Reiseziel Tunesien:Hilfe von Darth Vader

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Ein Burnus, ein traditioneller Umhang der Berber, ähnlich den Jediritterroben. Hier dekoriert zum Verkauf in den Kulissen von Mos Espa. (Foto: Anja Martin)

Tunesien will Urlauber verstärkt in die Wüste schicken. Dazu sollen auch die alten "Star Wars"-Kulissen besser vermarktet werden.

Von Anja Martin

Die meisten sind schwarz, das erstaunt nicht weiter. Gelbe kommen überraschend oft vor, weiße immer seltener. Blau ist keines. Welche Farbe ein Kennzeichen hat auf den Straßen im Süden Tunesiens, sagt einiges aus über die Situation des Landes: Außer den heimischen Autos mit den schwarzen Nummernschildern fahren die der Algerier, am Heck gelb wie früher die Franzosen. Und die weißen der Libyer.

Letztere sieht man inzwischen seltener, denn die Grenze zum östlichen Nachbarn ist nicht so durchlässig, wie sie einmal war. Schließlich sind da die Trainingslager des IS. Und Terroristen kann das oft als Modellstaat der Demokratie in Nordafrika bezeichnete Land nun wirklich nicht gebrauchen. So hat die Armee vor zweieinhalb Jahren einen 180 Kilometer langen Graben ausgehoben. Zurzeit wird die Grenze mit Hilfe aus Deutschland und den USA zusätzlich elektronisch verstärkt und verlängert.

Je weiter man in die Spitze des Landes hineinfährt, das wie ein kleiner Keil vom Mittelmeer in den afrikanischen Kontinent gehauen ist, umso dicker werden die Staubschichten auf allem, am augenfälligsten auf den Windschutzscheiben. Die Farbe Beige dominiert in der Landschaft, das wenige Grün wirkt matt. Siedlungen werden seltener, genau wie Verkehrsschilder und Wegweiser. Außerdem finden sich neben der Fahrbahn immer mehr Inseln aus Plastikflaschen und Kanistern, in denen Benzin aus Libyen für den Bruchteil des Preises vertickt wird, den es an den Tankstellen kostet. Der Schmuggel füllt hier im vergessenen Süden, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und wenig investiert wird, in vielen Häusern die Kühlschränke. Die Polizisten drücken mal ein, mal zwei Augen zu.

"Ihr denkt immer, das ist so nah. Aber ich war in meinem ganzen Leben noch nicht in Libyen", sagt der 42 Jahre alte Dhaou Debara. Unter der Trainingsjacke trägt er die Hose der Berber und um den Kopf den Chech, ein Turbantuch, das so gewickelt wird, dass man es über die Nase ziehen kann, um Sand und Staub abzuhalten. Alles in Schwarz, wie eine Wiederholung des Darth-Vader-Kostüms, das neben ihm an der Lehmwand hängt.

Dhaou Debara ist in Ksar Haddada nördlich von Tataouine und rund 120 Kilometer von der libyschen Grenze entfernt für die Sicherheit zuständig, und er ist auch eine Art Hausmeister. Langsam geht er durch die bienenstockförmige Speicherburg mit ihren kleinen Lagerhöhlen, den Ghorfas, in denen die Berber früher Lebensmittel aufbewahrt haben. 1997 wurde das Ksar zum Sklavenviertel der Stadt Mos Espa im "Star Wars"-Film "Die dunkle Bedrohung". Dann zum Hotel. Heute leben innerhalb der Burg nur Esel, und Hunde, die frei herumstreunen dürfen, sobald die Tagesgäste weg sind.

Mos Espa liegt mitten in der tunesischen Wüste, nördlich von Nefta, fast an der algerischen Grenze. Noch kommen offfenbar nicht genügend Touristen, dass es sich lohnt, das Café in Betrieb zu halten. (Foto: Anja Martin)

