In der PanAm-Lounge nahe dem Ku'damm werden die Gäste von Frauen in Uniformen begrüßt, wie sie die Stewardessen der früheren Fluggesellschaft trugen. Sie strahlen Eleganz und Leichtigkeit aus, die an die Zeit erinnert, als Fliegen noch etwas Besonderes war.
Die Gastgeberin erinnert daran, dass Willy Brandt hier gern Gespräche geführt hat, als er Regierender Bürgermeister war. Neben ihr steht ein Mann, für den Abend und Ort wie gemacht sein sollen; in der Tradition von Brandt sieht er sich gern. Prominente sind eingeladen. Später wird die SPD ein Foto von Michael Müller mit der Schauspielerin Maren Gilzer und der Entertainerin Désirée Nick verbreiten.
Zum Grußwort steht er da wie einer, der es locker halten will, offenes Hemd, eine Hand in der Hosentasche. Er könnte jetzt plaudern, wenn er könnte. Und gibt, was er kann, eine Kurzform seiner Wahlkampfrede. Berlin sei auf einem guten Weg, er lasse sich die Entwicklung der Stadt nicht schlechtreden. Es gebe ja einen Grund, dass jedes Jahr 40 000 neue Bürger hinzukämen.
Berlin:Berlin versinkt planlos im Boom
Die Hauptstadt erlebt einen faszinierenden Aufschwung. Doch genau daran scheitert die Berliner Politik, denn einen Zukunftsplan für die Stadt gibt es nicht.
Jemand stellt eine Nachfrage, die ihm ein Stichwort geben soll. Nun wird der Regierungschef ausholen, über fehlende Modernität der CDU klagen und vor der AfD warnen. Vorher macht er, mehr zu sich selbst, eine Randbemerkung, man kann sie leicht überhören: Jetzt werde bestimmt wieder jemand sagen, er rede zu lang.
Für einen Regierungschef ist das ein außergewöhnlicher Satz, für Müller eine typische Bemerkung. Ständig scheint ihn die Sorge zu begleiten, dass jemand etwas falsch findet, er es den Leuten nicht recht machen kann. Und das, wo er doch alles versucht.
Wenn an diesem Sonntag gewählt wird, kann keiner dem Sozialdemokraten mangelnden Einsatz vorwerfen. Müller zog schon mit einer "Füreinander"-Tour durch Berlin, als sein Konkurrent Frank Henkel von der CDU nicht mal in den Startlöchern war. Später lud er zu Gesprächen auf Dächern: "Über Berlin reden", ob in der PanAm-Lounge oder über einem Senioren-Heim. Und jetzt können Berliner in jedem Bezirk "Müller treffen".
Müller - ein Kärrner-Typ
Seine Plakate geben vor, dass alle ihn längst kennen müssten: "Müller, Berlin" steht da nur. Aber so oft der 51-Jährige sich auch aufmacht, sichtbar erschöpft: Er kommt nicht an, wo er hinwollte. Müller hat einen Vorsprung, aber ein richtiger Amtsbonus sieht anders aus.
Müller ist einer, dem man Sorgen ansieht. Wenn er sich ärgert, werden seine Lippen schmal. Als er im internen Wettkampf der SPD vor zwei Jahren um die Nachfolge von Klaus Wowereit kämpfte, warb er sogar damit, kein Schauspieler zu sein, kein Glamour-Faktor also. Und es sah für einige Monate aus, als ob damit genau der gekommen wäre, auf den Berlin gewartet hatte - ein Kärrner-Typ, der nichts leichtnehmen kann.
Leichtigkeit hatten die Berliner ein Jahrzehnt erlebt und einen ewig unfertigen Flughafen und eine marode Verwaltung geerntet. Wowereit war forsch und wirkte, als hätte er die Welt gesehen. Müller war, wie viele sind. Er ist verwurzelt in seinem Kiez in Tempelhof, den er nie verließ. Dort lernte er an der Seite seines Vaters, als selbständiger Drucker auch mit kleinen Aufträgen durchzukommen.
Als er schon Regierungschef war, gefiel es ihm, sich in Bürgergesprächen als "Herr Müller aus Tempelhof" vorzustellen. Der Herr Müller versprach, die kleinen Aufgaben anzugehen. Von seiner ersten Regierungserklärung blieb ein Wort hängen: Schultoiletten. Kein Entwurf, keine Vision, Schultoiletten, die sollten endlich in Ordnung gebracht werden.
Die Zeichen standen gut. Jahrelang war im hoch verschuldeten Berlin massiv gespart worden. Nun stand wieder Geld zur Verfügung, ein Investitionsprogramm wurde beschlossen, der Regierende wollte der Problemlöser sein. Zunächst hatte er großartige Umfragewerte. Doch für einen Problemlöser wäre es gut, wenn er Probleme löst. Irgendwann reicht es nicht mehr, dass er sie einräumt oder anderen die Schuld gibt.
Zwei Jahre nach der Amtsübernahme ist die Bilanz anständig. Berlins Wirtschaft boomt, Investoren streben in die Stadt. Aber vielleicht hat die Regierung den Hebel zu spät umgelegt, zu spät vom Sparen aufs Investieren umgeschaltet. Müller sagt inzwischen, man hätte früher beginnen sollen. Jetzt hakt es an vielen Stellen. Die Investitionsmittel können oft nicht eingesetzt werden, weil auch dafür Personal fehlt. Der Berliner Verwaltungsnotstand erzeugt ständig peinliche Geschichten.
Wahl zum Abgeordnetenhaus:Die Piraten sind tot, es leben die Piraten
Die Piraten sind am Ende, heißt es oft. Doch viele ihrer einstigen Köpfe denken gar nicht ans Aufhören. Sie haben zu schätzen gelernt, gegen was sie einst rebellierten: die Arbeit in etablierten Parteien.
Vor gut einem Jahr begann die Stimmung zu kippen. Auslöser war keine kleine Geschichte, sondern das Scheitern des Lageso an der Aufnahme von Tausenden Flüchtlingen. Es war ein Amt wie jedes andere in Berlin. Unter dem Spardruck war das Personal extrem ausgedünnt worden, schon bevor die Kanzlerin die Grenzen öffnete, herrschten unzumutbare Zustände.
Müller versuchte sich als Kümmerer. Er rief Chefs von Unternehmen, damit sie schnelle Hilfe leisteten. Für die Medien klang das nach einer Chefsache. Als sich zu wenig änderte, warf er Sozialsenator Mario Czaja von der CDU in einer Regierungserklärung Versagen vor und verkündete einen großen Plan, wieder eine Chefsache, wieder wurde wenig schnell besser.
Mit den Sorgen wuchs die Empfindlichkeit. Das spiegelt sich im Umgang mit Medien. Den Tagesspiegel, in Berlin eine wichtige Stimme, boykottiert er inzwischen weitgehend. Da sei was vorgefallen, wird im Roten Rathaus erklärt, ohne konkret zu werden. Die Zeitung genießt die Rolle der Unbequemen, die es sich mit der Regierung verscherzt hat. Nachdenkliche Genossen fragen, was ihm das nutzen soll.
Aber Müller fühle sich gern verfolgt, sagen sie, auch in der Partei. Er vertraue nur einem kleinen Kreis, der bedingungslos eingespannt wird. So wie er sich auszehrt, fordere Müller auch Mitarbeiter. Im Frühjahr löste er den internen Konkurrenten Jan Stöß als Vorsitzenden ab. Der habe ihn nicht genug unterstützt.
Was fehlt: ein Gegner
Müller ließ sich zum Parteichef wählen. Die SPD-Zentrale wurde auf ihn ausgerichtet. Jetzt beklagte er in einer Vorstandssitzung fehlendes Engagement im Wahlkampf. Einige reagierten empört: Das sei ja sehr motivierend.
In der Partei kursieren Gerüchte, dass Müller um sein Amt fürchten müsse. Fraktionschef Raed Saleh warte nur darauf, dass Müller ein schwaches Ergebnis einfahre, um selbst zu übernehmen. Quatsch, sagen andere, da werde vorsorglich eine Dolchstoß-Legende von Müllers Leuten verbreitet.
Unterstützer sagen, Müller brauche einen Gegner, an dem er sich abkämpfen kann. Er hat es mit CDU-Chef Henkel versucht, ihn zu einer politischen Unperson erklärt: Mit dem könne er nicht weiter regieren. Henkel ist nominell Herausforderer. Aber er hat kaum eine realistische Chance. Auch die Erste auf der Landesliste der Grünen, Ramona Pop, bietet keine Angriffsfläche. Nie würde sie sagen, dass sie Regierungschefin werden will.
So erlebt Berlin einen Wahlkampf ohne Kampf. Es ist der Missmut, das Gegrummel, auch Wut, die sich da in einem guten Wahlergebnis für die AfD entladen könnten. Bei seinen vielen Terminen bekommt er das selten zu spüren. Es geht nett zu, der Unscheinbare regt die Leute nicht auf, und er wird sich fragen, ob das gut ist.