Spanien: Balearen:Schlaflos auf Ibiza

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Basstrommeln, Schweiß und teure Schönheit bestimmen den Tagesrhythmus an den Stränden und in den Clubs von Ibiza. 24 Stunden auf einer Partyinsel, auf der zwar nicht mehr alles geht - aber immer noch genug.

Philipp Crone

Als Joan das Pacha verlässt, ist er mal wieder unglücklich, doch das ändert sich schnell. Es ist Samstagmorgen um halb sieben, der nahende Sonnenaufgang beleuchtet die Stadt mit einem milden, blauen Licht. In diesem Moment ist Ibiza für einen kurzen Moment eine ganz normale Insel, friedlich und ruhig. Meer, Strand und Straßen sind leer. Der Blick auf das Wasser an der Plaja d'en Bossa erinnert ein wenig an die Null-Linie eines Herzschlags. Die Null-Linie der Insel, jeden morgen um halb sieben.

(Foto: iStockphoto)

Joan genießt die kurze Ruhe. Der 22-jährige Ibizenko sieht aus wie eine Mischung aus Justin Timberlake und Nils Holgersson. Auch in dieser Nacht hat es nicht geklappt, er geht alleine nach Hause, keine Frau im Arm. Egal, Joan probiert es am Abend ohnehin gleich wieder, da eröffnet das Amnesia, die angeblich zweitgrößte Disco der Welt, für die Sommersaison. Vielleicht klappt es ja dort. Joan geht nach Hause. Bis zum Abend hat er nichts zu tun, er hat geerbt und arbeitet nicht.

"Pass gut auf meine Rolex auf"

Ein paar Minuten später ist der Herzschlag zurück. Ein Flugzeug dröhnt über die Strandpromenade, die Gäste strömen aus den Clubs. Es wird laut. Es wird so, wie sich das wohl viele vorstellen, wenn sie "Ibiza" hören: Ein großer Vergnügungspark, ohne Einschränkungen, alles ist erlaubt. Doch es hat sich einiges verändert, sagen die Menschen, die hier leben, wenn man sich umhört in Ibiza-Stadt.

Als Joan ins Bett geht, steht Eduardo auf und bereitet seinen Stand am Strand vor. Dort sitzt er am Vormittag unter einem Sonnenschirm auf einem Plastikstuhl. Was sich verändert hat zu Ibiza vor zehn Jahren? "Vor allem zwei Dinge: Die Leute und ihre Geldbeutel."

Mittlerweile gebe es große Unterschiede. Manche brächten sehr viel Geld, andere besäßen gerade mal genug, um zwei Tage über die Runden zu kommen. Früher seien es vor allem Deutsche und Engländer gewesen, die bei ihm einen Jetski ausgeliehen haben, nun kämen Inder, Marokkaner, Ägypter und viele Russen. "Neulich hatte ich eine Gruppe aus Marokko. Sie haben mir die 50 Euro für 20 Minuten fahren hingelegt, dann gab mir einer einen Stapel Geldscheine in die Hand, 6000 Euro, und eine Rolex. Ob ich darauf aufpassen könne."

Gerade hat ein neues Hotel aufgemacht, mit den Wohlhabenden als Zielgruppe. Das Ushuaia ist eine Mischung aus Disco und Resort. Rund um eine Tanzfläche und Bühne sind die Gebäude angeordnet, man kann auf seinem Balkon mitfeiern. Und Partys gibt es vier pro Woche, bis um Mitternacht.

Von den anderen, die nicht in einem der teuren Hotels wohnen, kämen viele aus Italien, sagt Eduardo. "Die kommen mit einem billigen Flug, schlafen am Strand und haben nur das Geld für den Eintritt und ein paar Getränke dabei." 60 Euro kostet im Pacha allein der Eintritt, jedes Bier weitere zehn Euro.

Cala Xarraca (Foto: iStockphoto)

Für einen Gast im Ushuaia spielen die hohen Preise keine Rolle. Hier stehen die Moët-Flaschen in der Minibar, ein Zimmer kostet zur Hauptsaison 310 Euro. Für 3000 Euro die Nacht kann man sich ein Partyzimmer mieten und wird laut Hotelwerbung von Frauen bedient, "die hübscher sind als die normalen".

Schönheit ist die Währung

Schönheit. Das ist die Währung auf der Insel. Die meisten Männer haben durchtrainierte Oberkörper mit Tattoo, die Frauen tragen möglichst wenig, damit ihre Modelmaße weithin zu sehen sind.

Eduardo vom Jetski-Verleih sagt: "Vor zehn Jahren sahen die Touristen noch normal aus, ein Tattoo war etwas Besonderes. Jetzt hat jeder eines." Manchen Männern habe er dabei zusehen können, wie sie von Jahr zu Jahr muskulöser geworden seien. "Und die Oberweite der Frauen nahm ebenfalls zu."

An Eduardos Platz tönen am Samstagmittag die House-Beats der Strand-Disco Bora Bora herüber. Ein junger Mann zieht nur widerwillig sein T-Shirt über, wie vom Türsteher gefordert. Wofür hat er denn trainiert? Damit jetzt keiner seine Muskeln sieht? Drinnen zieht er das Shirt sofort wieder aus. Neben ihm steht eine Gruppe bleichhäutiger Engländer. Die Biergläser der sechs Männer stehen sicher auf einem blauen Tisch, gebaut wie eine Schublade, so dass auch im allergrößten Rausch kein Glas runterfällt. Einer aus der Gruppe ist beim Tippen einer SMS eingeschlafen.

Werbung ist die halbe Insel. Und alle werben für das gleiche: die Clubs. Die vier größten heißen Pacha, Amnesia, Space und Privilege. Für das Pacha laufen junge Frauen durch die Stadt, bekleidet nur mit einem winzigen Slip und kleinen Hütchen auf den Brustwarzen. Die Botschaft ist eindeutig: Wer Spaß will, muss ins Pacha.

Noch ist es allerdings früher Samstagabend. Joan steht auf, und Franzisco beginnt zu arbeiten in seinem Café Granja Dunes am Strand von Ibiza-Stadt. Franzisco ist ein ruhiger Mann mit Kugelschreiber in der Hemdtasche. Er arbeitet hier seit 20 Jahren. Gerade kommen zwei Typen in Muskelshirts herein, bestellen Bier, sammeln Flyer ein und gehen wieder. "Vor allem die jungen Touristen heute respektieren keine Regeln mehr", sagt Franzisco. "Es wurde in den vergangenen Jahren immer mehr gestohlen, und viele bezahlen nicht." Deshalb findet Franzisco das neue Gesetz gut. Es zwingt die Clubs, um sieben Uhr morgens zu schließen. "Dadurch ist die Drogensache besser geworden", sagt Franzisco.

80.000 Euro für zwei Stunden an den Plattentellern

Die Drogensache. In der Innenstadt flüstern Männer nachts den Passanten "Cocaina?" zu, bevor diese in die großen Discos fahren, zum Space und zum Amnesia. Dort legt an diesem Abend Paul Kalkbrenner auf. Der Deutsche ist in der Techno-Szene ein Star. Und die größten Namen des Techno, wie Sven Väth, Bob Sinclar oder Carl Cox, sind auf Ibiza im Dauer-Einsatz.

Der 37-jährige Franzose Yann Pissenem mit dem Körperbau eines Ringers arbeitet seit 15 Jahren in Clubs und hat das Ushuaia-Konzept entwickelt. "Ibiza hat die größten und besten Clubs der Welt", sagt er. "Hierher kommen keine Touristen, sondern Spezialisten." Solche, die Stars an ihren Reglern drehen sehen wollen. "Hier kann ein DJ schon mal 80.000 Euro für zwei Stunden an den Plattentellern verdienen", so Pissenem. Noch immer sei Ibiza einzigartig, sagt er und lächelt, "auch wenn es früher das Freedom Island war". Der Ort, an dem alles ging.

