Fassatal im Trentino:Der Jude unter den Ladinern

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Moena im Fassatal breitet sich in einer Senke beidseitig des Avisio aus. (Foto: imago/imagebroker)

Im Ersten Weltkrieg bewahrte Richard Löwy im Fassatal viele Bewohner vor der Front. Aus Dank versteckten sie den Juden später vor den Nazis - von seinem traurigen Ende erzählen die Einheimischen heute noch.

Von Helmut Luther

Fabio Chiochettis Gesicht ist so tief gebräunt, dass man hier im Fassatal gar nicht anders kann, als auf ausgedehnte Bergtouren zu schließen. Doch weit gefehlt: "Braun werde ich am Meer, nicht in den Bergen", sagt der Mittsechziger und lacht.

Chiochetti, seit vielen Jahren Direktor des Ladinischen Kulturinstitutes, hat in Bologna Philosophie studiert und ist ein Mann des geschriebenen Wortes. Die Berge schaut er sich am liebsten von unten an, genauer: von seinem Schreibtisch im Istitut Cultural Ladin in Vigo.

Das Institut, das sich um die Kultur und die ladinische Sprache der Bewohner des Fassatals kümmert, ist in einem ehemaligen Heustadel untergebracht, mit Aussicht: Über grünen Wiesen, auf denen Kühe weiden, reihen sich die Felsen der Sellagruppe aneinander. Im Regal steht eine DVD mit dem Titel: "Richard Löwy, ein Jude unter den Ladinern im Fassatal". Chiochetti hat an dem Film mitgearbeitet. Er war auch Mitorganisator der Dauerausstellung "Richard Löwy, ein Jude in Moena" im Kulturzentrum Navalge.

Als die deutschen Truppen Norditalien besetzten, wurde die neue Heimat zur Falle

Richard Löwy, 1886 in Böhmen geboren, war ein Ingenieur und österreichischer Offizier. Als Kommandant der k. u. k. Bauleitung war er im Fassatal stationiert. "Er hat im Ersten Weltkrieg viele Männer aus unserem Tal vor dem ,Heldentod' an der Front gerettet, indem er sie für Arbeiten an Stellungen heranzog", erzählt Chiochetti. Frauen habe er Einkommen als Näherinnen und Wäscherinnen verschafft.

Deshalb ist in Moena die Hauptstraße, die Via Riccardo Loewy, nach ihm benannt. 1916 wurde er sogar zum Ehrenbürger von Moena ernannt. Als 1938 mit der Machtübernahme der Nazis in Österreich landesweit die Jagd auf Juden begann, habe sich Löwy, der seit dem Kriegsende in Wien lebte, an die alten Bekannten im Fassatal gewandt. "Hier fanden er und seine Angehörigen Zuflucht. Man hatte den Wohltäter nicht vergessen."

Doch als Mussolini 1943 vom Großen Faschistischen Rat entmachtet wurde, besetzten die Deutschen Norditalien, und der vermeintlich sichere Zufluchtsort der Löwys wurde zur Falle. Anfang Juli wurden Richard, seine Frau Johanna, seine Schwester Martha sowie der Schwager Hermann Riesenfeld zum ersten Mal verschleppt - in ein Gefängnis nach Trient, von dort aus kamen sie zunächst aber wieder heim.

"Meine Mutter kannte die Löwys gut, sie hat oft von ihnen erzählt", sagt Chiochetti, sie sei dabei gewesen, als die beiden Ehepaare abgeholt wurden. "Sie arbeitete in einem Bäckerladen gegenüber dem Hotel Faloria am Hauptplatz von Moena und lief ohne nachzudenken zum Wagen, auf dessen Ladefläche die Löwys hockten, und ergriff die Hand Johannas."

Der Schreck war groß. Die deutschen Gendarmen hatten ihre Gewehre umgehängt. Zum Glück habe keiner geschossen. Fabio Chiochetti kannte auch Valeria Jellici, jene Lehrerin, die den Löwys ein Haus zur Verfügung gestellt hatte und aus deren Briefen man Löwys Schicksal rekonstruieren konnte.

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Über den Radweg, der sich am Avisio entlangschlängelt, kann man von Vigo nach Moena wandern. Er führt durch eine Wald- und Wiesenlandschaft, vorbei an gestapelten Baumstämmen, über denen der Geruch von frisch gefälltem Holz schwebt. Auf Anhöhen über dem Talgrund stehen Dörfer, darüber die Dolomitengipfel. Moena, der etwa 2500 Einwohner zählende Hauptort des Fassatals, breitet sich in einer Senke beidseitig des Avisio aus.

Hinter einer Brücke liegt die zentrale Piazza. Hier hielt der Lastwagen, mit dem die Löwys damals abtransportiert wurden. Hinter den Hotels an der Hauptstraße befinden sich alte Wohnhäuser. In einem der Häuser nahe am Hauptplatz hat die Lehrerin Valeria Jellici gewohnt. Begraben ist sie auf dem Friedhof hinter der Pfarrkirche.

An einem kalten Januarmorgen 1944 tauchten die deutschen Gendarmen auf

Ein gepflasterter Weg führt im Zickzack zum Hügelpodest hinauf, wo die aus grauem Kalkstein errichtete Pfarrkirche steht. Am Eingang unterhält sich ein weißhaariger Kapuzinerpater mit einem Dorfbewohner. Natürlich habe er mit der Lehrerin Valeria Jellici zu tun gehabt, erklärt der Pater.

"Manchmal mehr, als mir lieb war. Valeria hat mich an den Ohren gezogen, wenn ich nicht brav war", sagt der Alte und lacht. Der Pater weist den Weg zu einem neueren Friedhofsteil. Dort erinnert eine Marmortafel an die Lehrerin, der die Löwys in Briefen von ihren Sorgen berichteten und die ihnen Kleidung und Lebensmittel in die Lager schickte.

Von Moena aus wurden Richard Löwy und seine Familie von den Nazis nach Auschwitz deportiert. (Foto: Wikimedia Commons/Public domain)

Auf einer Anhöhe über dem Avisio auf der anderen Talseite liegt Someda, der wohl schönste Ortsteil von Moena. "Nur wissen das leider viele Touristen nicht", erklärt Rosa Tibolla, die dort das Lokal Sayonara leitet. Auf ihrer Terrasse kann man mit Blick auf die Dolomitengipfel einen guten Cappuccino trinken. Die ältere Dame ist zum Plaudern aufgelegt.

Aus einer Schublade holt sie ein Buch hervor, in dem über die Familie Löwy berichtet wird. "Das ist das Haus, in dem die Familie Unterschlupf fand, bevor sie abgeholt wurde", sagt die Wirtin. Sie zeigt auf ein altes Foto, man sieht ein Steinhaus mit einer Außentreppe ins Obergeschoss. "Dort oben hinter dem Dorfbrunnen ist es."

Und weil gerade keine anderen Gäste da sind, hängt Tibolla einen Zettel an die Tür und führt die Besucher die Stradon de Fascia hinauf, vorbei am Brunnen und der Dorfkirche. Beim Haus, das sie "la casa di Toni Ninzele" nennt, bleibt die Wirtin stehen.

Es sieht beinahe unverändert aus. "Ich war damals zwei Jahre alt, als an einem kalten Januarmorgen 1944 die deutschen Gendarmen in einem Lkw ankamen und die Treppe hinaufstürmten." Ihre Mutter habe ihr diese Szene so geschildert.

Ende in Auschwitz

Der Dorfbrunnen war zugefroren, so kalt sei es an jenem Morgen gewesen. "Als die verschreckten Löwys die Treppe herunterkamen, sprang ihnen laut bellend Richards Hund nach. Ein Gendarm, der die hintere Bordwand an der Ladefläche heruntergeklappt hatte, drehte sich um und schoss dem Hund mit seiner Pistole in den Kopf."

In Viehwaggons gepfercht, kamen die Löwys und Riesenfelds am 26. Februar 1944 nach Auschwitz. Im gleichen Zug erreichte auch Primo Levi die Mordfabrik. Der damals erst 25 Jahre alte Chemiker und Schriftsteller aus Turin, der seine Erlebnisse im KZ Auschwitz in seinem ergreifenden Bericht "Ist das ein Mensch?" niederschrieb, überlebte.

Die Löwys und Riesenfelds aber wurden als "arbeitsuntauglich" eingestuft und gleich nach ihrer Ankunft ins Gas geschickt. Doch in Moena hat man sie nicht vergessen.

Die Ausstellung "Richard Löwy, ein Jude in Moena" ist im Teatro Navalge in Moena zu sehen. Eintritt: fünf Euro. Tel.: 0039 / 346 / 2 41 57 76.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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