Erleichtert. Stolz. Nicht ganz sorgenfrei, aber hoffnungsvoll. So dürfte sich Barack Obama in diesen Tagen fühlen. Für sein wichtigstes Projekt, die Krankenversicherung Obamacare, sieht es nach dem Pannen-Start im Herbst wieder ganz gut aus. Mehr als sieben Millionen Amerikaner haben mittlerweile eine Police für Obamacare abgeschlossen - dabei hatte sich das Weiße Haus nur sechs Millionen als Ziel gesetzt. Obama lässt sich also feiern, freut sich über die Verschnaufpause und das Weiße Haus verbreitet die gute Nachricht auf allen Kanälen.
Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert
Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.
Dabei gibt es rund um Obamacare weiterhin viel mehr offene Fragen als gesicherte Erkenntnisse.
Da ist zum einen das Zahlenproblem: Bis zum Stichtag 31. März hatten mindestens 7 041 000 Amerikaner über die anfangs so fehlerhafte Website, per Telefon oder per schriftlichem Antrag eine Krankenversicherung abgeschlossen. Der Präsident möchte Amerika gerechter machen und Obamacare soll so vielen bisher Unversicherten wie möglich Schutz geben. Läuft also alles nach Plan? Nicht ganz, denn die Sieben-Millionen-Zahl ist längst nicht so aussagekräftig, wie sie auf den ersten Blick scheint.
- Wer hatte wirklich vorher keine Krankenversicherung? Es ist bisher unklar, wie viele der sieben Millionen unversichert waren. Aus der Obama-Regierung heißt, dieser Wert sei nicht ermittelt worden - obwohl jeder Bewerber bei healthcare.gov dies angeben muss. Pessimisten schätzen, dass nur ein Viertel wirklich "neu" sind.
- Wie viele Geber, wie viele Nehmer? Das Weiße Haus hat sich ins Zeug gelegt, damit sich möglichst viele junge Amerikaner anmelden. Das Kalkül: Wer jung ist, ist meist gesund und belastet die Krankenkassen nicht. Sie sollen mit ihren Beiträgen die Kosten für jene älteren und kranken Amerikaner tragen, die sich gleich zu Beginn registrierten. Ob Obamas Youngster-Offensive (etwa der Auftritt bei "Between Two Ferns") für die richtige Mischung gesorgt hat, weiß niemand.
- Zahlen die Leute ihre Beiträge? Unklar ist ebenfalls, wie viele der Neuversicherten die monatlich fälligen Summen überhaupt gezahlt haben. Laut Politico schätzen Branchenexperten, dass bis zu 20 Prozent der Angemeldeten ihre Beiträge nicht beglichen haben - es könnten also viele wieder aus der Statistik hinausfliegen. Experten nennen mehrere Gründe für solche Versäumnisse: Die Bewerber könnten es schlicht vergessen haben, sie fanden einen Job mit besserer Absicherung oder sind später zur Überzeugung gelangt, dass der Beitrag doch zu teuer ist.
- Haben sich sogar mehr Amerikaner versichert? Andere Analysten argumentieren hingegen, dass die Zahl der Neuversicherten sogar noch höher liegen könnte. Laut New York Times schätzt der Experte Gary Claxton, dass sich womöglich Hunderttausende außerhalb des Obamacare-Systems abgesichert haben. Wieso das wichtig ist? Hier geht es wieder um die "Mischung": Die Krankenkassen brauchen genügend neue Mitglieder und vor allem genug junge (siehe oben). Woher diese kommen, spielt keine Rolle.
Fazit: Es wird Wochen dauern, bis genug Datenmaterial vorliegt, damit Experten abschätzen können, wie tragfähig das neue System ist - und vor allem, wie sich die Beiträge entwickeln. Und davon hängt ab, wie die Bürger über Obamacare denken werden.
