Papua-Neuguinea:Die Gurkenfischer

Papua-Neuguinea: Der Bismarck-Archipel umfasst rund 200 Inseln.

Der Bismarck-Archipel umfasst rund 200 Inseln.

(Foto: jup)

Seegurken sind die Müllabfuhr des Meeres und zugleich eine begehrte Delikatesse. Der Heißhunger auf die Stacheltiere hat gravierende Folgen für den entlegenen Bismarck-Archipel.

Von Jutta Pilgram

Sechs Jahre lang hatten die Seegurken ihre Ruhe. Sie krochen über den Meeresgrund und wühlten sich durch den Bodensatz. Bis zu diesem Sommer. Da erlaubte die Fischereibehörde in Kavieng, der Hauptstadt der Provinz Neuirland in Papua-Neuguinea, dass die glibberigen Würste wieder gesammelt werden dürfen.

Seegurken sind kein Gemüse, sondern weiche Stacheltiere. In China sind die getrockneten Stachelhäuter als Delikatesse begehrt. Ein Kilo ist bis zu 3000 Dollar wert. Deshalb werden auf der ganzen Welt die Bestände geplündert - auch auf der winzigen Insel Enuk im Bismarck-Archipel. Der Heißhunger der Chinesen hat das Leben der Inselbewohner in wenigen Monaten verändert.

"Letztes Jahr waren wir arm", sagt Penny, "jetzt sind wir reich." Der 38-jährige Fischer zeigt auf eine Hütte aus geflochtenen Palmwedeln. Auf der Veranda steht ein nagelneues Fahrrad, daneben ein großes Spielzeugauto. Enuk sieht ungefähr so aus, wie man sich das Südseeparadies vorstellt: weißer Sand, hohe Kokospalmen, Mangroven, Hibiskus und üppiger Kroton. Jetzt ist es ein Paradies voller Plastik: Vor den Hütten stehen Plastiktiere, Bobbycars und Bluetooth-Boxen.

"Eigentlich mögen wir keine Seegurken", sagt Penny, "wir essen lieber Fisch." Dabei ist die Seegurkenernte viel einfacher. Die Fischer waten durchs flache Wasser und lesen die Würste mit der Hand auf. Oder sie sammeln sie vom Boot aus ein. Manchmal schnüren sie sich auch einen Gürtel aus Steinen um und lassen sich bis zu zwölf Meter tief ins Meer hinab, um die Stacheltiere am Grund aufzuklauben.

Zwei Monate dauerte die Ernte auf Enuk, dann verhängte die Fischereibehörde ein Fangverbot für die nächsten zehn Jahre, damit sich die Bestände erholen können. Denn der Seegurken-Rausch verändert nicht nur das Leben der Inselbewohner, er zerstört auch das Ökosystem der Küstenregionen. Seegurken arbeiten wie kleine biologische Recycling-Fabriken: Sie schaufeln die Überbleibsel anderer Tiere in sich hinein, trennen Verdauliches von Abfällen und fungieren als eine Art Müllabfuhr des Meeres.

Die vierhundert Bewohner von Enuk gehen jetzt wieder ihrer normalen Arbeit nach, sie fischen und ernten Kokosnüsse. Abends leuchten die Kerosinlampen vor der Küchenhütte. Man trifft sich zum Mumu, dem traditionellen Gericht, bei dem Fisch, Fleisch, Süßkartoffeln und Gemüse in Bananenblätter gewickelt und in einem Erdofen auf Steinen gegart werden. Fernsehen gibt es nicht, der Empfang auf der Insel ist zu schlecht. Neuerdings liegen einige Solarpanels auf den Wellblechdächern. "Die haben wir von den Chinesen", sagt Penny, "aber sie gehen schnell kaputt."

Kein Mehl, keinen Wein, keine Eier: Das Versorgungsschiff kommt nur alle zehn Tage

Wenn er nicht mit dem Fischerboot unterwegs ist, fährt Penny hinüber zur Nachbarinsel Lissenung, zwei Kilometer übers offene Meer. Hier arbeitet er als Nachtwächter. Und hier lebt Ange Amon, 48 Jahre alt, aus der Nähe von Celle. Ange, die eigentlich Angelique heißt, betreibt mit ihrem Mann ein Tauchresort. Wie eine Hotelanlage sieht das Lissenung Island Resort aber nicht aus. Versteckt im Wald stehen sieben Hütten auf Stelzen, es ist Platz für insgesamt 16 Gäste. Die Insel ist so groß wie zwei Fußballfelder, gesäumt von weißem Strand, umgeben von einem intakten Korallenriff.

Lissenung und Enuk sind zwei von etwa 200 Inseln des Bismarck-Archipels. Sie liegen im Korallen-Dreieck, mitten im ältesten Riffsystem der Welt. Nirgends sonst ist die Vielfalt an tropischen Fischen und Korallen größer, es gibt zehn Mal so viele verschiedene Arten wie in der Karibik. Auch wenn Papua-Neuguinea ein schwieriges Reiseland ist: Taucher wissen, dass sie hier die schönsten Unterwasserreviere finden.

"Wir haben heute keine Eier, kein Mehl und keinen Wein", sagt Ange, "es ist ein ewiger Kampf." Das Essen auf Lissenung ist ausgezeichnet, die Zimmer sind komfortabel. "Deshalb können sich unsere Gäste nicht vorstellen, dass wir nicht einfach in den Supermarkt gehen und Eier kaufen können." Nach Kavieng sind es zwar nur 20 Minuten mit dem Motorboot. Doch in der Provinzstadt gibt es keine Hühner. Und das Schiff mit den Eiern kommt nur alle zehn Tage. Kürzlich wäre Ange fast nach Rabaul geflogen, die Hauptstadt der Insel Neubritannien, um Eier zu kaufen. Doch dann wusste sie nicht, wie sie die Fracht nach Hause transportieren sollte.

Im Sandkasten liegen die geretteten Schildkröten-Eier

Früher arbeitete Ange als Reiseverkehrskauffrau und Tauchlehrerin in Australien. Bis sie Dietmar Amon traf, einen Ingenieur aus Wien, der schon seit 1995 auf Lissenung lebt und die Insel von der katholischen Kirche in Papua-Neuguinea gepachtet hat. Jetzt ist Ange verheiratet und Chefin von 22 Mitarbeitern, die jeden Tag von Enuk herüberkommen und fünf Kina pro Stunde verdienen, umgerechnet 1,30 Euro.

Anfangs schwebte Ange ein partnerschaftliches Miteinander vor. Schließlich hat sie sonst keine Freunde hier in der Abgeschiedenheit des südpazifischen Archipels. Nur die Gäste, mit denen sie abends an einem langen Tisch im offenen Gemeinschaftshaus sitzt. "Ich wollte, dass die Mitarbeiter mich Ange nennen", erzählt sie. Doch das wollten die Mitarbeiter nicht, sie blieben hartnäckig bei "Boss".

Sie versorgt Kranke und Verletzte. Ein Arzt zeigte ihr, wie man Wunden näht. An einem Huhn

Das ärgert die Chefin. Denn einerseits beschwerten sich die Einheimischen darüber, dass alle Tauchresorts in Papua-Neuguinea in der Hand von Australiern oder Europäern sind. Andererseits wollten sie selbst nicht mehr Verantwortung übernehmen, meint sie. Ein Mitarbeiter habe sich besonders gut angestellt, er habe gelernt, Fliesen zu legen und Außenbordmotoren zu reparieren. Sie wollte ihn zum Teamleiter machen, doch das habe ihm der Clan übel genommen. Die anderen Mitarbeiter warfen ihm vor, sich für etwas Besseres zu halten. So lange, bis er kündigte.

Stattdessen engagiert sich Ange nun für die Meeresschildkröten. Mit dem Boot fährt sie hinaus zu einer kleinen Insel, auf der die Tiere ihre Eier im Sand verbuddeln. Sie sind vom Aussterben bedroht, doch ihr Fleisch und ihre Eier werden auf dem Markt in Kavieng teuer gehandelt. Deshalb versucht Ange, schneller zu sein als die Einheimischen. Sie sucht den Strand nach Spuren ab, gräbt die Eier aus und versenkt sie in einem Sandkasten hinter der Tauchbasis, wo sie in Sicherheit sind.

