Alfred Seiland fotografiert Ruinen des Römischen Reiches. Aber er wählt seinen Standort so, dass man immer sieht, was die Menschen aus der Antike gemacht haben und wie sie heute mit ihr leben - ein eigentümliches Miteinander. Von Stefan Fischer Touristen unternehmen oft beachtliche Anstrengungen, wenn sie Sehenswürdigkeiten fotografieren. Denn sie wollen keinesfalls den Eisstand davor, den hässlichen Neubau nebenan oder - das wäre das Schlimmste - andere Touristen auf dem Bild haben. Also kraxeln sie herum und krümmen sich und kommandieren Menschen von hier nach dort, bis die Attraktion so rein vor ihrer Linse steht wie . . . ja, wie wann eigentlich?
Gerade bei antiken Schauplätzen ist dieser Wunsch nach einem unverstellten Blick auf die Ruinen kurios. Denn die Bauwerke, deren Überreste immer noch eine Betrachtung wert sind, existieren in ihrer ursprünglichen Gestalt eben ohnehin nicht mehr, sondern haben ihr Angesicht immer wieder verändert. Kurz: Fotos vom Kolosseum in Rom ohne den touristischen Klamauk drumherum versuchen, just alle diese Umbauten, Überprägungen und Zerstörungen auszublenden. Was mindestens bei den Zerstörungen zu einem unmöglichen Unterfangen wird.
Derartige Motive bedeuten eine romantisierende Sicht auf etwas Vergangenes, das so, wie es auf derartigen Fotografien inszeniert wird, vermutlich nie existiert hat. Auch nicht in den vermeintlich seligen Zeiten des frühen Antiken-Tourismus im 18. und 19. Jahrhundert. In ihren Anfängen sah es die Fotografie ab den 1840ern noch als ihre Aufgabe an, den Daheimgebliebenen - und das war die übergroße Mehrheit - ein Bild zu vermitteln von den Überresten der Antike unter Ausblendung von allem, was an deren Stelle getreten ist. Das hat sich inzwischen verändert.
Exemplarisch steht das Werk des österreichischen Fotografen Alfred Seiland dafür. Auch er sucht den optimalen Standort für seine Aufnahmen von den architektonischen Hinterlassenschaften des Römischen Reiches - der 61-Jährige will aber nicht ausblenden, sondern einfangen. Er will den Imbisswagen explizit mit auf dem Foto haben und die Touristen und die Häuser, die auf zum Teil sehr grobe Weise an antike Stätten heran- oder sogar in sie hineingebaut werden. Das ist häufig erheiternd, manchmal beklemmend und hin und wieder beides zugleich.
Seiland zeigt in dem Bildband "Imperium Romanum" rund 50 Aufnahmen, die belegen, "was die Zeit und vor allem der moderne Mensch aus der Antike gemacht, von ihr übrig gelassen hat und wie er heute mit ihr lebt". So formuliert es Marcus Trier, Direktor des Römisch-Germanischen Museums in Köln, treffend in seiner Einleitung.
Zum Teil ist es die Antike selbst, die das am wenigsten Authentische auf den Bildern ist: So parkt ein Lkw nicht auf dem Forum Romanum, sondern im Filmset zur Fernsehserie "Rome" in den Cinecittà-Studios. Intakt ist das Kolosseum nur in Adaptionen, sei es im Freizeitpark "Italia in Miniatura" in Rimini oder, dort als Hotel Colosseo, im Europapark Rust - in diesem Fall wird die Wechselwirkung zwischen Antike und Tourismus besonders fassbar.
Es ist aber nicht das primäre Ziel von Alfred Seiland, sich lustig zu machen und auch nicht, anzuklagen. Er dokumentiert, durchaus mit einem Bewusstsein für auch bittere Pointen. Mindestens genauso wichtig sind ihm jedoch ästhetische Aspekte. Seine Aufnahmen sind präzise komponiert und inszenieren die Menschen und alles Nachantike nicht als Störenfriede in einem Heiligtum. Sondern zeigen das Neben-, das Miteinander.
Alfred Seiland: Imperium Romanum. Opus Extractum. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern2013. 144 Seiten, 29,80 Euro. Eine Ausstellung der Fotografien ist noch bis zum 30. März im Römisch-Germanischen Museum in Köln zu sehen und von 10. Oktober an im Musée national d'histoire et d'art in Luxemburg.