Erster Weltkrieg:Die Schuld der anderen

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Ein deutscher Gefangener gibt einem britischen Verwundeten (re.) Feuer. Die Aufnahme entstand an der Westfront im Jahre 1918.

Ein deutscher Gefangener gibt einem britischen Verwundeten (re.) Feuer. Die Aufnahme entstand an der Westfront im Jahre 1918.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Wer war Kriegstreiber in den Jahren 1914 bis 1918? Hätte der Erste Weltkrieg nicht unentschieden enden müssen? Holger Afflerbachs Thesen über die Politik der Entente führen zu einseitigen Schlüssen.

Rezension von Joachim Käppner

"Das deutsche Heer und das deutsche Volk wollten den Sieg im Westen als den schnellsten Weg zum Frieden." So beginnt in diesem Buch ganz ernsthaft das Kapitel "Ludendorffs Hammer" über die letzte deutsche Großoffensive in Frankreich 1918.

Wirklich?

"Das deutsche Heer" war trotz Verstärkungen aus dem Osten ausgezehrt, Unzufriedenheit und Apathie griffen in den Reihen der Soldaten um sich, wenige Monate später machten sie Revolution.

Die Siegermächte beschuldigt

"Das deutsche Volk" war tief gespalten; eben erst, im Januar, hatten Militär und Polizei einen Massenstreik vieler Hunderttausender in der Kriegsindustrie unterdrückt, dessen Ziel ein Verständigungsfrieden war und ein sofortiges Ende des Gemetzels an den Fronten.

Die Überspitzung hat Methode in Holger Afflerbachs "Auf Messers Schneide". Der in England lehrende Historiker fragt darin, ob die Niederlage Deutschlands gegen die Ententemächte wirklich so unausweichlich war, wie dies im Rückblick erscheint; ob all die gescheiterten Friedensbemühungen, auch aus Deutschland, denn von vorn herein zum Scheitern verdammt waren.

Afflerbach verneint diese Fragen - und beschuldigt die Sieger. Im Nachwort beklagt er "die verbissene und ungeheuer schädliche alliierte Siegfriedensstrategie, die letztlich diese ,wahnsinnige Selbstzerfleischung Europas' zu verantworten hatte".

Vielleicht ist es nur die Lust an der provozierenden These. Solche Sätze jedoch klingen, als habe man sie 1928 verfasst und nicht 2018: Schuld sind "letztlich" die anderen - nicht nur sie, aber vor allem.

Dabei hätte sich mit diesem flüssig geschriebenen Buch eine interessante Chance eröffnet: Es löst die Erzählung des Krieges von der Fixierung auf Deutschland und stellt sie in den europäischen Kontext. Hier prallen ja zwei Sichtweisen aufeinander, die noch immer erstaunlich wenig Gemeinsamkeiten besitzen. So erging es Christopher Clark 2014 mit "Die Schlafwandler".

Clark selber scherzt gern, in Deutschland verteufele man ihn als Rechten, der die Schuld des Kaiserreichs am Kriegsausbruch kleinschreibe (und mit dieser Relativierung indirekt auch den Nationalsozialismus, der Rache suchte für 1918); in Großbritannien dagegen gelte er als unpatriotischer Linker, weil er die Saga vom ersten guten Krieg der freien Welt gegen die "Hunnen", dem 1939 der zweite folgte, nicht mitsinge.

In diesem Kontext lässt sich Afflerbachs Buch eher verstehen. Er lehrt in Leeds, und in der britischen Geschichtswissenschaft lässt eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle des Empire 1914 bis 1918 noch vieles zu wünschen übrig.

Gewiss war auch die Politik der Alliierten oft fragwürdig - von 1914, als Frankreich und Russland kaum weniger zum Krieg drängten als das Deutsche Reich, über viel nationalistischen Furor bis zu 1918/19, als die Westmächte die neue demokratische Reichsregierung für die Sünden des Kaiserreichs büßen ließen. Und gewiss hat genau dies, wie Afflerbach an etlichen Stellen schildert, der Friedenspartei in Deutschland geschadet.

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