Kreta:Die Geisterinsel

Lesezeit: 4 min

Eine kurze Bootsfahrt von Kreta entfernt liegt das kleine Spinalonga. Früher wurden Leprakranke dorthin verbannt. (Foto: Guenter Standl/laif)

Die Fahrt in eine andere Welt dauert nur wenige Minuten: Auf der kleinen griechischen Insel Spinalonga wurden einst Leprakranke isoliert.

Von Andrea Tapper

Das traditionelle kretische Caique-Holzboot schaukelt sanft auf dem Meer. Die Überfahrt vom idyllischen Hafenstädtchen Plaka im Nordosten Kretas auf die ehemalige Leprainsel Spinalonga dauert nur 15 Minuten, doch man fährt in eine andere Zeit. Zunächst wird die 1589 auf einem kleinen Hügel erbaute venezianische Festung deutlich sichtbar, sie hebt sich von der kargen Landschaft ab. Nach dem Anlegen passiert der Besucher einen dunklen Tunnel, bevor er plötzlich eine Dorfstraße mit blau gestrichenen Krämerläden vor sich sieht, eine Geisterstadt, verwildert und einsam wie ein verlassenes Western-Örtchen.

Die Krämerläden sind heute zu einem kleinen Museum mit Souvenirgeschäft umfunktioniert. Außer Touristen kommt niemand mehr auf die unbewohnte Insel. Von der Antike bis 1957 jedoch war das kaum einen Quadratkilometer große Eiland durchgehend besiedelt, wie Funde zeigen. Es gehört eng zur 4000-jährigen Geschichte Kretas mit ihren minoischen, byzantinischen, venezianischen und zuletzt türkischen Einflüssen. 1903 wurde hier eine Lepra-Kolonie errichtet. Die Insel Spinalonga, die offiziell Kalydon heißt, deren venezianischer Name aber gebräuchlicher ist, bot sich dafür an: Sie liegt kaum 750 Meter von der Nordküste Kretas entfernt. So konnte man Proviant und neue Aussätzige leicht hinüberschicken. Als die deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg Kreta besetzten, ließen sie Spinalonga links liegen. Ihre bewegte Vergangenheit und ihr trauriges Vermächtnis sollen die Insel jetzt zum Unesco-Weltkulturerbe machen.

Wer die Leprainsel und die benachbarte Küste Kretas besucht, trifft auf eine Region im Wandel. In einem der ältesten touristischen Gebiete Kretas gibt es zwar immer noch Auswüchse wie den Ort Malia, eine Art griechischer Ballermann mit einer 1500 Meter langen Partystraße. Allerdings scheint deren Reiz nachzulassen. Dafür stellen immer mehr Lokale und Hotels der Region auf regionale Küche um und bieten ökologische Produkte an; auch der neue Schutzstatus von Spinalonga fügt sich ein in diese überlegtere Tourismus-Politik. In der nunmehr seit neun Jahren währenden griechischen Depression sind es gerade Start-ups, die hier mitmischen - offenbar mit anhaltendem Erfolg.

Leonie Lepenos, eine 29-jährige Deutsch-Griechin, gehört zu den neuen Unternehmern. Im Garten eines Hotels hat sie einige Yoga-Enthusiasten um sich geschart. Von ihr entworfene hauchdünne Kork-Matten sorgen dafür, dass die Urlauberinnen nicht auf dem feuchten Boden sitzen müssen. Nach einigen Übungen geht es ans Büffet mit Rote-Bete-Saft und Naturjoghurt. Vom Hotel aus blickt man direkt auf die vorgelagerte Insel Spinalonga. Leonie Lepenos hat eine gut bezahlte Festanstellung in Deutschland aufgegeben, um ihr Yoga-Start-up "Maati Maati", griechisch für "Auge", zu gründen. Sie ist damit in Berlin und auf Kreta aktiv. "Ich wollte zeigen, dass wir Griechen mehr können, als immer nur mit der Krise assoziiert zu werden. Der Aufschwung ist bereits da", sagt Lepenos. "Ich kann ethisch korrekt und zugleich erfolgreich sein."

Neu-Unternehmer wie sie sorgen auch im Nordosten Kretas für die Wiederbelebung kleiner Dörfer, für biologischen Weinanbau, den Öko-Relaunch von Hotels, neue kretische Küche und kreative Mitbringsel. Der Thymian-Honig und das Olivenöl von "Minoan Spora", einem Start-up aus Heraklion, wurden für ihre Verpackungen schon kurz nach Gründung des Unternehmens mit dem Deutschen Designpreis ausgezeichnet. Inhaberin Maria Adamaki, die nach 15 Jahren in Italien 2016 in ihre krisengeschüttelte Heimat zurückkehrte, um ihre eigene Firma zu gründen, musste nach Vorbildern nicht lange suchen - die 42-Jährige entdeckte ihre Motive auf minoischen Wandzeichnungen und dem Goldschmuck der Paläste von Knossos und Malia. Die neuen Marken findet man in den Duty-Free-Shops der Flughäfen, in Souvenirläden sowie in kretischen Hotels.

Reisequiz der Woche
:Was wissen Sie über die Kykladen?

Woher weht auf den griechischen Inseln eigentlich der Wind? Und was kommt dort auf die Pizza? Testen Sie sich auf die Schnelle in sieben Fragen.

