Zukunft der Bundeswehr:Armee auf dem Rückzug

Lesezeit: 4 min

Noch nie hat sich das Militär in Deutschland so weit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen wie jetzt. Die Bundeswehr wird sich dennoch nicht zum Staat im Staate entwickeln. Problematisch ist, dass sich die Gesellschaft von ihrer Armee abwendet.

Joachim Käppner

Thomas de Maizière, dieser so preußisch und doch zivil wirkende Mann, mag die schlichte Weisheit des Großmeisters Carl von Clausewitz gelesen haben: "Die beste Strategie ist, immer recht stark zu sein, erstens überhaupt und zweitens auf dem entscheidenden Punkt."

Standortschließungen und die Aussetzung der  Wehrpflicht - eine Reduzierung des Militärs auf das Maß, das tatsächlich noch gebraucht wird. (Foto: dapd)

So gesehen, stellt es de Maizière nicht schlecht an mit der Bundeswehrreform, die er von seinem gestürzten Vorgänger erbte. Als Verteidigungsminister ist er "erstens überhaupt stark" - was sich schon darin zeigte, dass sein Haus, sonst kein Ort, an dem die Lippen versiegelt sind, das Konzept der Standortschließungen tatsächlich bis zuletzt geheim hielt. Und "den entscheidenden Punkt" hat er, zweitens, mit diesem Konzept klar markiert: An der Verkleinerung der Bundeswehr führt kein Weg vorbei.

Entsprechend halbherzig geriet der Protest. Selbst die meisten, die das Verschwinden von Kasernen und Stützpunkten beklagen, denken mehr an den Verlust von Kaufkraft und Bevölkerungszahl. Über Jahrhunderte, bis 1945, war das Militär in Deutschland omnipräsent, baute sich Kasernen wie Trutzburgen, bestimmte die Alltagskultur und das Denken der Menschen. Jetzt ist es umgekehrt. Noch niemals ist das Militär so weit aus der Öffentlichkeit verschwunden wie jetzt. Es zieht sich aus der Mitte der Gesellschaft zurück.

Wenn es gut läuft, sitzen Biotechfirmen und Architekturbüros in den früheren Armeegebäuden; im ungünstigeren Fall hausen Altwagenimporteure und Pizzadienste zwischen verwahrlosten Blöcken, in denen einst die Soldaten wohnten. Der Bürger kommt mit seiner Armee nicht mehr in Berührung, weil er sie in vielen Fällen gar nicht mehr sieht. Der Wehrdienst ist keine kollektive Erfahrung mehr, ebenso wenig wie der erfolgreiche Versuch, sich ihm zu entziehen.

Stilles Ende der Wehrpflicht

Dabei ist es erst ein Jahr her, seit der forsche Freiherr zu Guttenberg die Wehrpflicht mittels einer Freund wie Feind überrumpelnden Attacke beseitigt hat. Den Verlierern, auch in der eigenen Partei, blieb nur, was Verlierern eben bleibt: das Verarzten der Blessuren und das Wehklagen. Aber in Wahrheit hat das Lamento gerade aus der Union, die Wehrpflicht sei doch ein Kind der deutschen Demokratie, mehr über das Selbstbild der Lamentierenden verraten als über die Streitkräfte.

Die Behauptung ist auch historisch falsch: Die deutschen Heere, die 1914 und 1939 in den Nachbarländern einfielen, waren Wehrpflichtarmeen. Nur die Reichswehr der Weimarer Republik bestand aus Freiwilligen, sie war der berüchtigte Staat im Staate. Aber die Republik hatte auch versagt, als sie das Militär ihren rechten Feinden überließ, Kommissköpfen mit Schmiss in der Wange und Finsternis im Sinn.

Und die Bundeswehr? Ohne dass die Öffentlichkeit dies recht bemerkt hätte, begann die Wehrpflicht schon vor Jahren, sich still und leise zu verabschieden. Die Profi-Armee ist de facto längst Realität, und ein Fremdkörper in der demokratischen Gesellschaft ist sie dennoch nicht geworden. Zeit- und Berufssoldaten tragen die Last der Auslandseinsätze.

Bald nach deren Beginn, in den Neunzigern bereits, haben die "Friedensforscher" diesen Trend zur Professionalisierung erkannt - und verstiegene Schriften über einen neuen Typus des Soldaten verfasst, des bezahlten Fachmanns fürs Töten, den universal soldier ohne ethische Verankerung. Keines dieser Gruselszenarien traf zu: Die Bundeswehr behielt eben diese Verankerung in der deutschen Demokratie. Die Armee mag kleiner werden und aus Profis bestehen, Stützpunkte verschwinden und Kasernen - zum Staat im Staate wird sich die Truppe nicht entwickeln.

Denn im Grunde erleben wir eine Normalisierung, eine Reduzierung des Militärs auf das Maß, das tatsächlich noch gebraucht wird - und das ist noch immer beträchtlich genug. Im Grunde erntet diese Gesellschaft weiterhin die Früchte des Friedens, seit die Bedrohung durch den Warschauer Pakt endete. Gegen die neuen Gefahren, welche die Militärs "asymmetrisch" nennen, braucht es eine kleinere, gut ausgerüstete und schnell einsetzbare Streitmacht - und eine Gesellschaft, die ihr das Vertrauen und das Interesse entgegenbringt, das in Großbritannien, Frankreich oder gar den USA ganz selbstverständlich ist.

Das Problem ist doch weniger, dass sich die Soldaten von der Gesellschaft abkapseln - das glauben ernsthaft nur jene, welche die Bundeswehr mit der Lupe nach rechtsradikalen und undemokratischen Vorkommnissen absuchen. Ja, beides findet man, aber doch selten. Das Problem ist eher, dass die Gesellschaft sich von ihrer Armee abwendet. Manchen erscheint sie aus historischen Gründen suspekt. Den meisten ist sie egal, als sei sie ein fremdes Phänomen von irgendwo fern hinten, wo "die Völker aufeinanderschlagen", wie es bei Goethe hieß. Verdient hat die Bundeswehr den Generalverdacht ebenso wenig wie den Gleichmut.

Beidem zu Leibe zu rücken wäre Aufgabe der Politik. Sie muss definieren, was die Truppe leisten soll, was ihre Aufgabe ist, und die Strategie vorgeben. Möglichst viel zu leisten mit möglichst wenig Aufsehen und immer weniger Geld - das war zwar lange die Praxis, ist aber, frei nach Clausewitz, nicht die beste Strategie. Die geplanten Einsparungen bei der Ausrüstung gehorchen aber vor allem dem Spardiktat. Und der Einsatz in Afghanistan, der viele Leben und Milliarden Euro gekostet hat, ist das Gegenteil klarer Vorgaben.

Ganz anders als die Großväter

Das Militär wurde dorthin geschickt, um das Land vor einer Rückkehr der Taliban an die Macht zu beschützen und den Aufbau einer Demokratie nach westlichem Muster abzusichern. Das eine ist gelungen, das andere konnte niemals gelingen. Die Soldaten wurden in einen Einsatz entsandt, der in einen Krieg umschlug. Doch er durfte aus innenpolitischen Gründen lange nicht so genannt werden; und das Material, das der Krieg erforderte - Hubschrauber, schwere Artillerie, Panzer -, erhielten die Soldaten daher erst spät oder nie.

Jetzt aber, wo sich die Lage im Einsatzgebiet Nordafghanistan deutlich zugunsten der Bundeswehr gebessert hat, würden die meisten Politiker die Truppe trotzdem und ungeachtet der Folgen lieber heute als morgen abziehen - aus Furcht vor Wählern, denen sie nicht zu erklären verstehen, warum ein Rückfall des Landes in die Hand islamistischer Terroristen eine Katastrophe wäre, auch für die Sicherheit in Deutschland. Besonders eifrig mit konkreten Abzugsforderungen ist die SPD, welche die Soldaten doch überhaupt erst an den Hindukusch geschickt hat.

Im Kern, im Herzen ist die Bundeswehr gerade durch die Einsätze in von Kriegen und Gräueltaten geschundenen Regionen der Welt noch mehr an die demokratische Gesellschaft herangewachsen. Die Soldaten gingen dorthin, um Werte zu verfechten, welche ihre Großväter einst unter ihre Schaftstiefel traten. Sie erfüllen die Aufgabe, es besser zu machen als die Alten, bislang auf beachtliche Weise. Und daran wird, optimistisch betrachtet, weder die Wehrreform noch die Zahl von Standorten etwas ändern.

© SZ vom 29.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: