Schottland:Im Urlaub spielen wir Buchhändler

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Diesen Buchladen können Touristen je eine Woche lang übernehmen. Die Warteliste ist lang. (Foto: Visit Scotland)

Wigtown in Schottland hat 1000 Einwohner und zehn Buchläden. Einen können Urlauber mieten, um darin zu wohnen, zu lesen und natürlich Bücher zu verkaufen.

Von Tanja Schwarzenbach

Fährt man durch Schottlands Süden, durch Dumfries and Galloway, eine Landstraße entlang, die sich kurvenreich durch die Hügel schlängelt, durch das gleißende Sonnenlicht, das sich immer wieder durch die Wolken schiebt, beginnt man irgendwann, sich Gedanken über Schafe zu machen. Über ihr Fell zum Beispiel.

Dass sich daraus prima ein dicker Pulli stricken ließe, den man hier gut gebrauchen könnte. Bei einer kurzen Pause kommt man in Versuchung, sich mit den Schafen zu unterhalten, einseitig natürlich: "Wann hört diese Straße endlich auf?! So komme ich ja nie in Wigtown an." Denn sonst gibt es hier niemanden weit und breit, den man fragen könnte.

Genauso ist Schottland doch!? Die Weite der Landschaft, die stürmische Küste, das wechselhafte Wetter; Tee, Scones, ein offener Kamin. Diese romantischen Ideen! Alle wahr. In Wigtown, der nationalen Buchstadt Schottlands, kann man all das erleben und außerdem einen Traum verwirklichen, den offenbar viele Menschen haben: In einem schottischen Küstenstädtchen eine Woche lang Buchhändler auf Zeit zu sein.

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Für 45 Pfund, etwa 50 Euro, am Tag können Besucher ein Apartment und den Secondhandbuchladen "Open Book" darunter anmieten, nach Lust und Laune das Geschäft umdekorieren, die Bücher neu sortieren und, natürlich, Bücher verkaufen. Apartment und Buchladen sind bis zum Jahr 2021 ausgebucht. Auf der Warteliste stehen noch weitere 700 Interessenten.

Wigtown ist ein kleines beschauliches Städtchen mit ein paar bunten Häusern, zwischen denen der Meeresgeruch hängt. Es duftet nach Gras, wenn es geregnet hat, und abends, wenn aus den Kaminen Rauch steigt, riecht es nach Öl und Holz. Es ist auch ein Ort, in dem die Einwohner Neuankömmlinge freundlich über den Gartenzaun grüßen und die Gemeinschaft loben.

"Hier gibt es keine Verbrechen. Die Menschen sind ehrlich und füreinander da", sagt Nanette Craig, eine reizende 85-jährige Dame mit rosa Lippenstift und pinkfarbenem Halstuch. Jeden Montag bringt sie den neuen Mietern des Open-Book-Shops zur Begrüßung selbstgebackenes Shortbread vorbei, verpackt in eine weiße Serviette.

Der 1000-Einwohner-Ort hatte gute Tage, als die Menschen noch Arbeit hatten in der Whiskybrennerei und der Molkerei, den größten Arbeitgebern in der Gegend. Doch als die Destillerie in den Fünfzigerjahren schloss, ging es stetig bergab, die Jungen zogen weg und es blieben die Alten. In Wigtown gab es zwar bald schon einige antiquarische Buchläden, doch erst 1997 bewarb sich der Ort um den Titel einer nationalen Buchstadt und bekam ihn ein Jahr später.

Berühmt wegen eines Buchs über nervige Kunden

Mittlerweile kann man hier in zehn Buchläden und zwischen 250 000 Büchern stöbern, die meisten sind gebraucht. Auch das größte antiquarische Buchgeschäft Schottlands und gleichzeitig das älteste von Wigtown, "The Bookshop", hat hier seinen Sitz, mit einem Bestand von 100 000 Büchern.

Shaun Bythell, Besitzer des Bookshop, half 2015, das Open Book mit Büchern auszustatten, denn wenn er von etwas reichlich hat, dann davon. Bythell hat es in Wigtown zu einer gewissen Prominenz gebracht, weil er ein witziges Tagebuch über sein Dasein als Buchhändler geschrieben hat, vor allem auch über nervige Kunden: "The Diary of a Bookseller".

Er ist ein Mann in den Vierzigern mit rotem Haarschopf, großer Brille und trockenem Humor, der dem Online-Buchhandel und der Digitalisierung nichts abgewinnen kann. Zur Demonstration dieser Haltung hängt in seinem Laden an einem Bücherregal ein durchlöcherter Amazon-Kindle. Darunter steht geschrieben: "Amazon Kindle, shot by Shaun Bythell, 22nd August 2014, near Newton Stewart."

Shaun Bythells früherer Lebensgefährtin Jessica Fox war während eines Besuchs im einzigen Pub von Wigtown die Idee zu dem Open-Book-Konzept gekommen. Sie selbst hatte es 2007 nach Wigtown verschlagen, weil sie daheim in Kalifornien davon geträumt hatte, einmal in ihrem Leben in einem kleinen Buchladen an der schottischen Küste zu arbeiten.

