Weißrussland:Minsk vollstreckt die Todesstrafe

Kritik aus Brüssel verpufft. Der Präsident ist es nicht gewohnt, infrage gestellt zu werden. Drei weitere Mörder sind zum Tode verurteilt.

Von Frank Nienhuysen

Iwan Kulesch hat getötet, und deshalb ist er erschossen worden. Ein Mörder, dessen Todesstrafe der Staat vollstreckt hat. In Europa gibt es das nur noch in Weißrussland. Der Fall Kulesch ist der zweite in diesem Jahr. Mehrere weißrussische Medien haben jetzt über die Exekution berichtet, die nach Angaben der Organisation "Menschenrechtler gegen die Todesstrafe in Weißrussland" bereits am 5. November stattgefunden haben soll. Genaueres würden die Angehörigen von Kulesch erst mit dem Erhalt des Todesscheins erfahren, aber sehr genau wird all dies vermutlich auch nicht sein. In der Regel werden die Angehörigen nicht einmal darüber informiert, wo der Leichnam überhaupt begraben wurde.

Kulesch, ein 28 Jahre alter arbeitsloser Familienvater, der ein bisschen Geld mit dem Sammeln von Beeren und Pilzen verdiente, hatte zugegeben, jeweils betrunken im Laufe eines Jahres insgesamt drei Ladenverkäuferinnen getötet zu haben. Hinzu kamen Raub und der versuchte Mord an einer weiteren Person. Bilder in weißrussischen Zeitungen zeigen einen kahlrasierten Mann, den Kopf gesenkt, hinter den Metallstäben der Gerichtszelle. Trotz des Todesurteils verzichtete er auf ein Begnadigungsgesuch an Staatspräsident Alexander Lukaschenko.

Fast niemand stellt Fragen in diesem autoritär regierten Land

Die Todesstrafe ist in Weißrussland nicht sonderlich umstritten. Bis auf wenige Menschenrechtler und Internetplattformen stellt sie in dem autoritär geführten Land niemand infrage. In Europa ist das anders. Als das Oberste Gericht von Weißrussland Ende März die Todesstrafe gegen Kulesch bestätigte, versuchte die Europäische Union dem Land sofort ins Gewissen zu reden. Kulesch sei "ernsthafter Verbrechen schuldig", trotzdem sei diese Art der Strafe zur Abschreckung untauglich, sie missachte auf "inakzeptable Weise" menschliche Würde und Integrität. Die EU forderte Minsk auf, sich einem Moratorium für die Todesstrafe anzuschließen - was die weißrussische Führung allerdings ignoriert hat.

Präsident Alexander Lukaschenko hat sein Verhältnis zum Westen seit geraumer Zeit wesentlich verbessert. Nachdem Weißrussland eine Reihe von politischen Gefangenen freigelassen hatte, hob Brüssel prompt seine Sanktionen auf. Über Menschenrechte wird nach einem für lange Zeit unterbrochenen Dialog jetzt wenigstens wieder gesprochen, aber zu einem Moratorium - an das sich etwa Russland schon seit zwei Jahrzehnten hält - scheint Weißrussland nicht bereit zu sein, wie der Fall Kulesch zeigt. Derzeit sitzen in den Todeszellen drei weitere Mörder, die zur Höchststrafe verurteilt sind.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hatte erst vor wenigen Wochen die Todesstrafe als "grausame und inhumane Praxis" bezeichnet, die im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr habe. Darin aber könnte er sich noch täuschen. Sollte das türkische Parlament für eine Wiedereinführung der Todesstrafe stimmen, werde er das Gesetz unterzeichnen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdoğan erst vor wenigen Tagen. Und Lukaschenko stünde in Europa nicht mehr allein.

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