Vor hundert Jahren gab es in dieser Gegend schon einmal deutsche Weltverbesserer. Als der Bismarck-Archipel noch zur Kolonie Deutsch-Neuguinea gehörte, gründete der Nürnberger Freidenker August Engelhardt auf der Insel Kabakon bei Rabaul den "Sonnenorden", eine erste Aussteigerkommune. Er war davon überzeugt, dass nur Nacktheit und die ausschließliche Ernährung mit Kokosnüssen den Menschen zur Erleuchtung bringen könne. Im Jahr 1919 starb er, geschwächt und unterernährt, aber weiterhin fest im Glauben an seine Heilslehre.

Heute, 44 Jahre nach seiner Unabhängigkeit, ist Papua-Neuguinea ein Land mit vielen Problemen. Doch auf den Inseln des Bismarck-Archipels ist es ruhig und friedlich. In Lissenung gibt keine Kriminalität, keine Tsunamis, keine heimtückischen Tiere. "Ein Ort zum Altwerden ist es trotzdem nicht", sagt Ange. "Die Arbeit ist zu anstrengend." Ihre Hand steckt in einem Verband, eine Sehnenscheidenentzündung, die sie selbst kuriert, sie hat keine Krankenversicherung. Ungefähr alle zwei Jahre kommt die Malaria zurück, daran hat sie sich gewöhnt. Schlimmer sei das Dengue-Fieber.

Das Krankenhaus in Kavieng verfügt über ein einziges Sauerstoffgerät, erzählt Ange. Kürzlich starb ein Baby, weil das Gerät nicht frei war. Normalerweise hilft sie mit Sauerstoffflaschen von der Tauchbasis aus, doch die Zeit war zu knapp. Auch sonst fühlt sie sich für Krankheiten und Verletzungen der Inselbewohner zuständig. Sie habe sogar gelernt, Wunden zu nähen, erzählt sie. Ein Arzt, der zu Gast auf Lissenung war, habe es ihr gezeigt. Geübt habe sie an einem Huhn.

Penny war noch nie auf dem Festland in Papua-Neuguinea. Vor der Hauptstadt Port Moresby und den Stammeskriegen im Hochland fürchtet er sich. "Auf den Inseln ist es viel entspannter", sagt er. Was er über die Menschen im Hochland hört, findet er merkwürdig. "Sie glauben an Geister und Blutrache", sagt Penny, "das ist doch verrückt."

Auf Enuk gibt es zwei Schulen und drei Kirchen, die meisten Menschen sind Methodisten. Penny will mehr wissen über die Welt außerhalb des Archipels. Seine Tochter hat ihm eine App aufs Handy geladen, es ist ein naturwissenschaftliches Lernprogramm. "Gestern Nacht habe ich das Kapitel über Gesteine gelesen", sagt Penny, "alles über Berge und Felsen. Das war so spannend, dass ich nicht mehr schlafen wollte."

Reiseinformationen

Anreise: über Singapur oder Hongkong in Papua-Neuguineas Hauptstadt Port Moresby. Von dort fliegen Air Niguini und PNG Air täglich mit Zwischenstopp in Rabaul nach Kavieng. Bis Enuk und Lissenung braucht das Boot 20 Minuten. Unterkunft: Lissenung Island Ressort, das DZ mit Vollpension kostet 115 Euro, www.lissenung.com.

Tauchen: Weitere Tauchresorts in Papua-Neuguinea sind das Walindi Plantation Resort in der Kimbe Bay, das Tufi Dive Resort in Tufi, das Tawali Resort in der Milne Baybei Alotau oder die Tauchbase Rabaul Dive Adventures in den Kokopo Beach Bungalows.

Weitere Auskünfte: www.papuanewguinea.travel

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Zur SZ-Startseite
Marquesas Inseln
Blick auf die Verräterbucht mit Mont Temetiu

SZ PlusSüdseeinsel Hiva Oa
:Die ganz große Freiheit

Schon für Paul Gauguin und Jacques Brel war die abgelegene Insel Hiva Oa der perfekte Ort. Wild und schrecklich schön ist die Südsee hier bis heute - und das Leben einfach und frei.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: