So einen richtigen König zu treffen, ist eine schwierige Angelegenheit. Mag Salman oder ist er unpässlich? Empfängt an diesem Sonntag nach dem Mittagsgebet nur der Kronprinz Muqrin den deutschen Vizekanzler? Am Ende hatten sowohl der neue saudische Herrscher als auch der Kronprinz doch Zeit für eine Audienz.
Riad, 28 Grad, die Sonne brennt. Vor dem Königspalast stehen zwei Panzer mit Kanonen. Wer mit seinem Auto hereinfahren will, wird von Soldaten angehalten. Ein Schäferhund schnüffelt nach Sprengstoff. Später, nachdem der Bundeswirtschaftsminister mit seiner Fahrzeugkolonne die Palasttore passiert hat, ist im königlichen Diwan der Name jenes Mannes gefallen, dessen Schicksal die Welt erschüttert: Raif Badawi, der Blogger, der seit zwei Jahren im Gefängnis sitzt und Anfang Januar 50 Peitschenhiebe öffentlich über sich ergehen lassen musste. Es ist die wohl heikelste Auslandsmission im Politikerleben des Sigmar Gabriel. Wohl noch nie stand bei einer Auslandsreise eines deutschen Wirtschaftsministers das Thema Menschenrechte derart im Mittelpunkt wie bei dem Trip an den Golf.
Fast 80 Unternehmer begleiten den SPD-Vorsitzenden in einem grauen Truppentransporter der Luftwaffe bei der Reise nach Saudi-Arabien, Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Erste Station ist die saudische Hauptstadt. Gabriel soll Türen öffnen, den deutschen Unternehmen helfen, mehr Aufträge zu bekommen. Auf dem Flug nach Riad kommen immer wieder einige der Wirtschaftsmänner nach vorn in die erste Reihe, wo der Minister sitzt, suchen das Gespräch, drücken ihm Visitenkarten und Unterlagen in die Hand.
Gratwanderung für Gabriel
Wegen Badawi sind sie nicht hier. Gabriel eigentlich auch nicht. Er will über erneuerbare Energien reden, neue Krankenhäuser, ökologische Wohnsiedlungen, alles schöne Projekte, bei denen es für die deutschen Geschäftsleute womöglich um viel Geld geht. Aber zu Hause geht es nur um einen Mann, den Blogger Badawi, den derzeit wohl bekanntesten politischen Gefangenen weltweit. An ihm exekutiert das Königshaus ein barbarisches Exempel: 1000 Peitschenhiebe soll der Aktivist bekommen, nur weil er in seinem Internetforum die Macht der islamischen Gelehrten infrage gestellt hatte. Für ihn soll sich Gabriel einsetzen, wenn es nach Amnesty International oder den Demonstranten geht. Sie empfangen Gabriel schon am Samstagmorgen bei der Abreise am Flughafen Berlin-Tegel mit Plakaten, auf denen steht: "No human rights, no business".
Wer Gabriel kennt, weiß, dass er das, was dieser junge Mensch ertragen muss, entsetzlich findet. Zu viel öffentliche Aufmerksamkeit kann sich für politische Gefangene aber verheerend auswirken, weil dann für empfindliche Regime eine Freilassung aus Angst vor Gesichtsverlust erst recht unmöglich wird. Der SPD-Vorsitzende ist deshalb, das ist deutlich zu spüren, angespannter als sonst. Viel gewinnen kann er hier nicht. Klagt er zu lautstark an, schadet er dem Blogger. Setzt er auf stille Diplomatie, sind die Menschenrechtsaktivisten nicht zufrieden.
Es ist eine Gratwanderung, auf die sich Gabriel heute begibt. Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatten bereits bei den Saudis protestiert. Nun setzt sich Gabriel beim König für die Freilassung des Häftlings ein. Der König lächelt milde bei der Begrüßung in seinen marmornen Gemächern, auch wenn er vermutlich weiß, was jetzt kommt. Der Wirtschaftsminister hat zwei Briefe dabei, einen von Badawis Frau und einen, in dem es um seinen ebenfalls inhaftierten Anwalt geht, der zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Das Treffen dauert knapp zwei Stunden.
Er habe für einen menschlichen Umgang plädiert und um Gnade für den Blogger gebeten, sagt Gabriel hinterher. Der König habe wie erwartet auf die Unabhängigkeit der Justiz verwiesen. Gabriel hofft, dass der Einsatz der deutschen Regierung trotzdem hilft, obwohl er "keine schnelle Lösung erwartet". Am Morgen hatte Gabriel in Riad auch drei Menschenrechtlerinnen getroffen, am Weltfrauentag. Frauen werden im saudischen Königreich systematisch benachteiligt, dürfen etwa nicht Auto fahren.
Vizekanzler nimmt Petition gegen Rüstungsexporte entgegen
Das saudische Außenministerium hatte schon vorher in einer Erklärung "die Medienkampagne um den Fall Raif Badawi" verurteilt. Saudi-Arabien "akzeptiert keine Form der Einmischung in seine inneren Angelegenheiten", sagte ein Regierungssprecher. Das waren klare Worte, die nur dem deutschen Gast gelten konnten.
Die Regierung des Riesenreichs hadert mit den Deutschen nicht nur beim Thema Menschenrechte. Die Ministerriege, die Gabriel trifft, hätte gern, dass mehr Unternehmen aus Europas größter Volkswirtschaft in ihrem Land investieren - und mehr Waffen liefern. Doch der SPD-Chef steigt schon vor seinem Abflug zu den Golfstaaten extra noch mal aus seiner Dienstlimousine aus, um demonstrativ vor den Fotografen eine Petition mit 1,1 Millionen Unterschriften gegen Rüstungsexporte entgegenzunehmen.
Exklusiv Neue Ausfuhren:Regierung genehmigt Rüstungs-Exporte nach Saudi-Arabien
Zuletzt hieß es, alle Waffen-Deals mit den Scheichs seien gestoppt. Doch der Bundessicherheitsrat hat nun unter anderem die Ausfuhr von Schieß-Simulatoren genehmigt. In Regierungskreisen heißt es, das sei kein Widerspruch.
Auch später in Riad bleibt Gabriel trotz Kritik aus der Union bei seiner restriktiven Linie. Deutsche Hilfe zur Landesverteidigung - da hat er nichts dagegen. Schwere Waffen an Saudi-Arabien - da sagt er lieber Nein. "Ich habe dem König gesagt, dass ich keine deutschen Gesetze brechen kann", sagt der Wirtschaftsminister. Vertreter der Rüstungsindustrie durften in Gabriels Maschine übrigens gar nicht erst mitfliegen.