Der kürzeste Weg und die schnellste Route - das sind die beiden Optionen, die Navigationssysteme und Google Maps ihren Kunden anbieten. Maximal erweitert um die Auswahl des Fortbewegungsmittels oder die Option, Straßen mit Maut-Pflicht oder Staus zu vermeiden.
Und nur allzu oft sind dies ja auch die Kategorien, in denen gestresste Großstädter denken: Wie schaffe ich es doch noch pünktlich zum Geschäftstermin oder rechtzeitig zur Kita? Doch zum Glück gibt es immer noch die Momente, in denen Zeitoptimierung nicht das oberste Ziel ist - im Urlaub zum Beispiel, am Wochenende oder im Feierabend. Dann ist vielleicht nicht "schnell" die Priorität, sondern "schön". Doch welche Route nehme ich dann? Navis und Google haben keine Antwort auf diese Frage, doch drei Forscher arbeiten daran.
Vergangene Woche haben Daniele Quercia und Luca Maria Aiello von den Yahoo Labs in Barcelona und Rossano Schifanella von der Universität in Turin eine Studie veröffentlicht, die einen verheißungsvollen Titel trägt: "Der schnellste Weg zur Freude: Schöne, leise und fröhliche Routen in der Stadt empfehlen". Den drei Forschern ist daran gelegen, nicht nur effizient von A nach B zu kommen, sondern auf Wegen, die als schön und emotional ansprechend wahrgenommen werden.
Die Alternativrouten dauern nur wenig länger
Zunächst haben die Wissenschaftler Internetnutzern paarweise Fotos aus einem bestimmten Bezirk in London vorgelegt. Diese sollten bei jedem Bild-Paar entscheiden, welches "schöner, ruhiger und erfreulicher" aussieht. ( Wer selbst mitmachen möchte, kann dies auf der Onlineplattform UrbanGems tun).
Anhand der Votings von mehr als 3000 Teilnehmern konnten die Orte in Bezug auf ihren Genussfaktor bewertet werden. Zur schnellsten Route zwischen dem Euston Square und der Tate Modern haben die Forscher drei Alternativen generiert - die tatsächlich auch nur zwölf Prozent mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Zeit für den Praxistest: 30 Testpersonen sollten die verschiedenen Wege bewerten - am schlechtesten schnitt der schnellste ab.
Doch lassen sich die Ergebnisse über London hinaus verallgemeinern? Und gibt es nicht eine einfachere Methode, die schönen, entspannenden Orte von den stressigen zu unterscheiden, als mühsam Hunderte Einzelwertungen von Internetnutzern einzuholen?
Mit Flickr-Fotos durch Boston
In einem zweiten Schritt verlegten Quercia, Schifanella und Aiello das Experiment nach Boston - eine Stadt mit einem ganz anderen Straßenbild, einer anderen Struktur als London. Und statt Bilder-Votings wurden die Alternativrouten über eine Auswertung von Flickr-Fotos generiert. Die Annahme dahinter: Ein Ort ist dann besonders schön, wenn hier viele Leute ein Bild machen, das sie online teilen möchten. Das gilt natürlich umso mehr, wenn ein "schön" oder "gut" dazu gepostet wird.
Mehr als 50 Teilnehmer wurden in Boston auf die verschiedenen Routen zwischen Back Bay Station und South Station geschickt und wieder schnitt die "schöne Route" besser ab.
Das US-Magazin Wired zeigt sich begeistert vom Ansatz der Studie. "Diese Art des Denkens ist erfrischend und könnte auch jenseits von Karten und Navigation fruchtbar sein." In der Tat: Freude und Genuss über Effizienz und Zeitersparnis zu stellen, ist eine neue und bemerkenswerte Perspektive. Andererseits beobachten die Wissenschaftler in ihrer Studie auch, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Dass manche Versuchspersonen eine quirlige, belebte Einkaufsstraße genießen, andere aber schwer genervt von dieser sind.
Die eine perfekte Route wird es somit wohl auch in Zukunft nicht geben. Letztlich kann die Studie auch als Ermutigung verstanden werden, die Navigation abzuschalten, die Route zu verlassen, um die nächste Ecke zu biegen und sich von der Welt überraschen zu lassen.