Reisen in USA:New Walk City

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Bistrotische und Topfpflanzen statt Verkehrschaos - der Times Square in New York soll eine Fußgängerzone werden.

Jörg Häntzschel

Bürgersteige im zehnten Stock, Zeppeline, die am Empire State Building andocken, Bauernhöfe in Wolkenkratzern - an Utopien für New York war nie Mangel. Ein Times Square mit Bistrotischchen, Topfpflanzen und Sonnenschirmen war nicht darunter.

New York
:Fußgängerzonen auf dem Broadway

Mit radikalen Methoden will New Yorks Bürgermeister den Dauerstau auf dem Broadway eindämmen. Teile der Verkehrsader werden für Autos gesperrt.

Genau das wird jedoch Wirklichkeit werden in der ehemaligen Hauptstadt von Modernität und Geschwindigkeit. Von Mai bis Dezember wird der Broadway zwischen 42. und 47. Straße für den Autoverkehr gesperrt. Ein weiterer autofreier Platz ist weiter südlich geplant, zwischen der 33. und der 35. Straße, am Herald Square, wo das Kaufhaus Macy's steht. Wenn das Experiment glückt, wird die Entschleunigung permanent gemacht.

Die Idee zu diesem für New York unerhörten Projekt geht auf Bürgermeister Michael Bloomberg zurück, dem der ökologische Umbau von New York so wichtig ist wie seinem Vorgänger Rudy Giuliani die Entfernung von Graffiti und die Durchsetzung des Tanzverbots in Bars.

Der Multimilliardär Bloomberg, der gerade alles tut, um sich eine dritte Amtszeit zu sichern, ist als wirtschaftsfreundlicher Macher bekannt, doch er will mit mehr in die New Yorker Geschichte eingehen als nur mit Pragmatismus. Er ließ Hunderttausende Bäume pflanzen, experimentiert mit Windfarmen auf Hochhäusern und prüft eine Steuer auf Plastiktüten.

Am leidenschaftlichsten widmet er sich jedoch dem Problem des Verkehrs, der in Manhattan mit seiner seit Jahren wachsenden Einwohnerzahl regelmäßig zum völligen Stillstand kommt.

Sehr viel Erfolg hat Bloomberg, der gelegentlich öffentlichkeitswirksam U-Bahn fährt, damit bislang nicht gehabt. Als er nach dem Vorbild von London eine Maut für alle Wagen erheben wollte, die in die überlastete Südhälfte von Manhattan fahren, protestierten die Stadtratsmitglieder aus den davon vor allem betroffenen Bezirken Queens und Brooklyn. Das Geld sollte der New Yorker Nahverkehrsgesellschaft zugutekommen, die ihres Milliardendefizits wegen jetzt sowohl die Preise erhöhen als auch die Fahrpläne ausdünnen muss.

Auch mit seinem Plan, alle 13.000 New Yorker Taxis bis 2012 durch Hybridfahrzeuge zu ersetzen, scheiterte Bloomberg. Ein Richter gab im Oktober den Klagen der Taxilobby nach und kassierte das Gesetz wieder ein.

Lesen Sie weiter, warum die Verkehrsberuhigung unvermeidbar ist.

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Doch Bloomberg ließ sich nicht entmutigen. Sein nächstes Vorhaben waren Fahrradwege, öffentliche Fahrradständer und Verkehrsinseln samt Stühlen und Tischen am Broadway. Anfangs wurde er dafür ausgelacht. Doch schon Tage nach der Eröffnung liebten Einheimische wie Touristen die Idee. In Ruhe ein Sandwich essen, einen Kaffee trinken: Das war auf New Yorks Straßen bislang kaum möglich.

Doch das Verkehrsberuhigungsprojekt mit dem Titel "Broadway Boulevard" war nur ein bescheidener Vorläufer für die komplette Sperrung des "Great White Way", die jetzt geplant ist. Der Verkehr in den Querstraßen soll dabei weiterfließen, dazwischen jedoch wird entstehen, was in fast jeder anderen Stadt der Welt längst üblich ist: eine Fußgängerzone.

Urbaner Unterhaltungspark für die ganze Familie

So radikal die Idee für New York ist, so unvermeidlich war sie auch. Früher der Mittelpunkt der Stadt und berühmt für seine Theater, wurde der Times Square nach dem Krieg zum berühmtesten Rotlichtviertel der Welt. Puffs, Pornokinos und Kleinkriminelle dominierten die Gegend, bis Giuliani dem Milieu abrupt ein Ende machte.

Seitdem hat sich die Gegend in einen urbanen Unterhaltungspark für die ganze Familie verwandelt; Jahr für Jahr wurden neue Wolkenkratzer hochgezogen; der Platz drohte an sich selbst zu ersticken. So überfüllt sind die Gehsteige hier, dass die Polizei regelmäßig die äußeren Fahrpuren absperren muss, um zu verhindern, dass Fußgänger in den Verkehr gedrängt werden.

Das ekstatische Flackern Hunderter turmhoher Videoscreens, die die Schlucht auch nachts taghell erleuchten, erleichtert den Verkehrsfluss nicht. Touristenfamilien aus Iowa und Hannover wollen stehenbleiben und schauen, doch die Massen schieben unerbittlich weiter. Physischer lässt sich Manhattan nirgends erfahren. Einheimische meiden die Gegend daher wie ein Minenfeld.

Und jetzt also die Europäisierung. Caffè Latte auf geschmackvollem Straßenmobiliar, Piazza Navona auf amerikanisch. Peruanische Bands und die Mona Lisa in Kreide, die bekannten Übel der Fußgängerzone, werden nicht auf sich warten lassen.

Puristen protestieren bereits: Was bleibt von New York ohne Verkehrslärm und Atemlosigkeit? In Wahrheit ist Manhattan schon jetzt fußgängerfreundlicher als jede europäische Großstadt. Nirgends in Europa, auch nicht in Florenz oder Paris, gehen die Menschen so viel zu Fuß wie in New York.

© SZ vom 3.3.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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