Weißrussland:Die EU will die Flüchtlingsroute über Weißrussland dicht machen

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Nach einem gescheiterten Versuch, über die polnische Grenze in die EU zu gelangen, fährt ein Tschetschene im Zug zurück ins weißrussische Brest. (Foto: Sergei Gapon/AFP)

An der EU-Außengrenze sollen "Unterbringungszentren" errichtet werden. Kritiker werfen Brüssel vor, Abschiebeknäste in der "letzten Diktatur Europas" zu finanzieren.

Von Daniel Brössler und Frank Nienhuysen, Brüssel/München

Wer es bis Weißrussland geschafft hat, ist nah dran am Ziel. Ein Bahnhofsgebäude in der Grenzstadt Brest ist in den vergangenen Monaten zu einem Ort großer Hoffnung und auch der Enttäuschung geworden, denn dahinter leuchtet Polen, das Tor zur Europäischen Union. Obwohl die öffentliche Aufmerksamkeit zumeist den großen Flüchtlingsströmen über das Mittelmeer gilt, wird von Brüssel aus seit geraumer Zeit mit Sorge in Richtung Osten geblickt. Aufmerksam registriert die EU-Kommission zwar noch relativ kleine, aber eben steigende Zahlen von Menschen, die über Weißrussland einen Weg in die EU suchen. Es handele sich um "fast ausschließlich junge Männer", die aus Georgien, den russischen Kaukasus-Republiken Tschetschenien und Dagestan sowie aus Vietnam und Syrien stammten, heißt es in der EU-Kommission.

Vor allem die Grenze zwischen Weißrussland und Litauen ist nach Einschätzung der Kommission eine offene Schleuse in die EU. Und zwar eine, die aus Brüsseler Sicht geschlossen werden muss, wenn die Abschottung im Süden Sinn ergeben soll. Dies geht allerdings nur mithilfe des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, der vor gar nicht so langer Zeit für die EU noch Persona non grata war. Auch mit Minsk wird deshalb schon seit Jahren über ein Rücknahmeabkommen verhandelt. Im vergangenen Juli hatte Brüssel insgesamt 29 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt bereitgestellt.

Damit das auch funktioniert, will die EU Weißrussland nun helfen, professioneller mit unerwünschten Migranten umzugehen. Mit sieben Millionen Euro aus dem EU-Haushalt sollen "temporäre Unterbringungszentren für Migranten" errichtet werden. Das soll nicht danach klingen, als finanziere die EU jetzt Abschiebeknäste in einem Land, das häufig als "letzte Diktatur Europas" beschrieben worden ist.

Die neuen oder renovierten Zentren werden, so sieht es die EU-Kommission, vielmehr eine Verbesserung bringen. 5o Prozent der illegalen Migranten würden bislang in Gefängnissen zusammen mit Kriminellen festgehalten, heißt es in der Durchführungsentscheidung. Aus ihr geht auch hervor, dass die von der EU finanzierten Übergangszentren, die vom Innenministerium oder Grenzschutz betrieben werden, "geschlossene und offene Einrichtungen" umfassen sollen. Sie sollen jeweils 30 bis 50 Menschen Obdach bieten und die getrennte Unterbringung von Frauen und Jugendlichen ermöglichen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM), das Rote Kreuz und das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sollen Zugang haben.

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An echten demokratischen Wandel unter Lukaschenko glaubt wohl niemand

Der Auswärtige Dienst der EU weist Kritik an dem Vorhaben, etwa von Europa-Abgeordneten oder aus der weißrussischen Opposition zurück. "Die EU finanziert keine geschlossenen Haftanstalten in Weißrussland und wird das auch künftig nicht tun", versichert eine Sprecherin. Vielmehr gehe es darum, Weißrussland durch ein "umfassendes Unterstützungsprogramm zu helfen, das Phänomen einer steigenden Zahl irregulärer Migranten zu bewältigen".

In erster Linie geht es der EU bei alledem um Kontrolle der Flüchtlingsströme, aber eben nicht nur. Schon seit längerer Zeit bemüht sich die Union um eine Annäherung an einen seiner schwierigsten Nachbarn - was übrigens auch umgekehrt gilt. Weißrussland ist zwar nicht an einer Assoziierung mit der EU im Stile der Ukraine interessiert; es hätte unter der autokratischen Herrschaft von Präsident Lukaschenko darauf auch keine Aussicht. Es ist aber sehr wohl Teil der Nachbarschaftsprogramme der EU. Lukaschenko ist sich der Abhängigkeit von Moskau schmerzlich bewusst und hätte gern mehr Handel mit der EU. Die EU wiederum hofft auf eine Aufweichung des autoritären Systems in Minsk und sieht die Vermittlerrolle Weißrusslands im Ukraine-Konflikt mit Wohlgefallen. Man sei offen für eine "weitere Entwicklung der Beziehungen", versprachen die EU-Außenminister schon im vergangenen Frühjahr. Sanktionen, etwa in Form von Einreiseverboten gegen 170 Günstlinge Lukaschenkos, hoben sie bereits auf.

Eine Art Flüchtlingspakt dürften Weißrussland und die EU nun einander weiter annähern. Gerade erst hat Minsk auch noch angekündigt, für Dutzende Staaten, darunter jene der EU, eine visafreie Einreise über den Hauptstadt-Flughafen in Minsk zu erlauben. Umgekehrt setzt die weißrussische Führung darauf, dass im Gegenzug auch Weißrussen künftig von einer Visa-Liberalisierung profitieren und leichter in die EU einreisen könnten.

An echten demokratischen Wandel in Weißrussland glaubt in den EU-Staaten vermutlich niemand so recht, aber dennoch scheint eine Verbesserung möglich zu sein: Auf freie, transparente Wahlen dürfte sich Minsk zwar kaum einlassen, aber womöglich auf ein Moratorium der Todesstrafe, wie weißrussische Medien schreiben. Weißrussland ist das einzige Land Europas, das Todesurteile vollstreckt.

© SZ vom 02.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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