Das Jahr 2019 gilt in den Medien und unter Politikern als Schicksalsjahr des Ostens: Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg könnte die AfD beträchtlich an Stimmen gewinnen und in Sachsen sogar stärkste Kraft werden. Um das zu verhindern, holt sich die sächsische CDU nun Hilfe - der Politikwissenschaftler Werner Patzelt soll an führender Stelle das Wahlprogramm der Partei schreiben. Patzelt ist CDU-Mitglied und Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft der Technischen Universität Dresden (TU). Der 65-Jährige ist ein gefragter Gast bei Talkshows und Live-schalten; zu allem hat er eine pointierte Meinung, egal ob es um die Stimmung in der großen Koalition geht oder um Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Vorsitzende.
Das Leibthema des gebürtigen Bayern ist jedoch der erstarkende Rechtspopulismus in Ostdeutschland. Nach dem Aufkommen der Pegida-Bewegung 2014 warb er um Verständnis für die Anliegen der Demonstranten. Er bezeichnete sie als "ganz normale Leute"; "Fremdenfeindlichkeit" könne er "nicht erkennen". Den Gegendemonstranten warf er dagegen "kunstvolle Feindbildpflege" vor.
Patzelts Kritiker sehen in ihm einen politischen Akteur, weniger einen Analytiker und Wissenschaftler. Indem er der Pegida-Bewegung Verhaltenstipps gebe, werde er ihr Imageberater. Patzelt hatte den Pegida-Demonstranten geraten, sich von Volksverhetzungen zu distanzieren und sich auf das zu einigen, wofür die Bewegung stehe. Die Demonstranten sollten mit Journalisten reden, damit die wüssten, wofür sie politisch stünden. Patzelts Haltung polarisierte selbst das Personal seines Lehrstuhls an der TU Dresden. Auf dem Campus tauchten 2015 Flugblätter auf, in denen Studierende dem Politikwissenschaftler eine Verharmlosung vorwarfen; Mitarbeiter und Professoren distanzierten sich öffentlich von ihrem Kollegen.
In einem Blogeintrag bezeichnete sich Patzelt als "eine Eiche, an der mancher sich reibt" - er liebt solche Sprachbilder, aber auch tatsächlich die Reibereien. Zum Beispiel, als Patzelt in einer Zeitungskolumne Angela Merkels "Wir schaffen das" mit dem "Endsieg"-Sprech der Hitlerzeit verglich. Oder als er im September vergangenen Jahres eine Petition startete, in der er von der Bundeskanzlerin einforderte, Beweise vorzulegen für ihre Einschätzung, in Chemnitz habe es sogenannte Hetzjagden auf Migranten gegeben. Die dazu veröffentlichte Grafik einer "Lügenspirale" war mit einem Bild des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels versehen.
Es folgte ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen Patzelt und einem Fakultätskollegen, der die Hoffnung zum Ausdruck brachte, der Wissenschaftler könne bald wieder die Oberhand über den "Agitator" Patzelt gewinnen - "gerade im Interesse der TU Dresden". Dass dieser sich nach seiner Emeritierung im März möglicherweise endgültig der politischen Arbeit zuwendet, wie er es in einem Facebook-Post andeutet, dürfte im Interesse der Universität sein.
Der sächsischen CDU ist mit der Zusammenarbeit mit Patzelt wiederum ein strategischer Coup gelungen. Durch seine ständige Präsenz als Ossi-Versteher hat er sich erfolgreich zum Anwalt sogenannter besorgter Bürger gemacht. Dass sich einige von denen, wie zuletzt in Chemnitz, auch mal neben Neonazis einreihen, war da so wenig wichtig wie Patzelts Autorenschaft in diversen rechten Medien. Die Sachsen beschreibt er in der Jungen Freiheit als stolzes und aufsässiges Völkchen, dessen Trillerpfeifen und "Volksverräter"-Rufe als Zeichen des Nicht-klein-Beigebens verstanden werden können. Patzelt weiß, wie er im Freistaat die Herzen derer rührt, die sich stets falsch verstanden fühlen. Ob sie sich dann auch von seiner Partei überzeugen lassen, wird sich am 1. September zeigen. Die sächsische AfD ließ per Pressemitteilung erklären, auch ein Patzelt könne die "links-grüne CDU" nicht retten.