Wer Hotels liebt, tut dies meist deshalb, weil dort das Schlimmste und Schönste im Leben passieren kann, ohne dass die elegante Kulisse verrutscht. Das Lutetia in Paris treibt diesen vornehmen Gleichmut eines Hotels auf die Spitze. Könnte man alle Gäste des vergangenen Jahrhunderts hier versammeln, dann stünden nicht nur Charles de Gaulle, Pablo Picasso und Heinrich Mann gemeinsam an der Bar, dann träfen die Überlebenden deutscher Vernichtungslager in der Lobby auf Wehrmachtsoffiziere, die von hier aus Frankreich ausspionierten. Von 1940 bis 1944 besetzte der als Abwehr bezeichnete militärische Geheimdienst der Nazis das Hotel. Zwischen April und August 1945 wurden am selben Ort alle deportieren Juden und Widerstandskämpfer versammelt, die nach Frankreich zurückkehrten. Und als wäre all das nie passiert, sitzen entlang der Fassade damals wie heute kleine, dicke Putten zwischen übervollen Weinreben. Anfang des 20. Jahrhundert in Stein gehauen von Paul Belmondo, dem Vater des Schauspielers Jean-Paul Belmondo.
Nach einer vierjährigen Renovierungspause wurde das Lutetia in der vergangenen Woche wiedereröffnet. 200 Millionen Euro soll der neue Besitzer, die israelische Alrov-Gruppe, in den Umbau investiert haben. Für das Hotel beginnt nun wieder einmal eine neue Ära. Die Ära des großen Geldes. Die günstigsten Zimmer kosten 750 Euro die Nacht. Das Haus brüstet sich damit, das einzige Luxushotel der Rive Gauche zu sein, jener Pariser Stadthälfte also, die links des Seine-Ufers liegt.
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Stammgast Josephine Baker gab der Hotelbar ihren Namen, hier scheint das historische Ambiente nach vier Jahren Umbau noch deutlich durch.
Bild: Christophe Archambault / AFP -
Das Spa im Keller dagegen ist ganz modern gehalten - und verbirgt was hier früher passierte: Die Nazis folterten zwischen 1940 und 1944 französische Widerstandskämpfer.
Bild: Christophe Archambault / AFP -
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die französischen Überlebenden der deutschen Lager zunächst in das Hotel gebracht. Hier werden einige in der Lobby versorgt.
Bild: AFP -
Heute ist wieder der Luxus das Hauptmotiv. Espresso für sieben Euro, 30 Gramm Kaviar mit Toast, Sahne und Zitrone für 110 Euro.
Bild: Charles Platiau / Reuters -
Eine der schlichteren Übernachtungsmöglichkeiten des Hotels. Die günstigsten Zimmer kosten 750 Euro die Nacht.
Bild: Charles Platiau / Reuters -
Und einfach hineinstolpern geht nicht: Schon auf der Straße fragen zwei Portiers dienstfertig und streng, ob sie helfen können.
Bild: Charles Platiau / Reuters
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Tatsächlich fügt sich das neue superreiche Publikum gut in die Geschichte des Lutetia ein. Wer um die 1000 Euro allein für das Essen und die Übernachtung ausgibt, hat meist noch ein paar Scheine über, um sich einer dritten Beschäftigung zu widmen: dem Einkaufen. Und als Haus für Einkaufende wurde das Lutetia 1910 gebaut. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht das Kaufhaus Le Bon Marché. 1838 gegründet, gilt es als ältestes Kaufhaus der Welt. Émile Zola recherchierte dort in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts für seinen Roman "Das Paradies der Damen". Dort kann man nachlesen, wie schon damals Sonderangebote und Werbegeschenke zum Geldausgeben verführten.
Als das Bon Marché so beliebt geworden war, dass Kunden und Händler aus ganz Frankreich anreisten, eröffneten die Besitzer des Kaufhauses das Hotel Lutetia. Heute findet man im Bon Marché teuerste Designer, Delikatessen aus aller Welt und asiatische, europäische und amerikanische Touristen, die in jeweiliger Landessprache laut vor sich hin staunen.
Ins Lutetia kann man nun nicht ganz so großäugig hineinstolpern. Schon auf der Straße fragen zwei Portiers dienstfertig und streng, ob sie helfen können. Hat man ihnen eine befriedigende Antwort gegeben, darf man durch die Drehtür ins Innere treten und wird dort von denselben Portiers wieder in Empfang genommen, die in bester Hase-Igel-Technik durch eine Nebentür vorangehuscht sind. Die nächsten Anweisungen ("Zur Bar geht es links entlang, Madame") erhält man, während man auf einem Mosaik steht. Ein Schiff im Wellengang, Wappen und Motto von Paris. Der dazugehörige lateinische Sinnspruch fehlt, aber seit den Terroranschlägen von 2015 kann ihn jeder Franzose wieder auswendig: "Fluctuat, nec mergitur", sie schwankt, aber geht nicht unter.
Dieses entschlossene Weitermachen, komme was wolle, erzählt auch die Geschichte dieses Hauses. Es beginnt schon bei der Drehtür. Auch dort auf jeder Glasscheibe das Wappenschiff, dazu glänzend poliertes Holz. Wüsste man nicht, wo man hier ist, wäre die Tür einfach nur nostalgisch schön. Hat man sich vorher ein wenig eingelesen, muss man schlucken.