Reisebuch "Verfluchte Berge":Unter Wölfen

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Fatos (l.) und sein Kumpel Barri gelangen zur isolierten Hütte. (Foto: Jörg Martin Dauscher)

Wenn schon Isolation, dann richtig: Jörg Martin Dauscher hat den Lockdown im vergangenen Corona-Winter eingeschneit auf einer Hütte in den Bergen Kosovos verbracht - und macht eine verstörende Beobachtung an sich.

Rezension von Stefan Fischer

Am Ende musste alles ganz schnell gehen. Den Sommer des vergangenen Jahres hatte Jörg Martin Dauscher im Süden Albaniens verbracht, der ihm eine zweite Heimat zu werden begann. Aber er war eben nur als Tourist im Land, und die Hoffnung, dass sein drei Monate gültiges Visum verlängert werden würde, erfüllte sich nicht.

Binnen weniger Tage, die Aufenthaltsgenehmigung war bereits abgelaufen, musste Dauscher Albanien verlassen - zu wenig Zeit, um einen geeigneten Flug von Tirana aus zu bekommen. Auch der Landweg war ihm größtenteils versperrt: Griechenland und Montenegro hatten ihre Grenzen aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen. Nach Nordmazedonien wollten ihn die albanischen Grenzer wegen des überzogenen Visums nur gegen ein Bußgeld ausreisen lassen. Blieb allein Kosovo, an diesem Übergang gab es nur kosovarische, keine albanischen Grenzbeamte.

Dauschers Plan war es, von dort nach Deutschland zu fliegen. Nur: Er hat in seiner Heimat keine Wohnung mehr, müsste bei Freunden unterkommen. Zu gewöhnlichen Zeiten kein Problem. Aber in ein Land im Lockdown zu reisen, "kam mir zunehmend bescheuert vor", schreibt Dauscher in seinem Buch "Verfluchte Berge": "Wozu? Um dort doof rumzusitzen?"

Es warten viele Aufgaben: Schneeschaufeln, Holzhacken, vereiste Leitungen auftauen

Ein neuer Plan reifte. "Wenn schon Isolation, dann richtig", so Dauscher. An einem Ort, an dem sich Kontaktreduzierung von alleine ergibt. Wieder ging alles ganz schnell. In Prizren trifft er einen Bekannten, der einen kennt, der wiederum einen kennt, der eine Hütte in den Verfluchten Bergen hat. Dort will er den Winter verbringen. Es ist bereits Ende November, bald wird der erste Schnee fallen, bis dahin muss er oben sein und sich eingerichtet haben.

Die Verfluchten oder Verwunschenen Berge heißen tatsächlich so, jedenfalls ist das der althergebrachte Name: Bjeshkët e Nemuna. Heute sprechen die Menschen eher von den Albanischen Alpen. Nicht so Fatos, dem die Hütte gehört und der aus dem Rugova-Tal stammt. Das Tal ist mehr eine Schlucht, es gibt keinen breiten Talgrund mit größeren Ansiedlungen, und es war lange Zeit eine Verbindung zwischen Kosovo und Montenegro. Inzwischen ist sie blockiert, es gibt aktuell nur eine Alternative. Die Zuschreibung Verfluchte Berge sei eine von außerhalb, von Fremden aus der Ebene, die das Gebirge passieren mussten. Fatos mag diesen Namen, obwohl er die Berge keineswegs verflucht, im Gegenteil.

Seine Hütte steht auf rund 2000 Meter Höhe, auf einer kleinen Lichtung inmitten von Tannenwäldchen. Von dort wird Dauscher drei Monate lang auf die Südflanke des Gebirgsstocks Hajla blicken, der die Grenze zu Montenegro bildet. Es wird in diesen drei Monaten ganz fürchterlich schneien. Schneeschaufeln, Holzhacken, vereiste Wasserleitungen auftauen, die Benzinkanister für den Generator ausgraben - Dauscher ist auf sich gestellt, um sein Überleben in den Bergen zu sichern. Einmal klaut ihm ein Fuchs Vorräte, und immer wieder kommen ihm Wölfe unbehaglich nahe. Neben der körperlichen Arbeit hat er auch noch einen Job zu erledigen: Er muss ein Buch über mediterrane Kochkunst fertigstellen, was in dieser Umgebung durchaus paradox ist.

Am Anfang ist alles ein Abenteuer. Irgendwann stellt sich Routine ein, und Dauscher macht eine ihn verstörende Beobachtung an sich: Die Ruhe macht ihn unruhig, die fehlende Ablenkung nervös. Also lenkt er sich ab und wird umtriebig. Um festzustellen, dass ihn das nicht befriedigt. Was eine befreiende Erkenntnis für ihn ist: dass er nichts verpasst in seiner Einsamkeit und während der Pandemie den Winter seines Lebens verbringt.

Jörg Martin Dauscher : Verfluchte Berge. Von einem, der eingeschneit wurde und das Fürchten verlernte. DuMont Reiseverlag, Ostfildern 2021. 248 Seiten, 16,95 Euro.

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