Kolumne: Hin und weg:Urlaub jwd

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In unmittelbarer Nähe von Sargleben findet das sehr vitale Techno-Festival Evolution statt. (Foto: Yorck Maecke/Landesmarketing Brandenburg)

Kotzen und Motzen sind Naturidyllen, und in der Nähe von Sargleben geht es recht vital zu: Brandenburg macht sich über seine Ortsnamen lustig.

Glosse von Stefan Fischer

Brandenburg boomt. Da kann nicht einmal Bayern mithalten. In keinem anderen Bundesland wächst die Bevölkerung prozentual so stark wie in diesem Gliedstaat mit dem Loch in der Mitte. Zwar hält sich dieses Loch selbst für das Zentrum von wenn schon nicht der Welt, so doch von ziemlich vielem. Von Berlin aus gesehen ist dieses Brandenburg, das die Hauptstadt - ja, was nun: umarmt oder bedrängt?, ist diese Provinz "jwd". Im Dialekt der Hauptstädter: janz weit draußen. Vernachlässigbar.

Die Brandenburger nehmen das abwertende "jwd" aber inzwischen lässig als Kompliment und deuten es in einer Werbeoffensive um in: Jeder will dahin. Die Bilanz aus Zuzug und Abwanderung gibt ihnen recht. Vielleicht noch nicht jeder, aber sehr viele wollen dahin. Und wenn es mit dem Anstieg des Meeresspiegels so kommt wie prognostiziert, liegt das südliche Brandenburg über kurz oder lang auch noch direkt an der Ostsee, während Berlin das Schicksal von Atlantis ereilt. Ob die Hauptstadt-Hipster dann alle tauchen lernen werden, um dort weiter unbeirrt Hauptstadt-Hipster-Dinge zu tun, wird man sehen.

Dem hauptstädtischen Gehabe setzt Brandenburg jedenfalls seine Bodenständigkeit entgegen - und vertritt sie mit zunehmendem Selbstbewusstsein (was das anbelangt, hat Brandenburg Bayern allerdings noch nicht überflügelt). Sowie mit einer ordentlichen Portion Selbstironie. "Schöne Orte brauchen keine schönen Namen", heißt eine aktuelle Imagekampagne des Bundeslandes. In der werden die Vorzüge von neun Dörfern hervorgehoben, deren Namen nicht als Standortvorteil taugen: Kackrow, Knoblauch, Kotzen, Motzen, Pitschen-Pickel, Protzen, Ranzig, Sargleben und Sauen.

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Doch in unmittelbarer Nachbarschaft von Sargleben findet das sehr vitale Techno-Festival Evolution statt. Kotzen und Motzen sind Naturidyllen, die einen weder zum einen noch zum anderen neigen lassen. Und die Spree riecht vielerorts ranziger als in Ranzig.

Die Kampagne zielt nicht in erster Linie auf den Tourismus. Pitschen-Pickel wird absehbar nicht in einem Atemzug genannt werden mit gnadenlos überrannten Städten wie Barcelona und Venedig. Aber es ist der Beginn von etwas. Vor dreißig Jahren konnte sich auch kaum jemand vorstellen, einmal in Dubai Urlaub zu machen. Der Name Dubai ist übrigens die Verniedlichung des Wortes "Daba", das eine junge Heuschrecke bezeichnet.

Stefan Fischer ist kein Freund von Heldenverehrung. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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