Seit 2018 kommen die Gäste wieder fleißig, sagt Dhaou Debara. Nach den Anschlägen in Sousse und Tunis vor vier Jahren ging die Zahl der westeuropäischen Touristen vorübergehend um bis zu 75 Prozent zurück: Regierungen sprachen Reisewarnungen aus, Flüge wurden gestrichen. 2019 kamen zwar immer noch 25 Prozent weniger Europäer als vor der Revolution 2011. Dennoch war ein Aufschwung zu spüren, auch deshalb, weil deutlich mehr Russen und Chinesen kommen. Der Süden jedoch erholt sich langsamer. Dhaou vermisst weiterhin die Deutschen. Von Jahresbeginn bis Mitte Oktober reisten 236 000 von ihnen nach Tunesien - immer noch 30 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2010. Tunesiens Tourismusminister René Trabelsi glaubt ganz fest an ihre Rückkehr. Dazu will er auch den Wüstentourismus und Ausflüge zu kulturellen Zielen im Land stärken. Bislang gelingt es Tunesien allerdings nicht mal, die Drehorte einer Kultfilmsaga so richtig zu vermarkten.

Im Ksar Haddada gibt es zu "Star Wars" kaum mehr Informationen, als auf ein selbstgebasteltes Plakat mit rotstichigen Filmszenen passt. Der komplette Weltraumhafen Mos Espa, in der Realität eine Ansammlung von Kulissen nördlich von Nefta nahe der algerischen Grenze, verfällt zusehends. Wenigstens wurde das mitten in der Sandwüste liegende Set im Zuge eines Projektes der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) eingezäunt, Klohäuschen aufgestellt und Schilder mit Beschreibungen angebracht. Ein "Star Wars"-Fanklub hat mit Crowdfunding-Geldern eine Düne umgeleitet, die sonst alles begraben hätte. Einzig ein paar Berber haben verstanden, dass sich der Ort für sie lohnen kann: Sie versuchen, Sandrosen und Tonvasen zu verkaufen. Oder darf es ein Burnus sein? Der traditionelle Wollumhang mit großer Kapuze erinnert frappierend an die Roben der Jedi-Ritter. Auch Tee und Fotos mit einem Dromedar haben die Berber im Angebot.

Vielleicht haben die Tunesier ja recht. Wieso sollen sie sich mit schnell hingezimmerten Filmkulissen beschäftigen, während die Wohnhöhlen und Speicher der Berber Jahrtausende überdauern? Wer durch den Süden fährt, etwa ins Dahar-Gebirge, merkt irgendwann, dass die Landschaft nicht so unbewohnbar ist, wie sie aussieht. An manchen Bergkuppen kann man Löcher erkennen. Mehrere Meter tief gruben die Menschen ihre Wohnungen und Speisekammern in den Fels. Douiret, 20 Kilometer südwestlich von Tataouine, ist eine solche Felsenburg. Früher war dies die wichtigste Stadt der Gegend, in der die großen Karawanen haltmachten. Heute lebt im alten Teil des Dorfes keiner mehr.

Besser sieht es im Nachbarort Chenini aus, wo noch 123 Familien leben und viele Ghorfas bewohnt sind. Es könnte bald zum Unesco-Weltkulturerbe werden. Um die begehrte Auszeichnung zu erhalten, müsste aber einiges, wofür die Menschen in Chenini dankbar sind, wieder versteckt werden. "Die Stromleitungen etwa", sagt Habib Belhedi, ein Zahnarzt, der in Tataouine lebt, sich aber in Chenini engagiert, ein Restaurant betreibt und eine Höhlenpension eröffnet hat. In den 700 Jahre alten und bis zu 18 Meter tiefen Zimmergrotten fühlt man sich wie ein Archäologe. Eine Art Spielbrett aus gleichförmig angeordneten Löchern findet sich im ausgewaschenen Boden. Hinten ist eine Hochzeitskammer, die nur einmal nach der Heirat benutzt wird. Danach verstaut man darin alles Wertvolle. An der Decke sind Versteinerungen von Muscheln, denn vor 200 Millionen Jahren war hier ein Meer. Beinahe hätte der Starrsinn der Behörden zur Folge gehabt, dass man die Fossilien nicht mehr sehen kann. "Man wollte von mir, dass ich eine Stahlbetondecke über die Höhlendecke lege", erinnert sich Belhedi kopfschüttelnd. "Dabei ist der Fels um ein Vielfaches stärker als Beton."

