Von außen schien bei der zweiten TV-Debatte alles wie gehabt. In St. Louis sitzen Donald Trumps Frau Melania und seine Kinder Ivanka, Eric und Donald jr. im Publikum; anschließend erklären im Spin Room seine Top-Unterstützer Ben Carson, Rudy Giuliani und Kellyanne Conway den Journalisten, wieso ihr Mann Hillary Clinton klar besiegt habe.
Dieses parteiische Gerede ist nebensächlich, doch nach dem turbulenten Wochenende voller Sexismus-Skandale hat der Republikaner halbwegs für Ordnung gesorgt.
"Stop the bleeding", die Blutung stoppen - diese Formulierung taucht in solchen Fällen gern auf: Trump ist das mit einer - für viele überraschend - guten Leistung gelungen. Dass dafür Beleidigungen, Lügen und eine seltsame Pressekonferenz nötig waren, wird ihm egal sein. An der Lage hat sich jedoch nichts geändert: Alles spricht für einen Wahlsieg von Clinton, weil Trump auch heute Latinos, Schwarze und Frauen mit College-Abschluss eher abgestoßen als überzeugt haben dürfte.
Diese fünf Lehren lassen sich aus der zweiten Debatte in St. Louis ziehen:
Der Tiefpunkt eines erbärmlichen Wahlkampfs - vorerst. Einen Monat vor der Wahl diskutierte halb Amerika zwei Tage lang ein altes Video, in dem ein Präsidentschaftskandidat darüber spricht, Frauen zwischen den Beinen berühren zu dürfen. Es wird noch schlimmer: 90 Minuten vor Debattenbeginn hält Trump eine Pressekonferenz mit Frauen, von denen drei Ex-Präsident Bill Clinton sexuelle Übergriffe vorwerfen. Die Vorfälle liegen Jahrzehnte zurück, aber Trump möchte seinen Video-Skandal mit dem Motto "Taten sind schlimmer als Worte" kontern.
US-Wahl:Umfragen sehen Clinton als Gewinnerin des TV-Duells
Was aber entscheidender sein könnte: Trump schneidet bei dem harten Schlagabtausch deutlich besser ab als erwartet. Alles Wichtige live im SZ-Blog.
Vor der Debatte geben sich die Rivalen noch nicht einmal die Hand, sondern attackieren sich weiter hart ("Donald lebt in seiner eigenen Welt" oder "Hillary hat ungeheuren Hass im Herzen"). Wie die beiden jungen Amerikanern ein Vorbild sein könnten, so lautete sinngemäß die erste Frage aus dem Publikum - und die 90-minütige Schlammschlacht verdirbt die Lust an Politik. War dieser Abend der Tiefpunkt? Ja, aber alles spricht dafür, dass bis zum 8. November noch schlimmere Dinge passieren.
Trump vermeidet ein Desaster - und hat geübt. Vor dieser TV-Debatte schien es möglich, dass die Wahlkampagne völlig in sich zusammenbricht. Das ist nicht geschehen, denn der 70-Jährige war offensichtlich vorbereitet. Er nannte mehr Details (vor allem bei Clintons E-Mails, Obamacare und im Streit um seine Steuererklärung) und ließ sich von der Demokratin nicht reizen. Durch diese Disziplin schafft er es, dass es die letzte Stunde vor allem um Clinton geht - und nicht um seine Skandale.
Seine Botschaft "Ich stehe für Wandel, sie für den Status quo" kommt deutlich rüber. Manche Sprüche waren neu: Er wirft Clinton vor, nach ihrer Amtszeit als Ministerin durch Reden und Bücherschreiben sehr reich geworden zu sein: "Warum finanzieren Sie Ihre Kampagne nicht mit zehn oder 20 oder 30 Millionen Dollar? Dann müsstes Sie weniger von Interessensgruppen annehmen." Und in der allerletzten Minute zeigt er, wie sehr ihm die TV-Erfahrung hilft: Er schätze an seiner Rivalin, dass sie nie aufgebe und eine Kämpferin sei. Das wirkte authentisch.
