Globalisiertes Fest:Salam aleikum und frohe Weihnachten

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Grüße für die Freunde im Internet: Ein Paar macht Fotos vor einem großen Lichterbaum in Byblos, nördlich von Beirut. (Foto: Bilal Jawich/Xinhua/imago)

Lichterketten in Istanbul, Nikoläuse in Beirut: Warum das populärste christliche Fest auch in der islamischen Welt Einzug hält - und was es für die Menschen dort bedeutet.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul, und Dunja Ramadan

Schrille und bunte, grell glitzernde Tannenbäume in Dubai am Persischen Golf? Kein Problem. Lichterketten vor Istanbuler Läden und Nikoläuse in roten Kutten in den Shoppingmalls von Beirut? Selbstverständlich. In Kairo schlängeln sich Straßenverkäufer durch den Dauerstau und halten den Autofahrern blinkende Zipfelmützen vors Fenster, ganz egal, ob es wohl Kopten oder Muslime sind. Und sie finden Abnehmer, auch ganz egal ob Christ oder Muslim. An den Pyramiden von Gizeh bekommen Kamele rote Weihnachtsmützen übergestülpt, um Touristen mitten im Wüstensand auf winterliches Weihnachten einzustimmen. Sogar im ultrakonservativen Königreich Saudi-Arabien herrscht so etwas wie vorweihnachtliche Stimmung: Im "Winter Wonderland" in Riad können die Besucher eislaufen, Palmen tragen Lichterketten.

Die meisten großen Städte im muslimisch geprägten Nahen Osten erscheinen in diesem Dezember in festlich geschmücktem Glanz. Längst hat Weihnachten, das populärste christliche Fest, Einzug in die Region gehalten, wo alles vor 2000 Jahren begann. Im Nahen Osten sind Christen zwar nur eine kleine Minderheit. Dennoch wird hier, wie auch in der Türkei, gefeiert. Und zwar in großem Stil und weit verbreitet - und eben nicht nur von Christen.

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In Basra steht ein Baum, behängt mit Tränengaskanistern

Im Irak ist das christliche Fest der Feste nach der Schreckensherrschaft der Terrormiliz IS in Falludscha und Ramadi im Westen und Mossul im Norden des Landes seit 2018 sogar offizieller Feiertag. In diesem Jahr wird es auch während der Proteste gegen die Regierung, bei denen nahezu täglich Menschen sterben, nicht vergessen. Weihnachten wird dabei zu einem politischen Statement: Demonstranten im südirakischen Basra behingen einen immergrünen Plastiktannenbaum mit leeren Tränengaskanistern und Patronenhülsen und den Fotos der bei Kundgebungen getöteten Regierungskritiker.

Die Politisierung des Festes ist indes die große Ausnahme. Im benachbarten Jordanien lockt in der Hauptstadt Amman ein Weihnachtsmarkt. Die Besucher zahlen Eintritt, um unter Palmen ein wenig "magischen Weihnachtszauber" zu verspüren, wie die Veranstalter versprechen. Zur Eröffnung seilte sich ein Nikolaus aus dem Himmel herab, es regnete Kunstschnee, und ein riesiger Tannenbaum erstrahlte in blauem LED-Licht. Nur sechs Prozent der Jordanier sind Christen. Das entspricht etwa dem Bevölkerungsanteil von Muslimen in Deutschland.

Dass in dem für Muslime heiligen Fastenmonat Ramadan über deutschen Fußgängerzonen Laternen baumeln oder dort Baklava und Datteln verkauft werden und Nichtmuslime mitfeiern, wird man eher selten finden. Wohl nirgendwo in Deutschland. Dafür verbreitet sich im Netz immer wieder die Klage, dass Weihnachtsmärkte in Wintermärkte umbenannt werden - vermeintlich aus Rücksicht auf Muslime. Es gibt da reichlich Verschwörungstheorien. Vor allem rechte Netzwerke warnen vor einer angeblichen "Islamisierung des christlichen Abendlands".

Und wie steht es um die "Christianisierung des islamischen Morgenlandes"? Obwohl die Mehrheit der Araber Muslime sind, klagt dort angesichts der glitzernden Weihnachtsbäume all überall kaum jemand über einen solchen Trend, sagt der Soziologieprofessor Amro Ali von der American University in Kairo. Nur selten würden wenig beachtete Prediger vor einer Verwestlichung der muslimischen Welt warnen. Ali kennt sich in beiden Welten aus. Er ist in Australien aufgewachsen, hat dort studiert. 2015 war er Stipendiat des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Seit einigen Jahren lebt er im ägyptischen Alexandria, im Heimatland seiner Eltern. In dieser Zeit hätten dort die Weihnachtsfeierlichkeiten "ungeahnte Dimensionen" angenommen.