Als sich die Gelegenheit ergab, kauften Bythells Eltern das Eckhaus in der 2 High Street in Wigtown, und Fox machte daraus ein Apartment mit dem Second-Hand-Buchladen Open Book darunter. "Ich war überrascht, wie gut die Idee ankam. Ich dachte, andere Menschen könnten eine ähnliche Vision haben wie ich sie hatte, aber ich wusste nicht, wie global der Wunsch verbreitet ist", sagt Fox. "Es kommen Menschen aus aller Welt."

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Im Open Book, hinter dem Holztresen, stecken auf mehreren Weltkarten bunte Nadeln in den Städten und Ländern, aus denen Menschen nach Wigtown gereist sind, um für kurze Zeit Buchhändler zu sein: Südafrika, Neuseeland, Australien, Kanada, USA, Japan, aber auch Spanien, Frankreich und Schweden. Jessica Fox nennt das "Buchladen spielen". Genau das machen nun eine Woche lang Marcy und Holly aus Washington D.C. und aus Point Roberts bei Seattle.Sie hatten sich vor zweieinhalb Jahren, als sie das Open Book buchten, nicht irgendeine Woche ausgesucht, sondern die letzte Woche im September, in der das jährliche Wigtown-Buchfestival stattfindet, das ein kleines Team zusammen mit dem halben Ort das ganze Jahr lang plant und organisiert. Kurz vor dem Festival erwacht der Ort aus seiner Beschaulichkeit.

Der Preis für dieses Buch? Nun, mal schauen ...

Zelte werden aufgebaut, Menschen rennen aufgeregt hin und her, um die letzten Vorbereitungen zu treffen - und auch für das Open Book gelten ausnahmsweise andere Regeln.Denn obwohl die Buchhändler auf Zeit das Open Book normalerweise öffnen und schließen dürfen, wann sie möchten - das Ganze soll ja Spaß machen und Zeit für Erkundungen lassen - sollen sie ausnahmsweise, please, wegen des Starts des Buchfestivals pünktlich um zehn Uhr mit dem Verkauf beginnen. Der Vermieter des Ladens nämlich ist offiziell die Wigtown Festival Company.

Am Vorabend erst angereist, sitzen Marcy und Holly deshalb am nächsten Tag schon früh im Buchladen und lassen sich von Harvey Lindsay, einem Mitarbeiter der Wigtown Festival Company, erklären, was hier wie zu tun ist. Die Bücher, in denen kein Preis vermerkt ist, können zum Beispiel selbst geschätzt und verkauft werden, die Einnahmen sollen dann in die kleine blaue Kasse hinter dem Tresen gelegt werden. Sie kommen der Festival Company zugute.

Das Open Book ist klein, aber verwinkelt und verlockt zum Stöbern in den Abteilungen "Motten und Schmetterlinge", "Geflügel und Landwirtschaft", "Klassiker" oder auch "Schottische Geschichte". Ein Roman über Nazis und auch Albert Camus' "The Outsider" verlassen die Regale, die Pfundstücke fliegen nur so in die Kasse. Marcy ist pensionierte Rechtsanwältin, Holly ist für eine US-Bundesbehörde tätig.

Doch seit sie Shaun Bythells Tagebuch gelesen habe, sagt Holly, könne sie sich ernsthaft vorstellen, nach ihrer Pensionierung in ihrem Heimatort einen unabhängigen Buchladen zu eröffnen. Schließlich ließen sich so gleich mehrere Dinge verbinden, die ihr am Herzen liegen: Bücher, Kaffee und Gemeinschaft.

Shaun Bythells Antiquariat liegt nur ein paar Häuser vom Open Book entfernt. Über ihn und seinen Laden gibt es sogar einen Song, geschrieben von Beth Porter und Ben Please, den zwei Musikern der Bookshop Band. Die beiden begannen vor einigen Jahren, für eine Buchhandlung in England Liedtexte zu schreiben, inspiriert von Romanen.

Seitdem treten sie mit ihren Buchsongs in Buchläden auf und landeten irgendwann in Wigtown, wo sie mittlerweile leben. Auch im Open Book gaben sie schon Konzerte und nahmen einmal sogar, für ein Lied über Alice im Wunderland und die darin vorkommende Teeparty, die Stimmen der Einwohner von Wigtown auf.

Beth Porter und Ben Please musizieren als Bookshop Band in Wigtown. (Foto: Wigtown Festival Company)

Im ersten Stock von Bythells Buchladen nun, in einem riesigen Wohnzimmer mit Stuckdecke, packen Porter und Please ihre Instrumente aus. Auf Cello und Gitarre beginnt die Bookshop Band ihren wunderbaren Song "How not to woo a woman" zu spielen.

Ja, wirklich, sie sitzen dabei vor einem offenen Kamin, während draußen ein kühler Wind weht, sich die Sonne immer wieder durch die Wolken schiebt und das Küstenstädtchen in ein helles Licht taucht. Gegenüber übrigens, im Buchladen-Café mit der rosa Fassade, gibt es Kaffee und Tee - und die besten Scones der Stadt.

© SZ vom 11.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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