Privatinsel bei Venedig:Die leise Lagune

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Santa Cristina ist eine Insel in der Lagune von Venedig, deren Geschichte bis weit in die römische Antike zurückreicht. (Foto: Isola Santa Cristina)

Corona-Urlaub auf luxuriöse Art: Auf der Privatinsel Santa Cristina, eine Bootsfahrt entfernt von Venedig, wo sicher bald wieder der gewohnte Trubel anbrechen wird.

Von Stefan Ulrich

Zur Zeit des Sonnenuntergangs überziehen sich die Lagune und der Himmel mit den Farben Claude Monets. Blau-, Veilchen und Blassrosatöne fließen ineinander, und wären da nicht die flachen Schatten der Inseln Murano und Torcello am Horizont, man hätte Mühe, Luft und Wasser voneinander zu unterscheiden. Es riecht nach Salz und Tang, und außer dem gelegentlichen Greinen der Möwen oder dem Geplätscher einer Ente herrscht Stille. Kaum glaublich, dass sich in normalen, das heißt Nicht-Corona-Zeiten, nur eine halbe Bootsstunde entfernt Touristenmassen durch die Gassen Venedigs schieben, auf Gondeln oder Vaporetti durch die Kanäle pflügen und in die Bars, Trattorien und Restaurants der Lagunenstadt einfallen, während Kreuzfahrtschiffe, groß wie Hochhäuser, zwischen Dogenpalast und San Giorgio Maggiore hindurchgleiten.

Hier, auf der Isola Santa Cristina in der nördlichen Lagune, ist Trubel nicht einmal zu erahnen. Aufruhr entsteht allenfalls, wenn man unter den Schlafbäumen der vier Dutzend wild lebenden Pfauen hindurchläuft und die schwerfälligen Vögel hysterisch kreischend aufflattern. Doch schnell tritt wieder Ruhe ein auf der 30 Hektar kleinen Privatinsel mit ihren Fischteichen, Obst-, Wein- und Gemüsegärten. Über Wiesenwege geht es an den Wasserbecken entlang, an einer verwitterten Kapelle aus rotem Backstein vorbei.

Bald sind Lichter zwischen schattenschwarzen Palmen hindurch zu sehen, gedämpfte Stimmen zu hören. In der ebenerdigen Loggia der Villa Ammiana, einem renovierten Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert, sitzen, nach Aufhebung der Pandemie-Sperre, nun wieder die Gäste vor dem offenen Kaminfeuer, trinken eisgekühlten Prosecco und lassen sich von René Deutsch und seiner Frau Sandra die Geschichte dieser Inseloase erzählen.

1985 kaufte Renés Stiefvater Gernot Langes-Swarovski, der damalige geschäftsführende Gesellschafter des Kristallglas-Unternehmens, Santa Cristina. Die Insel war heruntergekommen und vom Hochwasser bedroht, die Gebäude verfielen, die Fischteiche verschlammten. Doch der neue Eigentümer war entschlossen, Santa Cristina vor dem Versumpfen zu bewahren. Er ließ, mit enormem finanziellen Aufwand, einen Wall aus Steinbrocken und Erde rund um das Eiland aufschütten und bepflanzte ihn mit Tamariskenbüschen, die den salzigen Boden vertragen. "Ich habe in meiner Kindheit wunderbare Ferien an diesem speziellen Ort verbracht", sagt der Österreicher René Deutsch.

Santa Cristina ist eine Insel in der Lagune von Venedig, deren Geschichte bis weit in die römische Antike zurückreicht. (Foto: Isola Santa Cristina)

Später zog es ihn als Geschäftsmann hinaus in die Welt, er bereiste viele Länder und verbrachte mit seiner Frau lange Zeit in einem Aschram in Australien. Zurück in Europa, wandten sich die beiden wieder der Lagune zu. Nicht, um einen venezianischen Aschram zu gründen, sagt er lächelnd, denn das würde nicht hierher passen. Aber doch, um einen Ort meditativer Ruhe zu schaffen, basierend auf den Gebräuchen der Lagune, bewirtschaftet nach den alten Methoden - nachhaltig, würde man heute dazu sagen. René und Sandra Deutsch übernahmen die Insel, renovierten die Villa Ammiana und das gegenüber liegende Bauernhaus und machten sich daran, ihre ambitionierte Vision zu verwirklichen: die authentische Atmosphäre einer Fischerinsel zu bewahren und dennoch für allen nötigen Komfort zu sorgen.

So entstanden edelschlicht möblierte Schlafzimmer für bis zu 16 Gäste, die mit dem Privatboot in Venedig abgeholt werden; ein Salon und ein geräumiges Esszimmer, dekoriert mit modernen Gemälden und asiatischen Skulpturen; die Loggia als zweites Wohnzimmer; ein von Holzplankenstegen umgebener, von Bananenstauden umwachsener Pool und ein schlichter, großzügiger Saal im ehemaligen Bauernhaus, um auf Santa Cristina auch Yoga-Retreats anbieten zu können.

Der Österreicher René Deutsch bereiste viele Länder und verbrachte mit seiner Frau lange Zeit in einem Aschram in Australien. (Foto: Stefan Ulrich)

Nach der Zwangspause wegen der Pandemie haben René und Sandra Anfang Juni erst einmal 15 Ärzte und Krankenschwestern aus extrem betroffenen Städten wie Bergamo zu sich eingeladen; sie sollen sich auf der Insel erholen können. Ab jetzt kann diese wieder allgemein gebucht werden. Die Möglichkeit, hier in einer geschlossenen Familien- oder Freundesgruppe die Ferien zu verbringen, werde sich als besonderer Vorteil Santa Cristinas erweisen, hofft René Deutsch.

Santa Cristina - der Name führt hinab in die Geschichte der Insel, die bereits in der römischen Antike bewohnt war, wie Keramikstücke und ein Brunnen belegen. Im Mittelalter siedelten sich Benediktinernonnen hier an. Sie bestatteten in ihrer Kirche die Knochen der Heiligen Cristina, die aus Konstantinopel entwendet und 1325 hierhergebracht worden waren. Doch bevor René Deutsch weitererzählen kann, um welche Heilige Cristina es sich dabei handelte und warum ihre sterblichen Überreste heute in der venezianischen Kirche San Francesco della Vigna ruhen, kommt Ivan Garlassi aus der Küche, um zu Tisch zu bitten.

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Der vergnügte Hüne aus der Emilia-Romagna fügt dem Aufenthalt auf der Insel noch eine besondere Note hinzu: seine Kochkunst. Ob Schattenfisch, Goldbrassen, Muscheln oder Schmorbraten, Artischocken, alles bereitet er mit viel Geduld, Feinsinn und einer fast schon spirituellen Zuneigung zu den Produkten der Lagune zu. Ivans Stolz aber ist die Pasta. Während sich die Runde noch über die besondere Konsistenz der Spaghetti wundert - diese bissfeste Geschmeidigkeit, die ein Widerspruch in sich zu sein scheint, vom unergründlich vielschichtigem Sugo ganz zu schweigen - erklärt Ivan schon, wie dieses Kunstwerk entsteht. Die Nudeln einfach in Salzwasser kochen? "Ci mancherebbe!" - "Das fehlte gerade noch!" Stattdessen solle man die Pasta eine gute Stunde lang in kaltem Salzwasser quellen lassen. Dann in eine Pfanne mit Ricotta, Knoblauch, Seespargel, gelben Tomaten und Lagunenfisch geben. So einfach ist das. Es wird ein langer Abend.

Am nächsten Morgen führt René über seine Insel. Wobei "Insel" eigentlich das falsche Wort ist, da es ein Stück Festland in der See suggeriert. Auf Santa Cristina dagegen durchdringen sich Erde und Wasser. René hat die uralten Valli di Pesca wiederbelebt. Die Becken für die Fischkultur waren damals, als sein Stiefvater die Insel kaufte, verfallen, verschlammt, mit Algen zugewuchert. "Die Römer haben hier die Fischzucht erfunden", sagt er, während er zwischen den Teichen hindurchführt. "Daran wollte ich anknüpfen." Nur wie? "Ich hatte ja keine Ahnung von Fischzucht." Also wandte er sich an die Universität von Venedig, sprach mit Professoren, merkte, das Theorie und Praxis doch etwas ganz Anderes waren. "Und dann fragte ich die Fischer." Sie meinten, er solle einfach mal 20 000 Jungfische in die Becken setzen, Wolfsbarsche, Doraden, Meeräschen, die Edelfische der Lagune. "Und es funktionierte."

Immer im Spätherbst, wenn das Wasser in den relativ flachen Becken kälter wird als draußen in der Adria, kann René die Ernte einfahren. Mit einem uralten Trick. Er lässt die Schleusen öffnen. Das wärmere Wasser strömt herein. Die Fische schwimmen der Wärme entgegen. So werden sie in die trichterförmigen Reusen am Ausgang der Teiche gelockt. Die Großen werden gekeschert und auf dem Fischmarkt von Venedig verkauft, die Kleineren zurück in die Teichbecken gesetzt, um dort zu überwintern.

Es gibt noch viel mehr zu sehen hier. Den Mühlstein etwa, der daran erinnert, dass die römische Generalstochter Santa Cristina, die sich zum Christentum bekannte, von ihrem Vater mit einem Mühlstein um den Hals im Meer ertränkt werden sollte. Doch dann kamen ihr Engel zur Hilfe und führten sie an Land - wo sie schließlich mit Pfeilen getötet wurde. Oder die Rebgärten mit Merlot und Cabernet Sauvignon, den Inseltrauben, deren Wein nur in besonderen Restaurants der Lagune serviert wird. René verrät wo. Oder der Blick von der kleinen Dachterrasse der Villa, der über Wasser und Land bis hinüber zur Alpenkette geht.

Wem der Sinn nach mehr Abwechslung stehen sollte, der kann sich mit einem gepflegten, alten Motorboot aus Holz zu anderen Inseln - Burano, Murano, Torcello - fahren lassen oder den wilden Norden der Lagune erkunden, wo einst Ernest Hemingway Enten jagte, was er in seinem Roman "Über den Fluss und in die Wälder" beschrieb. Oder sich nach Venedig fahren lassen, zum Beispiel zu einer Cena, einem Abendessen, in einem privaten, sonst nicht zugänglichen Palazzo. Was einerseits ein Erlebnis, anderseits aber doch wieder schade wäre. Denn so verpasst man die Dämmerstunde auf Santa Cristina, wenn die Farben der Lagune ineinander fließen wie auf den Bildern Monets.

© SZ vom 10.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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