Wirtschaftspolitik:Europa kann es

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Der A300 ist das erste von Airbus hergestellte Großraumflugzeug. (Foto: online.sdeauto)

Fünf Jahrzehnte nach Gründung von Airbus braucht Europa wieder ein großes Projekt, um den Menschen zu zeigen, dass es im Wettlauf um Wohlstand und Jobs in der Welt bestehen kann. Gute Möglichkeiten dafür gäbe es.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Franz Josef Strauß war ein großer Rabauke - und ein großer Europäer. Er war ein Populist im besten Sinne, weil er die Menschen bei ihren Ängsten und Nöten abholte; aber anders als die Salvinis und Orbáns wollte er Europa nicht spalten, sondern einen. Und weil Strauß wusste, dass solch eine Einigung auch Symbole braucht, hat er in den 1960er-Jahren ein großes identitätsstiftendes Vorhaben auf den Weg gebracht - den Airbus. Denn der Hobby-Pilot aus Bayern mochte sich nicht damit abfinden, dass damals alle großen Passagierjets in den USA gebaut wurden, von Boeing und McDonnell Douglas, und kein einziger in Europa.

Fünf Jahrzehnte später bedürfte es wieder einer zupackenden Politik, die den Menschen zeigt, dass Europa im Wettlauf um Wohlstand und Jobs zu bestehen vermag. Dies könnte dabei helfen, den Populisten und deren Erzählung vom drohenden sozialen Abstieg ein anderes, positives Narrativ entgegenzusetzen.

Denn Europa steht seit jeher für ein doppeltes Versprechen: das Versprechen auf Frieden und Wohlstand. Weil in Europa nie mehr Krieg herrschen sollte, aber auch nie wieder Armut und Not, wurden seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951 die Grenzbäume beseitigt: erst jene aus Holz; dann, mit dem Binnenmarkt, jene bei Handel und Arbeit; und schließlich, mit der Währungsunion, jene beim nationalen Geld.

Europa braucht ein Vier-Punkte-Programm, um zu bestehen

Heute ist dieses doppelte Versprechen brüchig geworden. Denn auch wenn der äußere Frieden Europas gesichert sein mag - der innere Frieden ist es nicht. Seit die Zahl der Migranten angeschwollen ist, die Briten ihren Austritt angekündigt haben und die Populisten Einfluss gewinnen, hat der Zusammenhalt der EU Risse bekommen. Aber auch das Versprechen, Europa verheiße seinen Bürgern Wohlstand, hat in den vergangenen zehn Jahren an Überzeugungskraft verloren. Durch die Finanzkrise, die in eine Schulden- und Währungskrise mündete, verloren Millionen Menschen ihren Job.

Zudem attackieren mächtige Internetkonzerne aus den USA und China unseren Wohlstand. Diese Facebooks und Alibabas wollen in gewisser Hinsicht die Welt regieren, sie agieren bisweilen wie Staaten und untergraben so die Autorität der Politik. Vor allem aber setzen sie auf Technologien wie Big Data, künstliche Intelligenz und Roboter, die Angst einflößen; viele Menschen sehen ihre Jobs bedroht und haben den Eindruck, Europa habe den Kampf um die digitale Vorherrschaft längst verloren. Dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit nützt den Populisten.

Tatsächlich aber ließe sich, wenn man Franz Josef Strauß modern interpretiert und den Flugzeugbau durch das Digitale ersetzt, dem Vormarsch der amerikanischen und chinesischen Giganten etwas entgegensetzen: eine selbstbewusste Industriepolitik, bei der Europa auf seine unbestrittenen Stärken setzt, die hohe Dichte an Industriefirmen, den Mittelstand, die ausgefeilte Ingenieurskunst und ein meist sehr hohes Bildungsniveau.

Nötig ist dafür viererlei. Erstens: Europa muss noch häufiger Nein sagen, wenn ausländische Investoren ein hiesiges, strategisch wichtiges Hightech-Unternehmen kaufen wollen - so wie die USA und erst recht China ja auch immer wieder Nein sagen. Zweitens: Europa sollte unbeirrt darin fortfahren, die weltweiten Standards für die Digitalisierung zu definieren; die Datenschutzgrundverord-nung ist dafür ein gutes Beispiel, selbst Apple-Chef Tim Cook lobt sie inzwischen als stilbildend.

Drittens: Es bedarf neuer Projekte nach dem Vorbild von Airbus, etwa ein Airbus für Batterien, also eine gemeinsame Fertigung von Zellen für E-Autos. Oder ein großer Campus, der die industrielle Anwendung von künstlicher Intelligenz fördert. Wie bei Airbus könnte solch ein KI-Campus in mehreren Ländern gleichzeitig angesiedelt werden und vernetzt arbeiten. Was die Bundesregierung diese Woche vorgelegt hat, drei Milliarden Euro für KI bis 2025, reicht dafür bei Weitem nicht aus.

Viertens schließlich: Die EU muss nach dem Vorbild des Erasmus-Programms weitaus mehr für die Bildung ausgeben, nicht zuletzt in Bereichen wie künstlicher Intelligenz, wo es weltweit nur 300 000 Experten gibt, aber Millionen benötigt werden. Würde das europäische Budget für Bildung vervielfacht, wäre das ein wichtiges Signal.

Stattdessen verwenden die EU-Staaten gerade viel Energie darauf, die Bankenunion zu vollenden - und die Aufräumarbeiten nach der Finanzkrise endlich zu Ende zu führen. Formal mag solch ein Projekt der weiteren Integration Europas dienen, aber komplizierte Konstrukte wie der "ESM-Backstop" üben nun mal keinerlei Faszination auf die Bürger aus. Wenn die EU ihr Wohlstandsversprechen tatsächlich wieder einlösen will, braucht es dringend große Projekte, die nach vorne weisen und nicht nach hinten, die neue Arbeitsplätze schaffen und zeigen: Europa kann es - auch digital.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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