Zweiter Weltkrieg:Putin brachte die Panzer zurück auf den Roten Platz

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Erst Staatschef Leonid Breschnew habe den 9. Mai ab Ende der Sechzigerjahre zu einem Tag der triumphalen Einheit des Volkes im Marxismus-Leninismus gemacht. Unter Gorbatschow ab 1985 änderte sich das wieder. Nun sprach man von einem "Feiertag mit Tränen in den Augen".

In den Neunzigerjahren gab es keine Militärparade. Man begann, sagt Subow, "davon zu sprechen, dass Stalin auch eine Teilschuld daran hatte, dass 27 Millionen Sowjetbürger sterben mussten - 15 Prozent der Gesellschaft -, weil er kurz vor dem Krieg während der Großen Säuberungen die Militärführung umbringen ließ. Man sah nicht mehr nur den Triumph, sondern zugleich die Tragödie."

Zweiter Weltkrieg: Schlachtengemälde: Szene aus dem russischen Kinofilm "Panfilows 28 Männer".

Schlachtengemälde: Szene aus dem russischen Kinofilm "Panfilows 28 Männer".

(Foto: Libyan Palette Studios/Gaijin Entertainment)

Putin brachte die Panzer zurück auf den Roten Platz und machte die Parade erneut zu einer Demonstration militärischer Stärke mit Atomraketen, Fliegerstaffeln und den neuesten Entwicklungen der heimischen Rüstungsindustrie, die den Gästen und möglichen Kunden auf der Ehrentribüne präsentiert werden. An die Stelle des kommunistischen Rot traten das Schwarz und Orange des St.-Georgs-Bandes, inspiriert von einem Heldenorden aus der Zarenzeit.

72 Jahre nach dem entbehrungsreichen Sieg ist der Große Vaterländische Krieg stetiger Bezugspunkt von Wladimir Putins Politik und der staatlichen Propaganda. Der Konflikt um die Ukraine ist dafür nur das augenfälligste Beispiel.

Um die USA in eine Allianz gegen den islamistischen Terror (statt gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad, einen Verbündeten Russlands) zu drängen, stellte er die Verbindung zum Kampf gegen Hitler her. "Die historischen Parallelen sind offensichtlich", sagte Putin bei seiner Rede an die Nation im Dezember 2015: "Im 20. Jahrhundert wurde die Weigerung, rechtzeitig die Kräfte im Kampf gegen den Nazismus zu bündeln, mit Millionen Leben bezahlt."

Dass die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg mehr Opfer gebracht hat als irgend ein anderes Land, das lag nach der offiziellen Geschichtsdoktrin nicht an Fehlern Stalins, der Hunderte Kommandeure der Roten Armee umbringen ließ, darunter zahlreiche Generäle. Und nicht an der Erbarmungslosigkeit, mit der Soldaten ohne Ausbildung an die Front geschickt wurden. Sondern an den Amerikanern, die nicht bereit waren, sich früher der sowjetischen Führung anzuschließen.

Heute ist es unschicklich, den Beitrag der West-Alliierten zu würdigen

Eine realistische Darstellung des Krieges erfordere auch, die Leistung der westlichen Verbündeten anzuerkennen, ohne deren Beitrag die Sowjetunion den Krieg nicht gewinnen konnte, schreibt der Historiker Boris Sokolow. Doch in der offiziellen Geschichtsschreibung sei kein Platz für die westlichen Alliierten. In der angelsächsischen Literatur ist dies übrigens oft umgekehrt: Hier erscheint der Kampf der Sowjetunion bisweilen als Nebensache.

Dass die Rote Armee, so Sokolow, in den letzten Kriegsmonaten so rasch vorrücken konnte, sei nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass die Wehrmacht seit der Landung der Alliierten in der Normandie 1944 starke Verbände dorthin verlegte: "Statt den westlichen Verbündeten für diese Hilfe zu danken, zieht man es bei uns vor, ihnen vorzuwerfen, dass sie die zweite Front nicht früher eröffnet haben."

In der neu aufgelegten Ost-West-Konfrontation erscheine es aus der Sicht der Regierung als unschicklich, den Beitrag der USA und Großbritanniens zu würdigen. Viel einfacher ist es da, alte Legenden wie die von den Panfilow-Helden aufzufrischen: "Jeder Ansatz, diese Mythen zu zerstören, kommt dann einem Angriff auf die Grundfesten des Staates gleich."

Der Staat achtet argwöhnisch darauf, sein Monopol auf Erinnerung und Gedenken nicht zu verlieren. Aber das Bedürfnis nach neuen, persönlicheren Formen ist groß. 2012 organisierte eine Gruppe aus dem Umfeld des kritischen Regionalsenders TV-2 im sibirischen Tomsk erstmals einen stillen Marsch durch die Stadt, bei dem die Bürger Porträts ihrer Vorfahren halten, die den Krieg überlebt haben oder dort gefallen sind.

Auf der Website moypolk.ru können Fotos und kurze Biografien der Angehörigen veröffentlicht werden. Menschen, deren Angehörige in der gleichen Kompanie waren, finden sich und tauschen Bilder und Informationen aus, die sie gesammelt haben. Die Aktion war so ein großer Erfolg, dass sich andere Städte anschlossen.

Bald waren es Hunderttausende im ganzen Land - seit dem Ende der Sowjetunion waren nie so viele Menschen zu Demonstrationen auf die Straßen gegangen wie zum "Marsch des Unsterblichen Regiments".

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