Hotel in Texas, USA:Treppenwitz im Herrenhaus

Das Hotel "The Mansion" in Terlingua, Texas, hat weder alle Mauern noch ein Dach - selbst die Treppe wurde einst vergessen. Trotzdem ist das Hotel eine Klasse für sich.

Harald Hordych und Jörg Buschmann

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(Foto: Jörg Buschmann)

Das Hotel "The Mansion" in Terlingua, Texas, hat weder alle Mauern noch ein Dach - selbst die Treppe wurde einst vergessen. Trotzdem ist das Hotel eine Klasse für sich. Ein Besuch von Harald Hordych und Jörg Buschmann Das stattlichste Haus Terlinguas liegt auf dem höchsten Hügel. Schließlich residierte hier der mächtigste Mann der Stadt. Wo wäre also ein geeigneterer Platz für ein Hotel als an diesem herausgehobenen Standort, mit Blick auf die Ebene und die Bergkette am Horizont? Majestätisch überragt "The Mansion" Terlingua, die Stadt am Rande des Big Bend National Parks in West-Texas. Der Rio Grande ist nicht weit, Mexiko folglich auch nicht.

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(Foto: Jörg Buschmann)

Selbst am späten Nachmittag ist es hier im Hochsommer so heiß, dass man eigentlich nicht das Haus verlassen möchte, geschweige denn einen Hügel hinaufstapfen. Aber Kaci Fullwood, die Chefin des Hotels, schreitet zur Besichtigung voran. Mit energisch ausholenden Schritten stürmt sie den Hügel hinauf, als sei das alles gar nichts, die Hitze und die Steigung. Als sie angekommen ist, verfliegt der letzte Zweifel. Hier oben entpuppt sich alles als Witz oder als Halluzination: Das Hotel ist eine Ruine.

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(Foto: Das Hotel 'Mansion on the hill' in Terlingua, Texas. Foto: Jörg Buschmann)

Das passt zwar zu einer Geisterstadt, wirkt aber im Großen und Ganzen beinah schon zu geisterhaft. Ein Dach existiert nicht. Viele Mauern fehlen, und der Rest des Hauses starrt aus dunklen fensterlosen Höhlen auf den Besucher herab. Balken ragen wild, wie Mikado-Stäbchen, die einfach über das Haus ausgekippt wurden, durch die zerbrochenen Decken im Erdgeschoss. Sicher, das waren einmal ansehnliche Räume. Aber jetzt sind die Decken an vielen Stellen so hoch wie der Himmel. Die Frage drängt sich auf, während sich Kaci Fullwood auf eines der Sofas unter der Veranda setzt, wo um Himmels willen denn hier Hotelgäste übernachten sollen, doch nicht etwa unter dem sternenleuchtenden texanischen Himmel?

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(Foto: Terlingua - Straße zur Siedlung im Morgenlicht. Foto: Jörg Buschmann)

Kaci Fullwood hat einen Sinn für das Auskosten von Spannung. Statt die Frage zu beantworten, erzählt sie lieber die Geschichte von "Upstairs at the Mansion", die gleichzusetzen ist mit der Geschichte von Terlingua. Ungefähr seit 1880 wurde hier Zinnober industriell in Minen abgebaut. Die Indianer hatten sich der Vorkommen schon lange vorher bedient. Das Geschäft florierte, und einer der Besitzer der vier Minen baute sich, wie Kaci erzählt, dieses Haus. Weil seine Mine das zweitgrößte Zinnobervorkommen der Welt ausbeutete, fuhr er eines Tages nach Spanien, um das größte Vorkommen zu besuchen. Der Besitzer der Mine hatte Sinn für Höheres. Sein Haus war zweistöckig und besaß obendrein eine Veranda mit kunstvoll geschnitzten Balken. Die Wirkung blieb nicht aus: Vom spanischen Vorbild inspiriert, hatte der Mann aus Terlingua nach seiner Rückkehr ein zweites Stockwerk auf sein Haus drauf- und eine Veranda darangesetzt.

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(Foto: Hotelchefin Kaci Fullwood. Foto: Jörg Buschmann)

Jetzt schaut sich Kaci um, als wäre ihr der Ausblick ganz neu. Sie wartet auf die Frage, die nun zwangsläufig kommen muss, wenn man nur lange genug auf das Gebäude starrt. Wo sind eigentlich die Treppen, um in das zweite Stockwerk zu gelangen? Die hatte der gute Mann in seinem Eifer vergessen. Also baute er ein zweites, kleines Haus neben das Hauptgebäude, wo er die Treppen und zwei weitere Zimmer unterbrachte. Und siehe da, hier gibt es Decken, Fenster, festen Boden unten den Füßen und auch sonst alles, was so ein liebevoll ausgestattetes, großzügiges Zimmer in einem winzigen Hotel ausmachen kann. Viktorianische Betten mit dicken Matratzen und vielen Kissen, im durch die geöffneten Fenster hereinfließenden Wind wabern Gazevorhänge, die Regale sind voller Bücher, und an den Wänden hängen Illustrationen.

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(Foto: Jörg Buschmann)

Kaci Fullwood hat es sich in Terlingua gemütlich gemacht, einer Stadt, in der jetzt wieder ungefähr 100Menschen leben, nachdem sie von 1944 an, als der Zinnober-Abbau nicht mehr lohnend war, zur Geisterstadt wurde. Die meisten der flachen kleinen Häuser sind verfallen. Sie liegen verstreut in einer kargen Hügellandschaft. Das Herz des Ortes, zweihundert Meter von Kacis Hotel entfernt, schlägt in der Trading Station, heute das größte Gebäude von Terlingua.

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(Foto: Jörg Buschmann)

Hier treffen sich die Bewohner und die Touristen, nicht zuletzt weil sich daneben im ehemaligen Kino eine entsprechend großräumige Bar mit Livemusik und günstigen Marguaritas im Angebot etabliert hat. Terlingua zieht ...

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(Foto: Hippie-Kunst am Wegesrand. Foto: Jörg Buschmann)

... Aussteiger und ergraute Hippies an, das Publikum ist erfrischend ungewöhnlich, und das unwirkliche "Upstairs at the Mansion" könnte zu keinem Ort besser passen. Kaci fährt die paar Meter mit ihrem Wagen zur Trading Station. Dass der Wagen keine Nummernschilder hat, stört niemanden. Eigentlich wollte Kaci, geboren und aufgewachsen in Alaska, in der Natur leben und gleichzeitig noch Geld dabei verdienen. Ein Projekt der National-Park-Foundation in West-Texas erfüllte ihr diesen Traum. Vor zwei Jahren kam sie nach Terlingua, sah das zerfallene herrschaftliche Haus und fragte den Besitzer der Stadt, ob sie das Gebäude mieten und als Hotel nutzen könnte. Offenkundig hat der Mann Sinn für ungewöhnliche Ideen. Im Lauf der Zeit will sie das ganze Gebäude auf Vordermann bringen. Aber bis es soweit ist, bringt sie Leben in die verfallene Bude.

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(Foto: Big Bend National Park. AP)

In der Hauptreisezeit zwischen Oktober und Mai, wenn die Temperaturen in West-Texas erträglich werden, sind beide Zimmer ausgebucht. Reservieren ist unbedingt erforderlich. Von hier ist man in ein paar Minuten in einem der größten und einsamsten Nationalparks Amerikas. Reiten, Kajakfahren, Biken - den Outdoor-Aktivitäten sind an dieser entlegenen Stelle kaum Grenzen gesetzt. Dafür sind wiederum die Chancen, dabei Menschen zu begegnen, sehr begrenzt. Das gilt auch für die Gäste: "Einige", erzählt Kaci, "tun sich schwer damit, dass man die Zimmer nicht abschließen kann." Dann lacht sie, denn schließlich könne man die Zimmer doch mit einem kleinen Eisenhaken von innen verriegeln. Terlingua ist schon anders. Und das Grand-Hotel von Terlingua natürlich auch.

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(Foto: Jörg Buschmann)

Hotelinformationen: Upstairs at the Mansion, Terlingua TX, in the Ghosttown, 1 Nacht im DZ ab 95 Dollar, Tel.: 001/360/713/3408, upstairsatthemansion@gmail.com

© SZ vom 4.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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