Zwischen dem westlichen Stadtrand Moskaus und den deutschen Panzerspitzen lagen nur noch 40 Kilometer. Nach Georgi Konstantinowitsch Schukows Erinnerung war es der 19. November 1941, als Stalin ihn, den Kommandeur der sowjetischen Truppen vor Moskau, anrief und fragte, ob er sicher sei, dass die Hauptstadt gegen die Deutschen gehalten werden könne. Stalin: "Ich frage Sie das schweren Herzens. Sagen Sie die Wahrheit, wie es sich für einen Kommunisten gehört."
General Schukow, ein ungehobelter, furchtloser Mann, der zuvor die Verteidigung von Leningrad organisiert hatte und der es als einer von wenigen wagte, dem Diktator ehrlich zu antworten, erwiderte äußerlich unverzagt: "Wir werden Moskau ohne jeden Zweifel halten." Jahre später gab er zu, dass er keineswegs so zuversichtlich gewesen war, wie er Stalin gegenüber getan hatte. Wie auch?
Seit ihrem Überfall auf die Sowjetunion am Morgen des 22. Juni 1941 hatten die deutschen Armeen jeden Widerstand niedergekämpft. Sie hatten Tausende sowjetische Panzer und Flugzeuge zerstört und mehrere Millionen Rotarmisten gefangen genommen, die sie anschließend in elenden Lagern dem Hungertod überließen - allein in der Kesselschlacht von Kiew Ende September streckten 665 000 sowjetische Soldaten die Waffen.
Hinter ihnen lag eine von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichende Schneise von Tod und Verwüstung, wo "Einsatzgruppen" der SS die jüdische Bevölkerung umbrachten. Eine endgültige Entscheidung in diesem mit größter Brutalität geführten Krieg hatte die Wehrmacht allerdings noch nicht erzwungen; die Rote Armee gab nicht auf.
Der angeblich letzte Angriff des Ostheeres, die "Operation Taifun", vorgetragen von 78 Divisionen, knapp zwei Millionen Männern der Heeresgruppe Mitte, richtete sich gegen Moskau. Diese Offensive sollte, so die deutsche Strategie, die Entscheidung bringen. Bis zum 20. Oktober 1941 gelang es den Deutschen mit ihren drei Panzerarmeen, die sowjetische Frontlinie zu zertrümmern, in den Kesselschlachten von Wjasma und Brjansk südwestlich von Moskau noch einmal 673 000 sowjetische Soldaten zu umzingeln und schließlich vor Moskau aufzutauchen. In der Nacht auf den 15. Oktober durchbrachen deutsche Truppen die Hauptverteidigungslinie der Hauptstadt, die Moschaisk-Linie knapp hundert Kilometer vor dem Moskauer Stadtzentrum.
In Moskau begann das große Reißausnehmen
In der Stadt brach Panik aus, es begann das später sogenannte große Reißausnehmen. Die Regierung war bereits nach Osten gebracht worden, ebenso der einbalsamierte Leichnam Lenins; während die Moskauer die Züge nach Osten stürmten und der gefürchtete Geheimdienst NKWD Plünderer und angebliche und wirkliche Deserteure hinrichtete, beschloss Stalin zu bleiben.
Wenige Tage zuvor hatte Schukow auf Stalins Befehl die Verteidigung Moskaus übernommen; zwischen den Deutschen und der Hauptstadt gebot der General aber nur über 90 000 Mann. Als Erstes hatte er die Moschaisk-Linie verstärken und 15 Kilometer vor dem Stadtzentrum einen zweiten Verteidigungsring errichten lassen - Gräben, Panzerfallen, Feuerstellungen und Barrikaden. Mehrere Hunderttausend Frauen und Kinder waren zum Bau abkommandiert worden. Am 19. Oktober wurde der Belagerungszustand erklärt, der Journalist Ilja Ehrenburg erinnerte sich später, die Stimmung sei "miserabel" gewesen.
Aber Ende Oktober schlug die Stimmung um, sie war jetzt "heroisch", wie Moskauer nach dem Krieg betonten, die Panik war vorüber: Noch waren die Deutschen nicht da. Das sowjetische Oberkommando, die Stawka, schickte sechs Armeen in die Moschaisk-Linie. Auf beiden Seiten der Front steckten nun Deutsche wie Russen im Schlamm des Herbstes fest - die "Rasputiza", die "Zeit ohne Straßen" oder die "Wegelosigkeit", hatte begonnen.
Der Ring um Moskau schloss sich nicht so schnell, wie das Oberkommando des Heeres (OKH) es geplant hatte. Die Verluste der Deutschen waren hoch, der Nachschub an Waffen, Munition und Winterkleidung für die Soldaten, die im Hochsommer aufgebrochen waren, stockte.
Panzer und Fahrzeuge waren überstrapaziert, und die Soldaten waren es auch - nach über vier Monaten "Blitzkrieg", der doch nach sechs bis acht Wochen hätte vorbei sein sollen. Reserven hatte die Wehrmacht kaum mehr. Bereits im August hatte der Chef des Generalstabs Franz Halder erkannt: "Der Koloss Russland ist von uns unterschätzt worden."