Zu Wulffs Islam-Rede:Präsident Benjamin Wulff

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Vertretung und Repräsentation sind die Pflichten eines Bundespräsidenten, Integration die Kür. Der junge Präsident Christian Wulff scheint es mit ihr ernst zu meinen - muss dafür aber Kritik einstecken.

Heribert Prantl

Hundert Tage nach seinem Amtsantritt hat Bundespräsident Christian Wulff schon erreicht, was sein Vorgänger Horst Köhler am Beginn seiner Amtszeit vergeblich angekündigt hatte: Wulff gilt nun als "unbequem". Schuld daran sind einige Sätze in seiner ersten großen Rede, in der er festgestellt hatte, dass auch der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre.

Erhält für seine Rede zum Islam Kritik aus dem eigenen Lager: der ehemalige CDU-Spitzenpolitiker und heutige Bundespräsident Christian Wulff. (Foto: dapd)

Dieser Satz war nicht wirklich von Neuigkeitswert; er beschreibt ein Faktum, das andere Spitzenpolitiker auch schon beschrieben haben. Aber es zeigt sich: Ein Bundespräsident kann mit der bloßen Nennung eines Faktums Diskussionen anregen, also Politik machen. Er muss freilich diese Diskussionen dann auch aushalten. Und er muss ihnen die richtige Richtung geben.

Im letzten Amtsjahr Köhlers, nach seinem Rücktritt und in den ersten blassen Wochen von Nachfolger Wulff hätten viele Deutsche auf einen Bundespräsidenten am liebsten verzichtet. Braucht man dieses Amt? Es gab und gibt ja den Alt- Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der allein durch sein Dasein und sein Sosein die Volksseele wärmt, wie das in den Zeiten des Habsburger Reiches der Kaiser Franz Josef getan hat.

Es gab und gibt den Alt-Kanzler Helmut Schmidt, den die öffentliche Meinung zu den sieben Weltweisen zählt. Und es gab und gibt für die Grußworte zur Eröffnung von Juristen- und Ärztetagen den beliebten Jean-Claude Juncker. Der ist zwar kein deutscher Politiker, sondern Ministerpräsident in Luxemburg, aber schon so lange Deutsch sprechend im EU-Geschäft, dass ihn die deutsche Tagungsindustrie als Neben- und Reserve- Bundespräsidenten liebt.

Vertretung und Repräsentation sind Pflicht - Integration die Kür

Hundert Grußworte machen keinen Bundespräsidenten. Allein der Streit über Wulffs erste Rede zeigt nun: Man braucht ihn, weil seine Worte wie die kaum eines anderen gewogen werden. Wenn die Kraft der Rede nicht oder noch nicht da ist, wenn der Präsident also nicht wie ein neuer Cicero auftritt, sondern nur wie ein Ex-Ministerpräsident aus Hannover - dann kann auch schon die Kraft des richtig gewählten und besonnen ausgeführten Themas genügen.

Ein Bundespräsident hat drei Funktionen: Vertretung, Repräsentation, Integration. Die ersten beiden Aufgaben sind Pflicht, die dritte ist Kür. Zur Pflicht gehören die Staatsbesuche, die Gegenzeichnung von Gesetzen, die Ernennung von Ministern, Beamten und Richtern. Das ist nicht viel, das ist alles klar geregelt, das hat fast jeder Bundespräsident gut hingekriegt.

Aber gerade weil der Bundespräsident in den Parlamentsbetrieb nicht eingebunden ist, hat er, wenn er es versteht, viel zu sagen: über die großen Perspektiven und die Leitmotive, denen die Politik folgen sollte. Er muss für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für das Gemeinwohl sorgen, er soll Kommunikator und Integrator sein. Das ist die Kür. Diese Aufgabe hat Wulff mit seiner Rede am 3. Oktober an- und ernstgenommen. Diese Rede überdeckt, so lausig sie rhetorisch gewesen sein mag, Wulffs Stolpereien der ersten Wochen.

Der moderne demokratische Staat ist nichts Statisches, er ist ein lebendiger Prozess, er lebt "in beständiger Erneuerung und dauerndem Neuerlebtwerden". So hat das der große Staatsrechtslehrer Rudolf Smend zu Zeiten der Weimarer Republik beschrieben. Smend war damit der Widerpart von Carl Schmitt, der den Konflikt predigte und überall im Staat den Ausnahmezustand sah.

Demokratie, das war für Schmitt die Souveränität derjenigen, die dem gleichen, ethnisch homogenen Staatsvolk angehören. Die Ungleichen aber, die man nicht zu diesem Volk rechnet, wurden bestenfalls toleriert. Gegen ein solches Denken, das wieder grassiert, hat sich Wulff gewandt. Für ihn ist Demokratie die Gestaltung der Zukunft durch alle, die in diesem Lande leben, Muslime eingeschlossen.

Wulff hat damit weitergeführt, was Wolfgang Schäuble als Bundesinnenminister 2006 zum Auftakt der von ihm einberufenen Islamkonferenz gesagt hat. Schäuble hatte die Muslime in Deutschland als "Teil der deutschen Gegenwart und Zukunft" bezeichnet. Leider lehrt die unselige Debatte über das "Einwanderungsland Deutschland", dass man über eine augenscheinliche Tatsache unendlich lang erregt diskutieren kann.

Es ist bitter, wenn darüber das kluge politische Handeln vergessen wird: Realitätsverdrängung hat dazu geführt, dass erst Jahrzehnte nach Beginn der Anwerbung von "Gastarbeitern" ein Zuwanderungs- und Integrationsgesetz geschrieben wurde. Ein Bundespräsident hat die Aufgabe, die Wiederholung solcher Blindheit zu verhindern.

Es fehlt Wulff noch viel, auf dass man ihn als "Ratgeber der Nation" bezeichnen könnte. Aber das sind Attribute, die erst am Ende einer Amtszeit ausgeteilt werden. Wulff hat eben erst angefangen - als Benjamin, als jüngster Bundespräsident, den es je gab, als Vater einer jungen Familie.

Daran müssen sich viele erst gewöhnen, die im Staatsoberhaupt einen staatspolitischen Gottvater gesehen haben. Wulff wird derzeit von Kritikern seiner Rede gebeutelt. In der Reaktion darauf kann er zeigen, dass er kein Windbeutel ist. Er hatte angekündigt, die "Integration" in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen. Er steht zu seinem Wort. Ein guter Anfang ist gemacht.

© SZ vom 08.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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