Reisebuch:Italien-Sehnsucht in Farbe

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Mehr als 100 Jahre altes Sehnsuchtsbild: der Blick auf den Gardasee im Örtchen Gaino. (Foto: Marc Walter Collection, Paris)

Ein opulenter Band mit alten Fotos belegt: Unser Bild von Italien ist eine Erfindung der Fotografie.

Von Stefan Fischer

Wollte man beklagen, dass die Flut der Bilder das Reisen unsinnig macht, weil wir nur noch sehen, was wir ohnehin bereits kennen: Man wüsste weit ausholen in der Geschichte. Denn schon vor mehr als einhundert Jahren, die Fotografie war kaum erfunden, gab es eine Allgegenwart der Bilder, die jede Unvoreingenommenheit beim Reisen von vornherein ausgeschlossen hat.

Jedenfalls gilt das für Italien, wie der großformatige, fulminante Band "Italy around 1900" belegt, den Giovanni Fanelli, Marc Walter und Sabine Arqué im Taschen Verlag herausgegeben haben. Er zeigt, begleitet von Erklärungen in Englisch, Deutsch und Französisch, eine umfangreiche Auswahl sogenannter Photocrome des Zürcher Photoglob Verlags. Dieser Verlag hat ein gutes Geschäft gemacht mit Bildnissen touristischer Ziele, die er in verschiedenen Formaten und auch auf Postkarten verkauft hat. Es sind Darstellungen, so heißt es in der Einleitung, für "den Touristen des Fin de Siècle, der im Bild bestätigt sehen will, was er schon kennt und was Reiseführer, Prospekte und Fotografien vor seinem inneren Augen haben entstehen lassen".

Fotografien waren seinerzeit noch Schwarz-Weiß. Im Photocrome-Verfahren ist aus einem Schwarz-Weiß-Negativ in einem aufwendigen Verfahren ein farbiges Bild entwickelt worden, durch die Belichtung mehrerer lithografischer Platten mit den im jeweils gewünschten, transparenten Ton eingefärbten Partien des Motivs. Auch waren Retuschen möglich, so konnten Boote auf Seen verschoben werden und am Tag gemachte Aufnahmen zu Mondschein-Szenerien umgewandelt werden. Auch bekam jede Stadt ihren eigenen Teint - Venedig etwa einen lachsfarbenen. Der Katalog von Photoglob hat 1911 rund 800 Motive nur aus Italien umfasst.

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Venedig, Florenz, Gardasee - an den Sehnsuchtsorten in Italien hat sich in über 100 Jahren nicht viel geändert. Das Fotobuch "Italy around 1900" zeigt, wie schon damals das Bild des Landes inszeniert wurde.

Sehr viele davon, einschließlich solcher aus Gebieten, die vor dem Ersten Weltkrieg noch zum Habsburgerreich gehört haben, sind in diesem sorgsam gestalteten Band zu sehen. Er zeigt, das muss einem beim Betrachten klar sein, kein realistisches Bild von Italien um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Sondern ein Panoptikum touristischer Attraktionen. Eine Sozialgeschichte des Landes lässt sich mit diesen Photocromen nicht erzählen, sie zeigen kaum einmal Alltagsszenen. Wenn, dann eher sogenannte Genreszenen, denen also das für fremde Augen Inszenierte bereits eingeschrieben ist.

Einen Eindruck bekommt man unterdessen von Stadt- und Naturlandschaften. Denn einerseits wurden nicht nur besondere Gebäude zu beliebten Motiven, sondern ganze Straßenzüge sowie urbane Panoramen. Und speziell die heute norditalienischen Landschaften, die vergleichsweise stark bereist worden sind (anders als der Süden Italiens), wurden fantasievoll farbig in Szene gesetzt. Wobei die Fotografen sich damals bereits in hochalpines Gelände vorgewagt haben. Technische Neuerungen sind nur dann von Interesse, wenn sie den Tourismus betreffen, etwa die Zahnradbahnen.

Die Orte haben sich verändert. Aber es sind dieselben Orte, die wir heute noch bevorzugt bereisen. Insofern führt einem der Band deutlich vor Augen, dass wir uns tatsächlich vor allem für das begeistern, was uns vertraut ist.

Giovanni Fanelli, Marc Walter, Sabine Arqué : Italy around 1900 - A Portrait in Color. Italien um 1900 - Ein Porträt in Farbe. L'Italie vers 1900 - Portrait en Couleurs. Dreisprachige Ausgabe: Englisch, Deutsch, Französisch. Taschen Verlag, Köln 2018. 580 Seiten, 150 Euro.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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