Es ist eben so: Blonde bekommen mehr Aufmerksamkeit. Ganz besonders gilt das auf der Kanalinsel Alderney. Denn hier ist der Blonde Hedgehog zu Hause, ein Igel mit blonden Borsten, rosa Näschen und Pfoten sowie dunklen Knopfaugen. Die hellborstigen Tiere sind keine Albinos. Sie verdanken ihre Besonderheit einer Mutation namens Leuzismus: Ihre Haut enthält keine farbstoffbildenden Zellen.
Eine schöne Heimat haben die - vermutlich zu Beginn der 1960er-Jahre importierten - Igel hier gefunden, mit wild zerklüfteten, steil abfallenden Klippen, weißen Stränden und einem roten Sandstein, der im Licht der Nachmittagssonne kupfern aufleuchtet. Wie die anderen Kanalinseln ist Alderney nicht Teil des Vereinigten Königreichs, sondern direkt der britischen Krone unterstellt. Geografisch liegt sowieso Frankreich näher: Um zu den rosa, hellblau oder butterkremfarben getünchten Cottages des Hauptorts Saint Anne zu finden, folgt man zweisprachigen Ortsschildern Richtung "Town" und "La Ville".
Damit die Insel so schön bleibt, wie sie ist, hat Roland Gauvain 2002 eine Naturschutzstiftung mitbegründet. Sein Alderney Wildlife Trust zählt mittlerweile an die 700 Mitglieder. "Ganz schön viele, wenn man bedenkt, dass Alderney nur 2000 Inselbewohner hat", freut sich der Mittvierziger. Die scheuen Nachttiere machten allerdings nur einen kleinen Teil seiner Arbeit aus. 1000 Wildblumensorten und 300 Vogelarten gibt es auf Alderney. Auf der unbewohnten Insel Burhou, zwei Meilen nordwestlich von Alderney, ziehen Papageientaucher und Basstölpel ihre Jungen auf. Zudem gibt es 800 verschiedene Arten von Motten auf Alderney.
So ein blonder Igel lässt sich touristisch gleichwohl besser vermarkten. Was auch die Filmproduzentin Julie-Anne Uggla erkannt hat. Ihr Cottage-Hotel in Alderneys Hauptort Saint Anne, eröffnet im vor-pandemischen Herbst, heißt folgerichtig "The Blonde Hedgehog". Neun Zimmer, aufgeteilt auf drei benachbarte Häuschen. Das 1750 erbaute Haupthaus beherbergte jahrhundertelang ein Pub, heute öffnet sich der Innenhof auf frisch angelegte terrassierte Gärten und Spalierbäume. Die Räume sind in Naturtönen gehalten, haben Holzboden und teils freistehende Wannen mit chromblitzenden Löwenfüßchen.
Julie-Anne Uggla, die in Zimbabwe geboren und in Kanada aufgewachsen ist, lebt zwar vorwiegend in London. Drei bis vier Monate im Jahr aber auch auf der Insel. Am Design des Hotels hat ihre Familie mitgearbeitet: Eine Tochter entwarf die Personalkleidung aus recyceltem Plastik, eine weitere erledigt das Marketing. Gekocht wird mit selbst angebauten Zutaten. Inzwischen gehört sogar ein Bauernhof samt Ackerland zum Hotel: La Frette Farm befindet sich wenige Minuten Fußmarsch vom Hotel entfernt, unterhalb des kleinen Flughafens im landwirtschaftlichen Herzland der Insel. Denn die Fähre bringt immer nur dienstags frisches Gemüse, Obst und Salate vom englischen Festland - damit lässt sich kein anspruchsvolles Restaurant-Menü bestreiten. Heute finden Rote Bete, Steckrüben, Karotten, Kohlrabi und Mangold dank eigenem Anbau also selbst in den kalten Monaten in die Hotelküche. Spinat wächst hinter einer Umzäunung, die Kaninchen fernhalten soll, Netze schützen den Grünkohl vor Fasanen.
Dem blonden Igel könne man vor allem am Cricket-Platz The Butes von Saint Anne begegnen, erläutert Roland Gauvain, der über seine Naturschutzstiftung für Touristen wie Inselbewohner "Igel- und Fledermaustouren" anbietet. Von der großen Wiese am Alderney Cricket Club fällt der Blick aufs Meer, den Inselleuchtturm und das Fort Albert, größte von insgesamt 18 viktorianischen Befestigungsanlagen.
Gauvain arbeitet viel mit Freiwilligen, überhaupt bekommt man auf der Insel das Gefühl, ohne die Freiwilligenarbeit stünde das ganze Eiland still. Das viktorianische Fort Tourgis, im Juli 1940 wie die gesamte Insel von deutschen Soldaten besetzt, wurde seit 2014 von Freiwilligen entmüllt, die Bierflaschen, Plastiktüten, Matratzen heraustrugen. Das Alderney Museum, das Inselradio, Kino und Bibliothek - nichts würde ohne Freiwillige funktionieren. Selbst die zwölf Glocken der Pfarrkirche von Saint Anne werden von zwei Dutzend Freiwilligen bedient.
Für Gauvains Stiftung arbeiten die Volunteers auch wissenschaftlich motiviert. Etwa 1000 hellborstige Stacheltiere wurden bei der letzten Zählung vor zwölf Jahren auf der sechs Kilometer langen und - an der ausgedehntesten Stelle - zwei Kilometer breiten Insel dokumentiert. Damals waren das 60 Prozent der gesamten Population. Weil es außer streunenden Katzen keine Fressfeinde gibt und der Genpool auf der Insel begrenzt ist, können sich die putzigen Insektenfresser halten - obwohl ihr Äußeres evolutionsbiologisch eigentlich nicht von Vorteil ist, wie der Ökologe erklärt. Die Camouflage in einem Laubhaufen gelingt dem Blonde Hedgehog nun einmal längst nicht so gut wie den üblichen Braunbrustigeln. Aber verstecken ist auch nicht wirklich nötig. Die Insulaner lieben ihre blonden Mitbewohner. Und die Besucher auch.
Informationen
Einreise: Alle Corona-Beschränkungen für Einreisende wurden aufgehoben, Registrierung oder Test sind nicht erforderlich. Aktuelle Einreisebestimmungen für Guernsey und Alderney finden sich hier.
Anreise: British Airways fliegt mehrmals täglich von neun deutschen Städten nach London, hin und zurück ab 70 Euro. Von London Waterloo aus fahren täglich Züge bis Southampton Airport, einfach ab 15 Euro. Flüge nach Alderney mit Aurigny Airlines zweimal täglich ab 24 Euro (oneway).
Auf Igel-Tour: Nächtlicher "Bat & Hedgehog Walk", Alderney Wildlife Trust.
Übernachtung: Das DZ mit Frühstück im Blonde Hedgehog ab 215 Euro
Weitere Informationen: visit.alderney.com