Trump bleibt im Vorwahl-Modus stecken. Dass sich Beobachter (und laut der seriösen CNN-Umfrage auch einige Wähler) positiv über Trump äußern, liegt an den niedrigen Erwartungen. Doch er kann trotz Floskeln ("ich werde Latinos und Schwarzen helfen") wohl keine neuen Wähler gewinnen, denn er ist zu oft der Kandidat, den das Land aus den Vorwahlen kennt: Er werde als Präsident dafür sorgen, dass ein Sonderermittler Clinton ins Gefängnis werfe. Da er Clinton oft unterbricht, wirkt er sehr aggressiv - auch das kommt nicht gut an. Mehrmals wirft er den Moderatoren Martha Raddatz und Anderson Cooper vor, ihn zu benachteiligen - dieser Opfermythos ist seine liebste Verschwörungstheorie.
Und der Auftritt ändert nichts daran, dass er als unglaubwürdig und inkompetent gilt. Wieder leugnet er Aussagen, die bestens dokumentiert (" ich habe nie über ein Sextape getwittert") sind. Eine Entschuldigung zum "Kabinentalk" gibt es nicht, sondern nur eine Floskel "Niemand hat mehr Respekt vor Frauen als ich". Und der schon erwähnte Auftritt mit Paula Jones, Juanita Broaddrick, Kathleen Willey und Kathy Shelton, die unter anderem Bill Clintons Sex-Affären in Erinnerung rufen , lässt die Fox-News- und Breitbart-Freunde jubeln - der Rest ist peinlich berührt und sehnt sich nach Substanz.
Clinton ist qualifizierter, aber das scheint nebensächlich. Im giftigen Rededuell ging manchmal unter, dass viele Fragen aus dem Publikum kamen. Clinton ging häufiger auf die noch unentschlossenen Bürger ein und war noch anderswo konventionell: Sie nannte Details und versucht zu erklären. Dass diese Frau um Längen qualifizierter für das höchste Amt ist, ist unübersehbar. Aber es spielt alles kaum eine Rolle, wenn Trump - ein Beispiel - Clintons Antwort zu Syrien damit kontert, dass sie doch US-Außenministerin war und daher für die humanitäre Katastrophe dort verantwortlich sei. Und da Clinton Obama nicht zu sehr kritisieren kann, wirkt sie stets in der Defensive.
Clintons Problem bleibt die Glaubwürdigkeit. Hillary Clinton hat momentan sehr viel Glück: Das Video von 2005 schadet nicht nur Trump enorm, sondern es überdeckt die Wikileaks-Enthüllungen über ihre Reden vor Wall-Street-Bankern und Unternehmen. Hier finden sich Aussagen wie "Es braucht eine private und eine öffentliche Meinung" - und wenn Clinton das mit Bezug auf Abraham Lincoln zu erklären versucht, wirkt dies erschreckend schwach. Auch die Attacken von Trump wegen ihres E-Mail-Servers und der mehr als 30 000 gelöschten Nachrichten kann sie nicht überzeugend parieren - nichts spricht dafür, dass nach diesem Abend jene 62 Prozent der US-Wähler, die sie für "unehrlich und nicht vertrauenswürdig" halten, ihre Meinung ändern.
Muss sich Team Clinton nun Sorgen machen? Eigentlich nicht, denn in den 90 Minuten voller Frust ist nichts passiert, was die Dynamik des Wahlkampfs ändert und ihre Führung und organisatorischen Vorteil gefährdet. Und nur weil Trump sich während der Debatte zusammenreißen konnte, heißt das nicht, dass er auch die kommenden Tage selbstdiszipliniert bleiben wird.
Beide konnten unter dem Strich zufrieden sein, als sie sich in St. Louis zum Ende doch noch die Hand gaben - in zehn Tagen werden sie in Las Vegas zur allerletzten Debatte wiedersehen. Der größte Druck, so sieht es heute aus, wird dann erneut auf den Schultern von Donald Trump liegen.