Drogen-Fahnder auf Streife

Jetzt geht nicht mehr alles, aber noch genug. Jetzt fahren abends jede Menge Streifenwagen durch die Straßen, auch auf der neuen Autobahn, die die beiden Feierzentren der Insel verbindet: St. Antonio im Norden und Ibiza-Stadt im Süden. Auf halbem Weg liegen die Diskotheken Privilege und Amnesia. Es sind Bauten, die wie Möbelhäuser aussehen. Auf der Autobahn darf man meist nur 60 fahren, weil es schon viele Unfälle gab.

Während zu späterer Stunde in Ibiza-Stadt Franzisco in seiner Bar weiter Bier ausschenkt und ein junger Italiener nebenan über seinem Dönerteller am Tisch eingeschlafen ist, entsteht zehn Kilometer weiter vor dem Amnesia eine immer längere Schlange.

3.42 Uhr. Hunderte warten auf ein Taxi zurück, Hunderte warten auf Einlass. Türsteher schubsen die Menge hin und her. Drinnen gibt es kaum Luft, es ist stickig, riecht süß, schwadenweise nach Schweiß oder Haschisch. Die Fächer, die am Eingang verteilt werden, helfen kaum. Auf einer Fläche eines halben Fußballplatzes drängen sich hier fast 10.000 Leute.

In rotes Licht getaucht

Kalkbrenner steht in rotes Licht getaucht hinter seinem Laptop und spielt mit den Armen der eingequetschten Masse. Ein Track läuft aus, Bassline und Bassdrum werden weggedreht. Die Leute merken, dass etwas Neues kommt, sie jubeln schon. Dann der Bass, die Bassdrum, die Hände sind oben. So geht das alle drei Minuten, stundenlang.

Wie halten das die Gäste durch? Ein Mann zückt eine winzige gelbe Tüte, klopft sich weißes Pulver auf den Handrücken, zieht seine Nase drüber, dann noch eine Linie für die Freundin, und weiter geht's. Um sechs Uhr wird es erstmals ein wenig leerer. Joan läuft zwischen den beiden Tanzflächen hin und her, schaut sich um, wieder unglücklich.

Flyer für "Alocohol-Killer-Getränke"

Draußen wird es hell, Hostessen in Minikleidchen verteilen Flyer für "Alcohol-Killer"-Getränke. Jacobo, ein junger Mann aus Italien, steht da und schaut in den Himmel, neben ihm ein geräuschvoll fummelndes Paar. "Ich wollte einmal auf Ibiza feiern", sagt Jacobo. "Aber es ist nicht so gut." So wie Jacobo klingen manche Touristen auch nach einem Wiesn-Besuch. Erschrocken und zufrieden, einen Party-Wallfahrtsort gesehen zu haben.

Es sei nicht mehr so besonders hier, sagt auch Eduardo vom Strand. Aber noch immer locken der Name und die perfekte Infrastruktur zur Dauerparty. Auf der Insel selbst hat sich wenig verändert in den vergangenen Jahren, abgesehen von den vielen Tattoos.

Joan verlässt das Amnesia, es ist 6.30Uhr, vorne am Strand ist es wieder ruhig. Nur das Meer rauscht. Leise, immer lauter, dann ist es ein Dröhnen, der erste Flieger landet, bringt neue Gäste. Ibiza ist wieder wach.

Anreise: Flug nach Ibiza-Stadt, hin und zurück etwa 220 Euro. www.airberlin.com

Unterkunft: Hotel Ushuaia: Doppelzimmer in der Hauptsaison 310 Euro, Nebensaison 150 Euro, www.ushuaiabeachhotel.com

Clubs: Eintritt in die Clubs kostet je nach DJ zwischen 30 und 70 Euro.

Weitere Auskünfte: www.ibiza.travel/de

© SZ vom 30.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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