In der aktuellsten Umfrage von NBC und Washington Post sagten 49 Prozent der Befragten, dass sie den Affordable Care Act (so der offizielle Name von Obamacare) unterstützen. 48 Prozent hingegen lehnen das Gesetz noch immer ab. Für Chris Cillizza, Polit-Blogger der Post, ist klar: "Werden die Leute nach Obamacare gefragt, dann sagen sie ihre Meinung über Obama."
Und der 44. US-Präsident ist und bleibt eine umstrittene Figur: Auch wenn Obama viele Demokraten enttäuscht hat und nicht so progressiv handelte wie erhofft, ist er noch immer "ihr" Präsident. Unter Republikanern - und besonders unter deren Aktivisten - gilt Obama weiter als Sozialist, der den Einfluss des Staates immer weiter erhöhen und Steuern nach oben treiben will. Dass die Bürger nun gezwungen werden sollen, sich zu versichern, erzürnt viele im konservativen Amerika - vor allem in den TV-Studios von Fox News und die diversen Talkradio-Moderatoren.
Zwei Faktoren werden das Dauerstreitthema Obamacare am Leben halten. Wer bis zum 31. März nicht krankenversichert ist, der muss eine Strafe zahlen. Viele Amerikaner werden entgeistert sein, wenn sie im April 2015 sehen, wie hoch diese ist. Denn in der öffentlichen Debatte war vor allem von 95 Dollar pro Monat die Rede, doch die Summe kann auf bis zu ein Prozent des Einkommens steigen. Die Wut der betroffenen Bürger werden Obamas politische Gegner ausnutzen.
Gleichzeitig verfolgen evangelikale Republikaner eine Verhandlung vor dem Supreme Court: Hier geht es um die Frage, ob der Besitzer einer Firma gegen seine religiöse Überzeugung seinen Angestellten einen Zuschuss zu einer Krankenversicherung zahlen muss, die auch Verhütungsmittel bezahlt ( mehr Hintergründe zum "Hobby Lobby"-Fall bei der New York Times). Sollten die Richter dies bejahen, werden die konservativen Hardliner noch schärfer protestieren.
Wieso Obamacare die Chancen der Demokraten im November mindern könnte
Am 4. November wollen die Demokraten ihre Mehrheit im Senat verteidigen (das Repräsentantenhaus wird republikanisch bleiben). Dies wird schwer werden, da die Republikaner nur sechs der 33 Sitze erobern müssen - und viele populäre Demokraten in den Ruhestand gehen ( mehr Hintergründe zu den midterm elections).
Zudem tut sich Obamas Partei traditionell schwer, ihre Anhänger zu motivieren, wenn kein neuer Präsident gewählt wird. Die jungen Städter, die Frauen in den Vororten sowie die die Latinos und Afroamerikaner, die Obama ins Weiße Haus gebracht haben, bleiben gern zu Hause. An die Wahlurnen gehen weiße, ältere Männer mit konservativen Ansichten - also genau jene Klientel, die Obamacare ablehnt und die deswegen die Republikaner stärken will. Seit langem durchsuchen deren PR-Berater alte Videoaufzeichnungen von demokratischen Abgeordneten und sammeln deren lobenden Aussagen über Obamacare, um sie für Wahlspots zu nutzen.
Sollten die Republikaner ab 2015 den Senat kontrollieren, bleibt Obama nur noch sein in der Verfassung garantiertes Veto, um die Vorschläge des Kongresses zu blockieren. Für die Demokraten und ihre Anhänger geht es also um viel - und die Sieben-Millionen-Marke bei Obamacare dürfte helfen, genau jene jungen Aktivisten zu begeistern, ohne deren Engagement die Obama-Partei chancenlos ist.
Immerhin: Im Internet zeigt sich bereits eine gewisse Kampfeslust. Als der republikanische Senator Ted Cruz, einer der wortmächtigsten Gegner der Reform, auf seiner Facebook-Seite neulich fragte, ob es seinen Fans mit Obamacare nun besser oder schlechter gehe, kaperten Demokraten die Kommentarspalte und hinterließen Statements wie: "Obamacare is awesome".