USA:Der Geschmack des Verbotenen

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In abgelegenen Hütten wurde in den Zwanzigerjahren nachts illegal "Moonshine"-Schnaps gebrannt. (Foto: Getty Images)

Jahrzehntelang wurde Moonshine-Whiskey heimlich produziert. Das beschert den Nachfahren der Schwarzbrenner auch heute noch ein einträgliches Geschäft - und den Kunden einen Schnaps mit Apfelkuchen-Aroma.

Von Tom Noga

Ein Ort ist Pigeon Forge nicht. Eher ein sechsspuriger Highway, der sich durch ein breites Tal in den Appalachen wälzt. Zu beiden Seiten der Straße: Hotels, Vergnügungsparks, Souvenirläden, oder besser: Andenken-Supermärkte. Eine Nebenstraße führt über den Little Pigeon Forge River. Dahinter ein Einkaufszentrum mit Boutiquen, Spielzeugläden, noch ein paar Souvenirshops. Und der Schnapsladen der Brennerei Ole Smoky Moonshine.

Schnapsläden in den USA sind gewöhnlich abschreckend: düster, vergittert, von außen nicht einsehbar - im Umgang mit Alkohol spiegelt sich die Prüderie des Landes. Aber dieser hier ist anders: Die Türen sind sperrangelweit geöffnet, die Fenster geben den Blick frei auf Regale gefüllt mit Hochprozentigem. Da steht der Klare neben hellblauem Blue Flame, der Kirschbrand neben einem blassroten Schnaps, der nach Apfelkuchen schmeckt. Nicht in Flaschen, sondern in versiegelten Einmachgläsern. So wurde während der Prohibition zwischen 1920 und 1933 Moonshine verkauft, schwarz gebrannter Whiskey. "Ihn reifen zu lassen, war zu gefährlich", sagt Will Perkins, "als illegales Produkt wollte man ihn so schnell wie möglich loswerden."

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Will Perkins ist Geschäftsführer von Ole Smoky Moonshine. Wie ein Geschäftsmann sieht er nicht aus in seinen speckigen Jeans und dem Holzfällerhemd, mit den schwarzen ungekämmten Haaren und dem Zehntagebart. Eigentlich ist Will Perkins Jurist. Vor ein paar Jahren hat ihn ein ehemaliger Studienkamerad gefragt, ob er nicht ins Whiskey-Geschäft einsteigen wolle. "Das war Joe Baker, der Gründer der Firma. Er kommt aus einer Familie von Schwarzbrennern und hatte dafür gekämpft, das Familiengeschäft zu legalisieren. Dafür mussten Gesetze geändert werden, denn die Vorschriften in Tennessee waren echt antiquiert."

Der Hersteller findet: "Schnaps brennen ist ein gottgegebenes Recht."

Und kompliziert. Die Gesetze des Staates stammten aus der Prohibition, als Herstellung und Vertrieb von Alkoholika verboten waren. Dabei blieb es in Tennessee, mit Ausnahmen für Jack Daniels und zwei weitere Whiskey-Hersteller. Erst seit einer Gesetzesnovelle 2009 ist es Gemeinden erlaubt, in ihrem Herrschaftsgebiet Brennereien anzusiedeln. Fünf Jahre später wurde beschlossen, dass einer Brennerei die Betriebsgenehmigung nur noch verweigert werden darf, wenn die Gemeinde "trocken" ist, Alkohol also gänzlich verbietet. Seitdem ist die Anzahl der Brennereien in Tennessee von drei auf 45 gestiegen.

Ole Smoky ist eine Erfolgsgeschichte. Mit mehr als 40 Schnäpsen auf dem Markt, die unter dem Label Moonshine laufen. Und mit weltweitem Vertrieb. "Hat uns selbst überrascht", sagt Will Perkins. "Aber dass es einen Markt gibt, war uns klar. Besucher haben oft gefragt: Wo gibt's hier Moonshine?" Will gießt einen Klaren ein. Klassischer Moonshine: kräftig, man schmeckt den Mais. Dann die aromatisierten Whiskeys: Margarita, Arme Ritter, Apfelkuchen, nur 20 Prozent Alkohol und höllisch süß. Will Perkins grinst: "Nichts für kultivierte Scotch-Trinker."

Gatlinburg gilt als Tor zu den Smoky Mountains. Und die Smoky Mountains sind mit elf Millionen Besuchern im Jahr der populärste Nationalpark der USA - weit vor Yellowstone und Grand Canyon. Dass in Gatlinburg Touristenmassen bespaßt werden, das sieht und hört man. Entlang der Hauptstraße reiht sich Kneipe an Kneipe. Dazwischen: natürlich Andenkenläden. Aus allen dröhnt laute Musik.

Gatlinburg ist die Heimat von Sugarlands, wie Ole Smoky gegründet von ehemaligen Schwarzbrennern. Die Firma betreibt einen Laden, den Holler. Auf der Bühne davor spielt eine Band Bluegrass, die Musik der Appalachen. Holler heißt auf Deutsch Senke, so werden die für die Appalachen typischen engen Täler bezeichnet. Im Holler findet eine Whiskey-Probe statt. Für zehn Dollar gibt es zehn Schnäpse, für 15 die doppelte Menge. Nur in Stamperln zwar, trotzdem haben die Tester schon glasige Augen.

Ein paar Meter weiter halten zwei Männer Hof: Digger Manes und Mark Ramsey. Ein Foto mit männlichen Kunden hier, ein Küsschen für weibliche dort. Die beiden gelten als Moonshine-Legenden. "Weil wir von Popcorn Sutton gelernt haben", sagt Manes. "Er war die wahre Legende."

Marvin "Popcorn" Sutton hat seine Leidenschaft für Moonshine mit dem Leben bezahlt: Um nicht ins Gefängnis zu müssen, beging er Suizid. Ein Skandal, findet Mark Ramsey: "Schnaps brennen ist ein gottgegebenes Recht." "Er hat die wichtigste Regel missachtet", ergänzt Digger Manes: "Verkaufe keinen schwarz gebrannten Schnaps an Leute, die du nicht kennst." Mark Ramsey nickt. "Noch besser: Wenn jemand nicht spricht wie du, verkaufe ihm nichts."

Bei Sugarlands werden Digger Manes und Mark Ramsey als Brennmeister geführt. Tatsächlich sind sie eher Markenbotschafter. Und TV-Stars. Wie Fernsehköche plaudern sie vor der Kamera über die Kunst des Brennens. Jede Staffel ist einem speziellen Moonshine gewidmet, zuletzt einem Haselnussrum. Sugarlands verkauft ihn mit dem Konterfei der beiden. "Die alten Schwarzbrenner waren alles gute Menschen", sagt Digger Manes. "Für sie war das ein Job, mit dem sie ihre Familien durchgebracht haben. Die meisten gingen regelmäßig in die Kirche. Wovon wurden die Kirchen hier denn gebaut? Vom Geld der Schwarzbrenner."

Darrell Miller ist Moonshiner in 13. Generation. Seit 1620, als die ersten Siedler mit der "Mayflower" nach Amerika kamen, brennt seine Familie Schnaps. Verkauft wird er heute wieder in Einmachgläsern - wie während der Prohibition. (Foto: Tom Noga)

Der Weg nach Hartford führt durch die Berge. Über schroffe Hügel und durch schattige Täler, in denen Nebel hängt - daher der Name: Smoky Mountains, rauchige Berge. Immer schmaler windet sich die Straße durchs Tal. Bis sie nur noch ein Feldweg ist. Hartford besteht nur aus ein paar Häusern, die sich im Schatten einer Autobahnbrücke ducken. In einem davon residiert Bootleggers, auf Deutsch: Schwarzhändler. Die Brennerei gehört Darrell Miller, einem großen, massigen Mann. Auch er trägt Latzhose. Darrell Miller ist Moonshiner in 13. Generation: "Seit 1620, seit die ersten Siedler mit der Mayflower rüberkamen. William Mullins, kannst du nachschlagen. Seine Tochter hat John Alden geheiratet, einen Fassmacher. Verdammt praktisch, nicht wahr?"

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Der Laden ist winzig: Holztheke, zwei Regale, sonst nichts. Im hinteren Raum rattert eine Destillieranlage. Bis vor ein paar Jahren hat Darrell Miller noch schwarz gebrannt. Das Geschäft hat er von seinem Großvater gelernt. Wie man Aceton und andere Nebenprodukte rausfiltert. Wie man die Temperatur an der Destille reguliert. Läuft sie zu heiß, erhält man zwar das Aroma, erreicht aber nur geringe Volumenprozent. Läuft sie zu kühl, ist es genau umgekehrt. Das Wichtigste aber: "Ich verwende nur Quellwasser, das nicht der Sonne ausgesetzt war." Darrell Miller schleppt sich einen Berg hinauf zur alten Familiendestille. Der Platz ist modrig und feucht. Auf Maultieren hat Miller die Zutaten hochgebracht und den fertigen Whiskey herunter. "Von März bis Oktober war Saison. Sobald die Blätter fielen, musste man aufhören. Da sah man den Rauch."

Abends auf Darrell Millers Veranda. Grillen zirpen, Vögel singen, ab und an fährt ein Auto vorbei. Moonshine schön und gut, sagt er. Die Aura des Verbotenen, der Prohibition, das wird immer Leute anziehen. Aber die Zukunft ist etwas anderes. Er gießt einen Bootleggers Reserve ein. Fünf Jahre im Eichenfass gereift. Süß, mit Aromen von Vanille und Tanninen. Ein Whiskey mit großem Potenzial.

Und dann fängt er an zu erzählen. Von Verwandten, die im Gefängnis gelandet sind. Von Onkeln. Sie wurden, so die offizielle Version, bei einem Jagdunfall erschossen. Aber jeder wusste, dass sie einem anderen Schwarzbrenner in die Quere gekommen waren. Und vom kleinen schwarzen Buch seines Großvaters. Darin waren die wichtigsten Kunden mit Telefonnummern aufgelistet. Vor allem die Honoratioren: Richter, Sheriffs, Staatsanwälte. Auch Miller hat ein solches Buch geführt, die Kontakte dann ganz anders genutzt. "Als die Gesetze geändert wurden, habe ich ihnen vorgerechnet, was an Steuern reinkommt, wenn ich mein Geschäft legal betreibe. Das hat sie überzeugt. Allein meine Steuern hätten für eine neue Schule gereicht." Miller schenkt nach. Noch einen Bootleggers Reserve. Nicht im Stamperl, sondern wie es sich gehört: im bauchigen, dickwandigen Glas. Auch für Darrell Miller hat sich der Deal mit der Gemeinde gelohnt. "Ich habe zwei Töchter, und ich wollte nicht, dass sie ohne Vater aufwachsen. Mit Bootleggers lebe ich unsere Familientradition und muss mir keine Sorgen machen, im Gefängnis zu landen."

© SZ vom 06.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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