Von Eva Dignös

"Dekonstruiertes Moussaka" nennt Agapi Sbokou die Bewegung. Als Hotelerbinnen sind sie und ihre Schwester Costantza, eine Architektin, zwar keine Start-up-Frauen im klassischen Sinne, bringen aber ihr von der Großmutter gegründetes Familienunternehmen mit fünf großen Hotels gerade auf neuen Kurs: Leonie Lepenos' Yoga-Hotel Blue Palace mit seinen von Steinfliesen umgebenen Pools und der neugriechischen Tapas-Küche gehört ebenso dazu wie das Familienhotel Cretan Malia Park nahe des als Partyort verschrienen Malia. Die Schwestern ließen in ihren Hotels sämtliche Plastikmöbel durch Holzschränke ersetzen, pflanzten Zucchini, Erdbeeren und Kräuter. Jetzt pflücken die Kinder der Gäste Gemüse, ihre Eltern schnippeln und Chefkoch Lefteris Iliad freut sich über die Mitmach-Atmosphäre: "Das schafft Respekt vor den Zutaten." Bei gleicher Gästezahl sank der Stromverbrauch im Hotel in den vergangenen fünf Jahren um ein Viertel, der Wasserverbrauch um ein Drittel. Das Hotelbrot wird draußen im Ofen selbst gebacken.

Das grüne Denken hat in Kreta Tradition: Schon in den 50er-Jahren lobten wissenschaftliche Studien die olivenölreiche "Kreta-Diät", aufkommender Massentourismus jedoch begrub die gesunde Küche vielerorts unter Fotospeisekarten und Pizza. Junge Chefs wollen nun zurück zur Natur, etwa im Restaurant "Kanali" auf der größeren Halbinsel vor Elounda. Populäre Urlaubsorte wie Agios Nikolaos, der Minoische Palast von Malia und das östlichste Küstenstädtchen Sitia befinden sich in der Nähe. Von außen sieht der Laden wie eine Fischkantine am Hamburger Elbstrand aus, drinnen gibt's feinste griechische Küche mit Achinos, Seeigel-Innereien, hauchzarten Sardellen - und dazu eine Lektion vom Koch: "Fisch ist nicht mehr billig, Wein nicht mehr Retsina." Ersteres liege daran, dass die Bestände rund um Kreta durch das jahrzehntelange, inzwischen verbotene Fischen mit Dynamit drastisch reduziert wurden, Letzteres an neuen Winzern. Im Weingut Silva Daskalaki im Dorf Siva bei Heraklion kann man eine Weinverkostung erleben. Die Winzer in dritter Generation erzählen dabei, dass sie vor vier Jahren auf biodynamischen Anbau und "auf Kellerei nach Mondzyklen" umgestellt haben. Ihr Syrah "Enstikto Red" gilt als ein Rotwein der Spitzenklasse.

Die Leprainsel Spinalonga hat momentan die wohl größte Strahlkraft auf das nordöstliche Kreta. Schon heute ist die Insel ein Besuchermagnet. Noch mehr Urlauber werden erwartet, wenn es die erste Unesco-Weltkulturstätte des an Altertümern ohnehin reichen Kretas wird. Griechenland hat im Frühjahr einen entsprechenden Antrag zum Abschluss gebracht. Momentan zieht die Insel in der Hochsaison bis zu 3500 Besucher täglich an, so viele wie es hier insgesamt Verbannte gegeben haben soll. Margeriten, Geranien, Mohn und Butterblumen wachsen aus Ruinenresten, schmiegen sich an halb verfallene Türen. Wein überwuchert Innenhöfe, die so lebendig wirken, als habe man sie gerade erst verlassen.

Türkische und griechische Dorfhäuser, das Betongerippe einer Krankenstation aus den 50er-Jahren: die Hinterlassenschaften der Leprakranken. "Es gab ein Leben hier", schreibt die britische Autorin Victoria Hislop in ihrem Buch "Insel der Vergessenen". Die auf die Insel Verbannten verwalteten sich selbst. "Hier wurde geheiratet und Kinder wurden getauft", erzählt auch Priester Nikolas in der Dorfkirche Sankt Panteleimon auf der Hauptstraße des verlassenen Dorfs. Geistliche wie er hätten auch damals die Insel besucht; Lepra war nicht zwangsläufig ansteckend. Doch brach erst mit der Entdeckung des Penicillins der Bann und eine Handvoll Überlebender konnte die Insel verlassen.

900 000 Euro hat die Europäische Union für den Erhalt des kleinen Eilands zugesichert. Das Geld soll für die Instandhaltung der Gebäude, Landschaftspflege und Besucher-Informationen ausgegeben werden, erklärt Fremdenführerin Irene Kibriotaki, die seit 30 Jahren Urlauber auf dem eineinhalb Kilometer langen Rundweg über die Insel führt. Der Andrang solle nicht begrenzt werden, noch nicht. "Alles soll so bleiben, wie es ist. Der Unesco-Schutzstatus garantiert, dass Spinalonga unbewohnt und gastronomiefrei bleibt."

© SZ vom 22.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAmorgos in Griechenland
:Eine Insel wie eine Zeitreise

Das Meer ein Wahnsinnsblau, überall alte Maultierpfade, aber kaum ein Mensch: Die Kykladeninsel Amorgos war schon immer ein Ort für jene Seelen, die die Einsamkeit lieben. Und sie ist wie geschaffen fürs Wandern.

Von Richard Fraunberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: