Teneriffa:Zu viele Touristen und trotzdem arm

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Blick über San Cristobal de La Laguna auf den Berg Teide bei Sonnenuntergang *** Panoramic view ove

Schön und bedroht: Teneriffa hat nicht nur Strände, sondern auch den höchsten Berg Spaniens, den Teide, zu bieten, hier mit San Cristóbal de La Laguna im Vordergrund. Doch so langsam droht die Insel am eigenen Erfolg zu ersticken.

(Foto: imago/Kraft)

Der Tourismus auf Teneriffa soll nachhaltiger werden - weil nicht nur Einheimische, sondern nun auch die Urlauber unzufrieden werden.

Von Brigitte Kramer

Wenn Barbara Bamberger das Vorurteil entkräften will, Teneriffa sei überlaufen, dann greift sie zu einem weißen DIN-A4-Blatt. Die deutsche Tourismusfachfrau ist als Kind mit ihren Eltern nach Teneriffa gekommen. Die Insel ist ihre Heimat, sie spricht dieses weiche, fließende Spanisch der Kanaren, nicht das harte, gelispelte der meisten Festlandspanier. Bamberger steckt in einem Dilemma. Die 83 mal 54 Kilometer große Insel ist eigentlich ziemlich voll.

Darunter leidet sie selbst im Alltag. Doch die Insel lebt vom Tourismus, er stellt 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und rund 40 Prozent aller Arbeitsplätze. "Und trotzdem bedecken Hotels, Restaurants oder Freizeitparks nur drei Prozent der Insel", sagt sie und faltet das Blatt sechs Mal, bis eine briefmarkengroße Fläche übrig bleibt: Diesen Teil der gesamten Insel beanspruche der Tourismus, etwa drei Prozent. Eine entsprechende Fläche bedeckten Städte, Dörfer, Straßen, Gewerbeparks.

Der Verkehr des Nordens ist so dicht, dass man sich besser nicht ablenken lässt

Mit der Faltnummer will Bamberger Reiseveranstalter oder Journalisten davon überzeugen, dass auf Teneriffa noch viel Platz ist, vor allem im Sommer. "Im Winter brauchen wir nicht unbedingt mehr Besucher", gibt sie zu. Argumente sind das milde, frühlingshafte Klima auch im Hochsommer oder die landschaftliche Vielfalt. "Knapp die Hälfte Teneriffas steht unter Naturschutz", sagt sie und faltet das Blatt wieder auseinander, "und ein Viertel der Insel ist von Wald bedeckt", sagt sie und faltet es einmal mehr zusammen.

Wieso hat man dann trotzdem das Gefühl, dass die Insel kurz vor dem Kollaps steht? Vielleicht, weil die eine Million Einwohner und sechs Millionen Touristen, die jährlich kommen, vor allem in den Tourismus- und Infrastrukturgegenden herumwuseln. Und weil sie viel Zeit im Auto verbringen.

Auf dem Weg vom Flughafen Tenerife Norte in den Touristenort Puerto de la Cruz kann man weder die erwähnte Hälfte Naturschutzgebiete noch das Viertel Wald erspähen. Man sollte es auch nicht versuchen.

Der Verkehr und das Straßennetz des Nordens sind so dicht, dass man besser nicht in die Landschaft schaut. Einfädeln auf der dreispurigen Autobahn, die Abfahrt in Kreisverkehren nicht verpassen, Unter- und Überführungen überwinden, bergauf, bergab, rund um den 3718 Meter hohen Teide. In dem Ballungsraum um die Hauptstadt Santa Cruz leben mehrere Hunderttausend Menschen, Städte und Gemeinden gehen grenzenlos ineinander über.

Wie Ameisen auf einem Haufen machen die Menschen auf der spitzen Vulkaninsel täglich viel Strecke, zur Arbeit, zur Universität, in den Teide-Nationalpark, in eines der Naherholungsgebiete, an die Strände. Die einen im eigenen Wagen, die anderen im Mietwagen.

Was tut die Inselregierung dagegen? "Zu wenig", gibt Bamberger zu, "wir brauchen mehr Buslinien und einen Zug", sagt sie. Hier hat jede Familie mindestens zwei Autos. Bamberger selbst pendelt täglich zwischen Haus, Schule der Kinder und Büro. Ihr Mann arbeitet im Süden und fährt täglich hundert Kilometer. Staus gehören zum Alltag der Familie, andere treffe es noch schlimmer, sagt Bamberger. "Ich habe Kollegen, die brauchen morgens für einen Arbeitsweg von 35 oder 40 Kilometern bis zu eineinhalb Stunden."

Eine Begrenzung der Besucherzahlen ist aber nicht im Gespräch. Auch keine Umweltabgabe, obwohl es bis 2030 in Richtung Nachhaltigkeit gehen soll. In dem Tourismus-Weißbuch "Estrategia Turísticade Tenerife" ist aber vor allem von der wirtschaftlichen Säule des Begriffs die Rede: Weniger Strand- und Partytourismus, mehr Angebote für kaufkräftige Besucher, mehr Natur, mehr Gastronomie, mehr Sterne.

"Die Inselregierung tut nichts gegen die Überfüllung", sagt Federico Aguilera Klink, pensionierter Volkswirt an der Universität von La Laguna, "sie hat Angst vor den Reiseveranstaltern." Teneriffa werde erst auf die Bremse treten, meint er, wenn die Touristen unzufrieden würden. Der Punkt scheint erreicht zu sein: Fast die Hälfte der Reisenden hatte 2017 an der Insel etwas auszusetzen, unter anderem die hohe Verkehrsdichte.

Fast die Hälfte der Bevölkerung ist von Armut bedroht, hat nichts vom Geld der Touristen

Auch sozial ist Teneriffas Branche Nummer eins alles andere als nachhaltig: 45 Prozent der Bevölkerung sind von Armut bedroht; die gesellschaftliche Umverteilung des Geldes, das die Touristen bringen, funktioniert nicht. Und sie leiden am eigenen Leib unter den indirekten Folgen des Tourismus': Die Bevölkerungszahl hat sich in hundert Jahren versechsfacht.

Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Dirk Godenau von der Universität La Laguna hat errechnet, dass nur noch neun Prozent der konsumierten Kalorien von den Inseln stammen. Aus Bauern wurden Kellner, das Land liegt brach und erodiert. "Heute hat Teneriffa die höchsten Bodenpreise Spaniens", sagt er, "und Landbau für den Eigenverzehr wird von der Regionalregierung weniger subventioniert als der Anbau und die Ausfuhr von Bananen und Tomaten." Sichtbares Resultat dieser Mischung aus geringem Einkommen und mehrheitlich importierten, oft industriell verarbeiteten Lebensmitteln ist die hohe Rate an übergewichtigen Menschen und Diabetikern auf den Kanaren. Es ist die höchste Spaniens.

Bei der Ökologie greift der Nachhaltigkeitsplan dann viel zu kurz. Der Grundwasserspiegel sinkt, das Abwasser wird schlecht geklärt ins Meer geleitet, die Müllrecyclingrate ist niedrig und die Energie wird zumeist in Dieselkraftwerken generiert. Trotzdem kommen immer mehr Menschen.

Ermutigend wirken lediglich Initiativen einzelner Unternehmer wie die des deutschen Hoteliers Wolfgang Kiessling, der sein 44 Jahre altes Hotel Botánico ökologisch aufgewertet hat. Es funktioniert mit LED-Leuchten, hat einen eigenen Wasserkreislauf mit Infrarot- und Aktivsauerstoffbehandlung, in die Bäder ließ Kiessling Sparhähne und -spülungen einbauen und auf das Dach Solarmodule montieren. Ein Wärmetauscher leitet die Luft der Klimaanlage in das Spa weiter. So spart der Unternehmer Kosten und Emissionen.

Tourismusdezernent Alberto Bernabé ist weniger engagiert. Er fühlt sich für Umweltthemen nicht zuständig und verweist auf seinen Kollegen, den Umweltdezernenten José Antonio Valbuena. Der findet schon, dass alles zusammenhängt. "Wir können Teneriffa nicht im Namen des Tourismus plündern", sagt er, und fügt an: "Unsere Hauptaktivität produziert enorme Mengen an C0₂, und zwar nicht nur das, was wir selber ausstoßen, sondern auch das, was wir mit der Fliegerei quasi importieren." Das sind 72 Prozent aller Emissionen der Insel.

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