Sony Center in Berlin:Ick bin ein Koreaner

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Verbote über Verbote und für Stimmung sorgt allein die Klimaanlage: Ein Besuch im gerade wieder verkauften Sony Center am Potsdamer Platz in Berlin.

Thorsten Schmitz

Wer das Gelände des Sony Centers am Potsdamer Platz betritt, wird auf Schildern darüber belehrt, was man nicht machen darf. Es ist so ziemlich alles, was Menschen machen können (oder möchten), wenn sie einen Platz betreten, auf dem sich einmal der Todesstreifen befand und der jetzt in allen Touristenführern auftaucht.

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Man darf die Dachkonstruktion nur von unten anschauen, man darf nicht filmen oder fotografieren zu gewerblichen Zwecken, man darf nicht mit Aufzügen fahren und sich das Gebäude von oben anschauen; Musik machen ist nicht erlaubt, Skateboard- und Rollschuhfahren auch nicht, Hunde dürfen nicht von der Leine gelassen, Tauben nicht gefüttert und Luftballons nicht losgelassen werden.

Sitzen darf man auch nicht auf den Treppen oder in den Grünanlagen, Alkohol darf man nur in den Gaststätten trinken.

Nur eines ist erlaubt im Sony Center: kaufen und konsumieren.

Man kann auch wohnen in dem Ensemble aus sieben Häusern, das auch. Wobei die Frage gestellt werden muss: Wer will an einem Ort wohnen, der jährlich von acht Millionen Menschen besucht wird? Acht Millionen Menschen, die übrigens alle dasselbe tun, wenn sie den Ort zum ersten Mal betreten: Sie recken die Köpfe nach oben, also auch ungefähr in die Richtung, wo die Luxuswohnungen liegen. Wobei die Besucher nicht einen Blick auf die Schlafzimmer des Sony Centers im Sinn haben, wenn sie den Kopf in den Nacken legen, sondern den 800 Tonnen schweren elliptischen Baldachin aus Stahl und Seilen und Glas, der über den Gebäuden hängt.

Nachts erglüht die seltsame Konstruktion in wechselnden Farben des Pariser Lichtkünstlers Yann Kersale, tagsüber drückt sie schwer auf den Gebäudekomplex. Es ist wie ein gigantischer Regenschirm, der aufgespannt bleibt, auch wenn die Sonne (mal) scheint in Berlin.

Man darf übrigens auch keine Fragen stellen zum Sony Center.

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Vielleicht ist es gerade auch kein guter Moment. Das Sony Center feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum, aber zum Feiern ist den Noch-Besitzern wohl gerade nicht zumute. Innerhalb von zehn Jahren sind das Gelände und die sieben futuristischen Gebäude des Star-Architekten Helmut Jahn gerade zum zweiten Mal verkauft worden.

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Spätestens im Mai wird das Center mit dem Namen des japanischen Elektronikkonzerns an den staatlichen südkoreanischen Pensionsfonds NPS verkauft, das heißt: geradezu verscherbelt.

Das einst für 750 Millionen Euro gebaute Sony Center wird jetzt zur Altersvorsorge für Millionen Koreaner. Der Noch-Besitzer, ein Immobilienfonds der US-Investmentbank Morgan Stanley, muss das neue Wahrzeichen des wiedervereinigten Deutschland loswerden, um seine eigenen Schulden loszuwerden. Der Fonds hat sich verspekuliert, kämpft mit Rekordabschreibungen von mehr als fünf Milliarden US-Dollar.

Es heißt, der 200 Milliarden US-Dollar reiche koreanische Konzern habe beim Kauf ein Schnäppchen gemacht und werde den Amerikanern nur 570 Millionen US-Dollar zahlen - 30 Millionen US-Dollar weniger als Morgan Stanley gezahlt hat. Vielleicht ist die Sprecherin von Morgan Stanley deshalb so unfreundlich, als man sie fragt, ob man sich die Wohnungen im Sony Center mal anschauen dürfe.

"Nein, so etwas machen wir nicht", hatte sie gesagt. Und dann geblafft, als man wissen wollte, weshalb: "Wir verkaufen keine Äpfel, also kann ich Ihnen auch keine Äpfel zeigen, selbst wenn Sie Äpfel sehen wollen."

Äpfel kann man tatsächlich im Sony Center nicht kaufen. Aber Fernseher, Laptops, Digitalkameras und MP3-Player. Es gibt Kinos, eine bayerische Gaststätte, einen Lego-Shop, ein Restaurant im alten Kaisersaal, und dann noch eines und dann noch eines.

Eine Palme steht in der Mitte, unter dem Baldachin, der den Fernsehturm am Alexanderplatz als Berlin-Motiv Nummer eins abgelöst hat. Die Palme tut einem leid, weil sie kein Sonnenlicht abbekommt. Sie steht an einem Brunnen, der eine unspektakulär kleine Fontäne produziert, die wiederum den Schulklassen aus Barcelona, Mailand und Kopenhagen als beliebter Fotohintergrund dient. Wenn man sich so einen ganzen Tag und einen halben Abend im 130.000 Quadratmeter großen Sony-Center-Areal herumtreibt, gehen einem die Wohnungen nicht aus dem Kopf.

Plötzlich läuft man an einem edlen Immobilienagenten vorbei, ruft an, und schon für den nächsten Tag kann man einen Termin ausmachen. Von 134 Wohnungen im Sony Center stehen 33 seit zehn Jahren leer, erfährt man dabei, getarnt als Kauf-Interessent. Die Ladenhüter-Wohnungen sind zwischen 130 und 160 Quadratmeter groß, kosten zwischen 600.000 Euro und 750.000 Euro und werden als "Wohnen mit Blick auf den Tiergarten" gepriesen.

Steht man dann in den Wohnungen, hat man das Gefühl, in der Kulisse von "Blade Runner" zu stehen, dem Science-Fiction-Film.

Vom Tiergarten sieht man nur in der Ferne Baumwipfel. Was man aber vor allem sieht, sind die Büros und ihre Angestellten in den Gebäuden im Sony Center, die Mitarbeiter der Deutschen Bahn etwa, wie sie an ihren Mittagsbroten knabbern. Sie scheinen so nah an Schlafzimmern und Küchen der freistehenden Wohnungen, dass man glaubt, ihnen die Hand reichen zu können.

Von den Wohnungen aus sind die Menschen am Brunnen zu erkennen, wie sie sich gegenseitig fotografieren und hinaufschauen. Auf den Fluren, die zu den Luxus-Wohnungen führen, ist es leer. Wegen der isolierten Schallschutzfenster ist es so still, dass man nur Klimaanlagen summen hört. Das tosende Leben wirkt von hier aus wie ein Stummfilm.

Die Immobilienmaklerin gibt zu, dass die Wohnungen Amerikanern, Italienern, Brasilianern und Deutschen fast ausschließlich als Zweitwohnsitz dienten: "Wenn Sie hier wohnen, haben Sie es sehr ruhig."

Irgendwann ist man erschöpft. Man möchte sich am liebsten auf eine Treppe setzen, aber weil das verboten ist, schlendert man zum Filmhaus, wo die Deutsche Film- und Fernsehakademie untergebracht ist, ein Filmmuseum und die Marlene Dietrich Collection. Sony hatte das Filetstück nur damals mit seinen Warentempeln und Restaurants bebauen dürfen, wenn es das Filmhaus und die Mediathek als Mieter akzeptierte. Im Grundstückskaufvertrag ist deren preiswerte Miete auf 30 Jahre festgelegt. Vor dem Aufzug fragt ein älterer Mann im roten Anzug: "Wo soll es denn hingehen, mein Herr?"

Der Mann im roten Anzug steht seit zehn Jahren fünfmal im Monat von morgens um sieben bis abends um sieben an den drei Aufzügen und hält arglose Touristen davon ab, auf die Dachterrasse der Filmakademie zu fahren. Er war mal Offizier bei der NVA, der DDR-Armee, aber man soll auf keinen Fall seinen Namen aufschreiben.

Er ist 69 Jahre alt und schwärmt von den "Partytomaten" und "Partygurken" in seinem Kleingarten. Vom Sony Center schwärmt er nicht. Schnell vergeht eine Stunde.

Er sagt: "Das Interessante am Sony Center ist doch das, was man nicht sieht." Also zum Beispiel, dass das ganze Gelände mal Morast war, dass das Hotel Esplanade, von dem nur noch eine Mauer existiert, elf Millionen Reichsmark gekostet hat, dass Albert Speer riesige Betonquader in den Morast hat versenken lassen, um zu testen, ob man auf dem Gelände bauen kann.

Und dass Katarina Witt, die Eiskönigin, mal eine Wohnung hier besessen habe. Wie er die Architektur am Potsdamer Platz findet? "Schauen Sie doch selbst. Ihr Blick bleibt nirgends hängen!" Es gebe schönere Gebäude als das Sony Center, sagt er.

Dann sagt er noch: "Ich sag mal, wer vom Land kommt, der kann sich für das Sony Center begeistern. Der kennt so was ja nicht."

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 30.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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