Die besten Sonnenaufgänge erleben Fluggäste, wenn sie die Jalousien vor ihren Fenstern geschlossen lassen. Ganz langsam macht sich dann ein sanftes rotes Licht in der Kabine breit. Es wird heller, es wird intensiver, dann leuchtend gelb. Kurz vor dem Frühstück bekommt das Licht einen Blaustich - um auch die letzte Müdigkeit zu vertreiben. "Mood Lighting", auf Deutsch: Lichtstimmung, nennt sich das farbenfrohe Konzept, das zunehmend Anklang bei Flugzeugherstellern findet.
Aktuelle Maschinen wie Boeings 787 haben die Technik bereits serienmäßig an Bord. Aber auch bei älteren Modellen steht der stimmungsvollen Kabinenbeleuchtung im Prinzip nichts entgegen. Die Idee hinter den Lichtspielen: Der Rhythmus, in dem Menschen schlafen und wieder wach werden, hängt stark von den optischen Reizen ab, mit denen die Sehzellen im Auge konfrontiert werden. Gerade bei langen Flügen über Zeitzonen hinweg kann das richtige Licht daher helfen, besser zu schlafen und fitter am Ziel anzukommen. "Die Beleuchtung der Kabine geht somit weit über rein ästhetische Aspekte hinaus", sagt Achim Leder, Wirtschaftspsychologe an der Bergischen Universität Wuppertal. "Richtig eingesetzt, kann sie psychologische und sogar physiologische Effekte haben."
Was dabei im Körper der Passagiere vor sich geht, hat Leder mit Experten des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik im oberbayerischen Valley, des Flugzeugherstellers Airbus sowie der Zulieferer Diehl Aerospace und Osram untersucht. Noch Ende der 1990er Jahre dominierten Leuchtstoffröhren den Innenraum neuer Flugzeuge - lange Paneele, die die Kabine in ein steriles, wenig einladendes Licht tauchten. Sie ließen sich zwar dimmen, veränderten dabei aber (abhängig von ihrem Alter) Farbe und Helligkeit. Die Beleuchtung wurde uneinheitlich. "Im Grunde gab es deshalb nur An oder Aus", sagt Achim Leder. Dann kamen die Leuchtdioden - kleine Halbleiterelemente, die sich inzwischen so fertigen lassen, dass sie im Prinzip jede Farbe erzeugen können.
Anfangs, zum Beispiel im Airbus A380, wurden diese LEDs noch gemeinsam mit Leuchtstoffröhren verbaut. Mittlerweile sind die hell genug, um die ungeliebten Lichtquellen zu ersetzen. So vertraut Boeings neuer Dreamliner im Innenraum komplett auf Leuchtdioden. Airbus' nächstes Flugzeug, die A350, wird denselben Weg einschlagen. "Leuchtdioden sind leicht, sparsam und können flexibel angesteuert werden", sagt Nicole Wintergerst, Expertin für Lichtsysteme beim Kabinenausstatter Diehl Aerospace. "Dadurch lassen sich sehr viele Effekte erzielen." Während des Einsteigens kann das Flugzeuginnere zum Beispiel in einem hellen Licht erstrahlen, das die Kabine groß und einladend erscheinen lässt. In den ersten Flugstunden dominiert natürliches Licht - ideal zum Lesen und Arbeiten. Anschließend signalisieren Orangetöne, dass es Zeit zum Abendessen ist.
"Mithilfe der Lichtstimmung können wir die Passagiere sogar früher ins Bett schicken", sagt Wintergerst. Ein simulierter Sonnenuntergang um 17 Uhr ursprünglicher Zeit lässt die Fluggäste entschlummern. Eine Morgenstimmung einige Stunden später - idealerweise synchronisiert mit der Zeit am Zielort - weckt sie wieder auf. "Die Leute haben dadurch zwar nicht ihr volles Pensum an Schlaf bekommen, aber sie sind zumindest ausgeruht, und ihr Körper hat den neuen Rhythmus schon verinnerlicht", sagt Wintergerst.
Ob das auch in der Praxis funktioniert, hat Achim Leder nun mit einer Gruppe von Freiwilligen untersucht - allerdings nicht in der Luft, sondern unter kontrollierten Bedingungen in einem Flugzeugrumpf in den Nürnberger Labors von Diehl Aerospace. Zwei Gruppen mit je 16 Probanden mussten dort zu insgesamt sechs Nachtflügen antreten. Ein jeder dauerte zehn Stunden, Einsteigen, Abendessen und zollfreies Einkaufen inbegriffen. Sogar Fluggeräusche haben die Forscher eingespielt.
Simuliert wurden sowohl Flüge mit herkömmlicher als auch mit moderner Beleuchtung. Bei den alten Leuchtstoffröhren ging das Licht um 23 Uhr aus, Punkt 5.30 Uhr ging es wieder an. Die Versuche mit Leuchtdioden waren raffinierter aufgebaut: Gleich nach dem Start wurde das Licht leicht gedimmt, der Rotanteil stiegt deutlich an - in der Hoffnung, dadurch die Produktion des Schlafhormons Melatonin anzuregen. "Allzu rot durfte das Licht aber nicht werden, weil dadurch das Abendessen fad ausgesehen hätte", erzählt Leder. Zum Schlafen fuhren die Forscher das Licht langsam herunter. Ab 5.30 Uhr ging es wieder an - zunächst mit einem leichten Rotanteil, um die Passagiere nicht aus dem Schlaf zu reißen, dann zunehmend bläulicher. Dadurch sollte der Körper die Produktion von Melatonin stoppen und stattdessen das Stresshormon Cortisol erzeugen - ein Garant für aktive Passagiere.
Die Rechnung ist offensichtlich aufgegangen. Erste Ergebnisse der Studie, die Leder und seine Kollegen im Dezember vorgestellt haben, zeigen, dass die Melatoninkonzentration im Speichel der Probanden vor dem Einschlafen stark anstiegen. Am Morgen sanken die Werte dagegen deutlich ab; selbst zwei Stunden nach dem Aussteigen waren sie noch niedriger als bei der Gruppe, die mit den Leuchtstoffröhren fliegen musste. Die Probanden fühlten sich fitter und ausgeruhter.
Achim Leder ist sich der Beschränkungen seines Experiments bewusst: Die Testgruppe war klein, sie bestand hauptsächlich aus Studenten. Um allgemeingültige Ergebnisse zu erhalten, müssen nun auch ältere Menschen untersucht werden - am besten auf echten Langstreckenflügen. Aber auch Hersteller und Fluggesellschaften haben noch Hausaufgaben zu erledigen: Ob sie die neue Kabinenbeleuchtung einsetzen und wie gut sie die Lichtshow an die Flugpläne, an die jeweiligen Tageszeiten und die zu erwartende Zeitverschiebung anpassen, liegt bei den Airlines.
Die Kabinenausstatter tüfteln derweil weiter an der Diodentechnik. Noch immer unterscheidet sich die Verteilung der Farben, die die LEDs aussenden, deutlich vom Spektrum der Sonne. Der Mensch fühlt sich aber bei Sonnenlicht am wohlsten. "Dieses Spektrum mit Leuchtdioden nachzubilden, wäre folglich die beste Lösung", sagt Nicole Wintergerst. "Da kann man noch viel forschen und entwickeln."