Deutschland-Reise: Thüringen:Auf der Kippe

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Der nach Angaben eines Fördervereins schiefste Turm Deutschlands könnte bald abgerissen werden. Im thüringischen Bad Frankenhausen fehlt das Geld für die Stabilisierung.

Christiane Kohl

Der Turm ist schief. So schief, dass man fast den Atem anhalten möchte, wenn man vom Berg aus auf die verwinkelte Dachlandschaft der Kurstadt Bad Frankenhausen schaut: Da ragt am Südrand des Kyffhäusergebirges in Thüringen die grau verschieferte Turmhaube wie ein schräger Stachel zwischen den rot geziegelten Dächern hervor. "Ein Geschenk des Himmels", meint die Rentnerin Bärbel Köllen liebevoll, die nebenbei als Gästeführerin in Bad Frankenhausen arbeitet. In der Kirchengemeinde aber wird der schiefe Turm eher als unerwünschte Last betrachtet: Pfarrer Andreas Barth jedenfalls sieht eine "Open-Air-Ruine" in dem kleinen Gotteshaus am Berg - und er wäre es wohl lieber heute als morgen los.

(Foto: dpa)

Verkehrte Welt in Thüringen: Während das zuständige Kirchenamt wie auch die örtliche Gemeinde den schiefen Kirchturm am liebsten abreißen möchten, kämpfen der Bürgermeister und ein Förderverein für den Erhalt des kuriosen Bauwerkes: "Es muss doch möglich sein, den Turm zu retten", sagt Bürgermeister Matthias Strejc, schließlich handele es sich um einen der schiefsten Türme in Europa - "wir sind schiefer noch als Pisa", sagt das Stadtoberhaupt. Der Frankenhauser Turm ist auch so gefährdet wie einst der Campanile in Pisa, bevor er aufwendig saniert wurde: Wenn nicht bald etwas passiere, werde der Turm einstürzen, fürchtet Bürgermeister Strejc.

Schiefer als der Turm von Pisa

Tatsächlich neigt sich der Frankenhauser Turm um genau 38 Zentimter stärker zur Seite als sein berühmtes Pendant in Pisa. Und auch den schiefen Kirchturm im ostfriesischen Örtchen Suurhusen, der mit einer Neigung von 5,19 Grad gern als schiefster Turm Deutschlands bezeichnet wird, schlägt der Frankenhäuser Turm angeblich, wie die örtliche "Vereinigung zur Rettung des Turmes" herausgefunden haben will.

Da die Spitze des Frankenhauser Turms im 17. Jahrhundert einmal umgestaltet wurde, wobei man die oberste Spitze in Gegenrichtung zu dem damals schon beträchtlichen Neigungswinkel weiterbaute, sei die oberste Turmhaube zwar um einen Deut weniger schief als der Suurhusener Turm, der Turmbau selbst aber weit stärker geneigt als die ostfriesische Variante.

Anno 1382 war die Kirche "Unserer lieben Frauen am Berge" fertiggestellt worden. Es folgte eine bewegte Geschichte mit Plünderungen, Bränden und schließlich die Schiefstellung. Auf einem Stich von 1750 sieht der Turm noch gerade aus, bald darauf aber muss er aus dem Lot geraten sein, denn bereits 1762, als die Turmhaube erneuert wurde, hatte man beim neuen Aufbau der Neigung entgegengearbeitet.

Besonders im vorigen Jahrhundert wurde der 56 Meter hohe Turm dann schiefer und schiefer: 1920 war er um 2,21 Meter aus dem Lot, 2004 waren es bereits 4,07 Meter, heute sind es 4,45 Meter. Jahr für Jahr nimmt die Neigung um etwa sechs Zentimeter zu. Umso dringender sei die Stabilisierung, meint SPD-Bürgermeister Strejc.

Doch die Kirche mag offenbar keinen weiteren Cent mehr in das Bauwerk stecken, stattdessen will Kirchenoberbaurat Bernd Rüttinger von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) in Kürze mit den staatlichen Behörden über einen Abriss des ungeliebten Turms beraten: "Wir haben keine Mittel übrig, um Ruinen zu erhalten", so Rüttinger. Stattdessen wird in Bad Frankenhausen zurzeit die aus dem Barock stammende "Unterkirche" für gut 2,3 Millionen Euro saniert.

Auch in den schiefen Turm ist schon einiges Geld geflossen: So war in den 90er Jahren der Schiefer an der Turmhaube erneuert worden, brüchige Mauerstellen wurden ausgebessert und ein bereits in den 30er Jahren angebrachter Ringanker wurde ertüchtigt. Im November 2006 gab es zusätzlich eine Million Euro an Fördermitteln, um den Turm zu stabilisieren.

Mangelnde Tragfähigkeit des Erdreichs

Ähnlich wie beim Campanile in Pisa liegt in Bad Frankenhausen der Grund für die Neigung des Turms in der mangelnden Tragfähigkeit des Erdreiches. Durch Auswaschungen in den Gips- und Karstzonen sind vermutlich Hohlräume entstanden, der Boden gibt nach.

Mit Beton könnte man das Terrain stabilisieren, und das, obgleich direkt unter dem Turm eine Solequelle liegt. Boden-Untersuchungen haben bereits etwa eine halbe Million Euro verschlungen, deshalb will die Kirche jetzt kein weiteres Geld mehr ausgeben. Bürgermeister Strejc hingegen würde alles tun, um den Turm zu sanieren, denn schließlich könnte der eine wichtige Touristenattraktion für das Städtchen am Kyffhäuser sein. Doch Strejc sind die Hände gebunden: "Eigentümerin des Turms ist schließlich die Kirche". Auch Bärbel Köllen und ihre Mitstreiter wollen noch einiges unternehmen, um den schiefen Turm zu retten. "Notfalls", sagt die Rentnerin, "ketten wir uns eben auf dem Turm an."

© SZ vom 30.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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