Obwohl orthodoxe Christen, wie die Kopten in Ägypten, Weihnachten erst am 6. und 7. Januar feiern, ist schon Anfang Dezember alles dekoriert. Amro Ali sieht dies als "Teil eines Globalisierungsprozesses", jenseits jeglicher religiöser Botschaft. Auch der Valentinstag wird mittlerweile in muslimischen Ländern gefeiert, mit Luftballons in Herzform und Rosengirlanden in den Schaufenstern. In den oft autokratisch geführten Ländern sei den Regierungen diese Kommerzialisierung nur recht. Sie sähen die Bürger lieber als Konsumenten statt als Aktivisten: "Wenn sie shoppen, machen sie keine Probleme", sagt Ali. Einkaufszentren gelten als "safe places", als sichere Orte, dort würden keine politischen Vereinigungen gegründet, nur Geldbeutel geleert. Man stellt sich vor den Weihnachtsbaum, macht Fotos für die Instagram-Freunde und wünscht "Merry Christmas". Ali sagt: "In bestimmten Schichten gehört es dazu, sich möglichst weltoffen und mehrsprachig zu zeigen."

Viele Geschäfte in Istanbul sind weihnachtlich geschmückt - wie dieser Laden im Ägyptischen Basar. (Foto: Yasin Akgul/AFP)

In der Türkei kennt man das schon länger. Erst schmückten vor allem Kemalisten, die auf den säkularen Charakter der Republik Wert legen, ihre Häuser mit Tannenbäumen. Sie wollten damit zeigen, wie westlich sie sind. Die strikt säkulare Zeitung Cumhuriyet berief sich in diesem Jahr dazu noch auf "die alte türkische Tradition", Bäume "mit Stoffstreifen" zu schmücken. Bäume seien schließlich schon Nomadenvölkern heilig gewesen. In schamanischen Vorstellungen reichen die Äste in den Himmel und die Wurzeln hinab in die Unterwelt. Wunschbäume mit Stoffstücken, die man an die Zweige bindet, sind in der Tat rund ums Mittelmeer verbreitet.

Selbsternannte Internetprediger erklären den religiösen Türken regelmäßig, dass es haram, also sündig sei, christliche Feste mitzufeiern. Aber die Lust am Lichterglanz hat etwas Unwiderstehliches, und kommerziell lohnt es sich eben auch. In türkischen Großstädten werden daher mittlerweile viele Läden und Restaurants mit grünen Plastikchristbäumen - meist made in China - dekoriert. "Unsere Kunden mögen das", sagt eine Modeverkäuferin auf der Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal, "wir nennen ihn Neujahrsbaum." Für Silvester werden dann auch Geschenke gekauft. Vor einer Apotheke tanzt ein Nikolausroboter. In der Türkei verweist man sogar mit Stolz darauf, dass der Geburtsort des Heiligen Nikolaus, des Bischofs von Myra, in Kleinasien lag, also in der heutigen Türkei. "Noel Baba" heißt er hier. Das ist aus dem Französischen entlehnt, mit Weihnachten verbinden viele es gar nicht.

Wenn Gabriele Pace, evangelische Pfarrerin in Istanbul, von ihren Nachbarn gefragt wird, warum sie derzeit so viel zu tun habe, dann sagt sie: "Ja, wegen Weihnachten." Und merkt, dass nicht alle damit etwas anfangen können, trotz der festlich geschmückten Einkaufsstraßen. Pace aber freut sich über den Lichterglanz. Ihre Kirche, das weiß die Pfarrerin, wird am Heiligen Abend voller sein als sonst. "Das ist wie in Deutschland", sagt sie, die meisten kämen eben nur an den Feiertagen.

In Saudi-Arabien wird Silvester gefeiert - auch das ein Novum

Der Soziologe Amro Ali sagt, die Teilhabe an einem globalen Event wie Weihnachten gebe Menschen im Nahen Osten das Gefühl, dazuzugehören zu einer Welt, an der sie sonst kaum Anteil hätten. Die meisten Araber können nicht mal eben ins Flugzeug steigen, um sich den Weihnachtszauber in New York anzusehen. Selbst wenn sie das Geld dazu hätten, bekommen sie oft kein Visum für westliche Staaten. Das könne vor allem in der jungen Generation zu Frust führen, und bei manchen gar zu Selbsthass. "Diese Gefühle sind ein Überbleibsel der Kolonialisierung. Viele Araber fühlen sich abgehängt und übernehmen auch deshalb Symbole, die sie mit Fortschritt assoziieren." Eine religiöse Komponente sieht Ali darin nicht. Auf den Baumspitzen stecken eben Sterne, keine Kreuze.

Auf Weihnachten folgt Silvester. Im ausgehenden Osmanischen Reich wurde 1917 der Jahresbeginn per Gesetz auf den 1. Januar gelegt, vorher gab es andere Zeitrechnungen. Aber auch Neujahrsfeiern gelten strengen Muslimen bis heute als "heidnisch". Bars in Istanbul laden zwar zu Silvesterpartys, in sozialen Medien wird darüber aber alle Jahre wieder gestritten.

Doch auch zu Silvester diktiert der Kommerz den Wandel: In Saudi-Arabien könnte es, wie lokale Medien berichten, zum Jahresbeginn 2020 erstmals große Feierlichkeiten geben - ein Novum in einem Land, in dem sich die Feiertage nach dem islamischen Mondkalender richten.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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