Zweiter Weltkrieg in der Sowjetunion:"Der Krieg in Russland ist ungeheuer blutig"

Lesezeit: 8 min

Gotthard Heinrici, 1943; Gotthard Heinrici, 1943

Der Oberbefehlshaber der 4. deutschen Armee, Gotthard Heinrici (Zweiter von rechts), bei einem Besuch an der Front im Gespräch mit Soldaten einer Panzerjägerabteilung an der Ostfront. PK-Foto: Schlüpf

(Foto: SZ Photo)

Wehrmachtsgeneral Heinrici beschreibt 1941/42 den Vernichtungskrieg ungefiltert: Über deutsche Gräuel, zähe Rotarmisten - und einen Feldherrn, der zu Weihnachten verzweifelt.

Zusammengestellt von Luca Deutschländer und Oliver Das Gupta

Wenn Gotthard Heinrici zum Stift griff, um seiner Frau zu schreiben oder Tagebuch zu führen, ließ er seinen Gedanken freien Lauf. Besonders interessant sind die Notizen, die der Wehrmachtsgeneral während des deutsch-sowjetischen Kriegs (1941-1945) machte, der als blutigster und wichtigster Teilkonflikt des Zweiten Weltkriegs gilt.

Gebündelt sind die Aufzeichnungen in Johannes Hürters Band "Notizen aus dem Vernichtungskrieg", der im WBG-Verlag erschienen ist (ISBN-10: 3534267699). Gotthard Heinrici, 1886 als Sohn eines Pfarrers geboren, war, so nennt es Hürter, ein "ganz normaler Wehrmachtsgeneral". 1905 begann er seine Militärlaufbahn, stieg zu Beginn des Ersten Weltkriegs zum Oberleutnant auf. Als im Juni 1941 Hitler-Deutschland die Sowjetunion überfällt, kommandiert Heinrici das 43. Armeekorps. Der General war gläubig und trat der NSDAP nicht bei, doch er teilte im Prinzip den Antisemitismus und nicht zuletzt die imperialen Ziele der Nazis.

Heinrici verwendete viele Abkürzungen, auch Rechtschreibfehler kamen ihm unter. Außerdem gebrauchte er Ziffern. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit hat sich die Redaktion entschieden, abgekürzte Worte und Zahlen auszuschreiben. Die Stellen sind mit Klammern gekennzeichnet.

VOR DEM ÜBERFALL AUF DIE UdSSR

Tagebucheintrag vom 25. März 1941

Bald werden uns dort neue Aufgaben entstehn. [...] Ganz wohl ist mir bei dem Gedanken nicht, daß auch dort ein neuer Feind entstehen soll. (Dreiviertel) der Welt sind dann gegen uns. Es scheint fast gesetzmäßig zu sein, daß der Kampf gegen England den Weg nach Rußland führt. Bei Napoleon war es nicht anders.

Brief an die Frau vom 22. April 1941, Siedlce

Hier ist es wenig schön, schlechtes kaltes Wetter, noch gar kein Frühling. Wanzen u(nd) Läuse laufen überall herum, ebenso schreckliche Juden mit Davidsstern am Ärmel.

Brief an die Frau vom 17. Juni 1941

Ich sah, wie unsere Gegner drüben überm Fluß eifrigst bauten, ihre Stellungen zu verstärken. Mit Lastwagen u(nd) Panjewagen fuhren sie eifrigst Material. [...] Die Amerikaner scheinen nun auch zielbewußt in den Krieg hinein zu steuern. [...] Sollten sie wirklich in die Sache hinein stiegen, dann sind wir glücklich beim Weltkrieg Nr. 2. Wir werden sehen, wie lange dann diese Sache noch dauert.

ÜBERFALL AUF DIE UdSSR

Bericht an die Familie vom 22. Juni 1941

Heute 3.15 Uhr Kriegseröffnung gegen Rußland. [...] Die russische Armee ist buchstäblich aus ihren Betten herausgeschossen worden. So wurde überhaupt noch nie eine überrascht, alle lagen im Quartier u(nd) schliefen und mußten fast im Hemde heraus. Da kamen schon unsere Leute an, die z.B. - beim R(egiment) Von Tschudi - in dreieinhalb Minuten im Schlauchboot den 150 M(eter) breiten Bug überschritten hatten, und sie zur Flucht zwangen. Teilweise hat sich der Russe aber auch sehr zäh geschlagen.

