann am Ostseestrand oder oben am Hohen Ufer entlang nach Althagen zurück.
Fast für sich haben Winterwanderer an manchen Tagen den Strand von Prerow. Dort verbirgt sich einer der größten und wohl schönsten Campingplätze an der deutschen Ostsee im Wald entlang der sanft geschwungenen Bucht. Wo im Sommer das Leben pulsiert, bestimmen jetzt Möwen und Schwäne das Bild. Die Wellen haben kleine Eisschollen zu Barrieren zusammengetrieben. Dahinter blinkt grünblaues Wasser. Am Ende der Prerower Bucht dümpelt der Seenotrettungskreuzer Theo Fischer auf dem Wasser und wartet auf Einsätze. Auf einem Holzsteg kann man das Hafenbecken überqueren. Auf der anderen Seite leben Wildschweine. Überall ist der Boden durchwühlt. Vor Jahren gab es einmal die Meldung, im Darßwald hätten sich Wanderer vor einer angreifenden Wildsau auf einen Baum gerettet. An diesem Tag ist kein Schwein zu sehen. Ein neuer Plankenweg führt durch sumpfiges Gelände und die sonnenbeschienene Dünenlandschaft. Weiter vorne wartet ein kleiner Aussichtsturm. Auch hier weite Blicke über den Schilfgürtel bis zur Ostsee. Es ist still. Weit hinten zieht am Himmel ein Seeadler seine Kreise. Der Steg endet am Strand, wo der Leuchtturm steht. Der 1991 restaurierte Turm Darßer Ort ist mehr als 30 Meter hoch. Wer die rund 120 Stufen bewältigt, kann über Darßwald, Strand und Ostsee blicken. Im Winter ist der Turm allerdings ebenso wie das nahe zum Meeresmuseums Stralsund gehörende "Natureum" nicht jeden Tag geöffnet. Auf dem Rückweg nach Prerow geht es kilometerweit durch den einsamen Darßwald.