Im Dorf begegnet man Frauen, die komplett unter rot-weiß-karierten Tüchern verschwinden, und versteht, was der Zahnarzt Belhedi meint, wenn er sagt: "Für Massentourismus ist das nichts." Die Frauen hätten Angst, fotografiert zu werden, und würden sich dann nicht mehr auf die Straße trauen. Der Tourismusminister allerdings hat Chenini schon als mögliches Sightseeing-Ziel ausgemacht: Es könnte ein neues Aushängeschild des Sahara-Tourismus werden, findet der Minister, zusammen mit Tataouine, Tozeur, Douz und Nefta. Dann würden hier jedenfalls mehr Autos mit blauen Nummernschildern parken, denn die kennzeichnen Mietwagen.

Douz ist das Tor zur Wüste. Ein paar große Hotels, ein rechteckiger Marktplatz mit Café-Bestuhlung, viele kleine Gassen, in denen sich die Jungen schon mal Rennen auf ihren Araberhengsten liefern. Zum Spaß, nicht für Touristen. Viele Urlauber starten hier ihre Wüstentouren oder setzen sich zumindest auf ein Dromedar und lassen sich eine Runde in die Sandwelt hineinschaukeln. Die Alternative, vor allem, wenn man Strecke machen will: der Jeep.

Stundenlang Sand. Die Autos ziehen Staubfahnen hinter sich her. Der feine Sand drückt durch die Dichtungen in den Innenraum. Gut, wenn man sich einen Chech besorgt und den Beduinen ihre Wickeltechnik abgeschaut hat. Kaum Gegenverkehr. Keine Häuser. Keine Shops. Herden mit Hütejungs. Mal eine Oase, ganz unromantisch mit parzellierten Dattelpalmenplantagen, stumpfen Farben, Zweckarchitektur, Baustellen. Einheimische auf Quads. Motorradfahrer auf dem Trip ihres Lebens. Aber meist einfach nur Sand, Sand, Sand. Schnell versteht man, wie die perfekte Fahrlinie zwischen den Dünen verläuft: nie obendrüber, eher so drum rumwedeln wie beim Skifahren auf den Buckelpisten.

Wir müssen nun irgendwo da sein, wo man laut Auswärtigem Amt nicht mehr weiterfahren soll. Die Behörde rät ab von Reisen in die Wüste südlich und südöstlich einer Linie von der algerischen Grenze im Westen über Douz, Tozeur, Tataouine bis Zarzis. Tatsächlich sind vor elf Jahren hier zwei österreichische Wüstenfahrer entführt, aber wieder freigelassen worden. Seitdem ist nichts mehr passiert. Das Gebiet zwischen algerischer und libyscher Grenze ist schwer zu kontrollieren.

Nach 150 Kilometern taucht das Wüstencamp Zmela auf. Ein paar niedrige Gebäude, dahinter Zelte. Etwa ein Quadratkilometer, auf dem sich die Dünen drängen. Die Oberfläche erinnert an die Haut auf zu heißer Milch. Kleine Falten überziehen die Hügel. Der Sand ist so fein, dass der Wind andauernd die oberste Schicht bewegt, was wirkt, als würde ein seltsamer Schein auf ihnen liegen. Hier trifft man nun auch mal Touristen, alle aus dem Inland oder Emigrierte auf Heimatbesuch. Da ist die 29 Jahre alte Asma Mathlouthi, die in San Diego Medizin studiert und jetzt mit alten Freunden durchs Land fährt. Ob die jungen Weltoffenen mit dem perfekten Englisch einmal zurückkommen? "Ja klar, irgendwann", sagt Asma. Und fügt hinzu: "Aber das kann noch dauern." Zwar gebe es seit der Revolution viele Freiheiten im Vergleich zu früher, als man nichts hätte sagen dürfen. Aber die beruflichen Chancen sind gleich null. Wo soll Asma denn ihre Karriere als Gefäßchirurgin vorantreiben?

Vielleicht ist das auch die Krux des Landes: Man fühlt sich so modern, so frankophil, so nah an Europa. Viele sind gut ausgebildet. Doch am Ende produziert Tunesien dann doch vor allem Olivenöl und Kabelbäume - und selbst dieses Business stagniert seit den Attentaten, die einfach doch mehr Spuren hinterlassen haben als nur die Einschusslöcher in der Aufzugtür im Bardo-Museum in Tunis. "Monika, Claudia, Sandra!", rufen die Souvenirverkäufer vor der Museumstür. Und: "Deutschland, schönes Land!" Man möchte zurückrufen: Tunesien, schönes Land. Passt drauf auf.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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