Brief an die Frau vom 4. Juli 1941, Lyskow

Der Krieg in Russland ist ungeheuer blutig. Der Feind hat Verluste erlitten, wie sie in diesem Krieg bisher nicht gesehen sind. Den russischen Soldaten ist von ihren Führern gesagt worden, sie würden alle von uns erschossen. Statt sich zu ergeben, schiessen sie nun hinterrücks auf jeden Deutschen. Das fordert natürlich wieder unsererseits Gegenmassnahmen heraus, die hart sind. So steigern sich beide Parteien gegenseitig empor, mit der Folge, dass Hekatomben von Menschenopfern gebracht werden.

Brief an die Frau vom 8. Juli 1941, Lachowicze

Heute musste eine Kommunistin erschossen werden, die in unserm Rücken versprengte Russen verpflegte und gegen uns mit allen Mitteln arbeitete. So ist hier der Krieg.

Brief an die Frau vom 22. Juli 1941, Bobruisk

Vorläufig hat man den Eindruck, als wenn der Krieg, auch wenn Moskau besetzt würde, weitergeht, irgendwo aus der Tiefe dieses unendlichen Landes.

Brief an die Frau vom 30. Juli 1941, Bobruisk

Vorgestern schlug bei einem Angriff [...] eine russische 10,5 cm Granate 25 Schritt vor mir ein u(nd) warf mich um. Ich war stundenlang halb taub. Dann erschien(en) russische Panzer hinter dem Gefechtsstand. Zum Schluß explodierte u(nd) verbrannte das Flugzeug (zwei) Schritt neben mir, mit dem ich zurückfliegen wollte. Es war genug für einen Vormittag.

Tagebucheintrag vom 30. Juli 1941, Bobruisk

Der Feind uns gegenüber ist ein erstaunlich aktiver u(nd) zäher Bursche. Bereits am frühen Morgen greift er, wenn auch nicht stark, bei der 134. Division an. [...] Es ist fast unverständlich u(nd) immer wieder dasselbe: Insgesamt kämpft der Russe mit fanatischer Zähigkeit. [...] Mein Korps muß aus seiner unerquicklichen Situation heraus. Die Truppe geht in den unaufhörlichen Waldgefechten kaput. Die Kampfesart der bolschewistischen Nadelstiche macht sie kaput, denn in diesem Wald u. Sumpfland kann sich der beste Mann des Überfalls nicht erwehren.

Brief an die Frau vom 23. August 1941, Pjetschary

Wir stehn jetzt fast 200 km tiefer in Rußland drin. Die Städte sind alle völlig verbrannt. [...] Der Krieg hier kommt uns sehr teuer. Ob er wirklich nötig war?

Bericht an die Familie vom 15. September 1941, Chotinowka

Unser Dolmetscher behauptet, die Ukraine könnte ganz Europa ernähren. In Rußland gäbe es ohne sie Hungersnot. Mir soll das recht sein.

Brief an die Frau vom 20. September 1941, Tschernigow

Der Führer hat mir vorgestern das Ritterkreuz verliehn. Der Oberbefehlshaber der Armee, mit dem wir in Tschernigow (einen) Tag zusammenlagen, lud mich u(nd) den Chef plötzlich zum Abend und übergab es mir. Ich war aufs höchste überrascht. Ich hatte tatsächlich nicht damit gerechnet. Wir haben wohl manches und Entscheidendes geleistet. Aber diese Auszeichnung hatte ich nicht erwartet. Ich freue mich, daß dies Hartmut (Heinricis Sohn, der ebenfalls an der Ostfront kämpft, Anm. d. Red.) besonders glücklich machen wird. Mir selbst wäre es lieber gewesen, wenn ich in der Begründung nicht so herausgestrichen wäre.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema