Wahlen: Union und SPD:Deutschland wird die große Koalition nicht los

Lesezeit: 4 min

Eben noch Auslaufmodell, nun der Hit des Herbstes: die große Koalition zwischen Union und SPD. Diese Allianz könnte bald auch in Thüringen und sogar im Saarland antreten. Das Votum der Wähler spielt dabei nur eine kleine Rolle.

Hans-Jürgen Jakobs

Niemand wird sagen können, dass die Deutschen die zweite "große Koalition" der Nachkriegsgeschichte lieben. Sie ist eine Behelfskonstruktion. Das Beste an ihr: Sie hat tatsächlich eine volle Legislaturperiode gehalten hat und nicht, wie beim ersten Versuch zwischen 1966 und 1969, nur drei Jahre.

Angela Merkel (CDU) und Frank-Walter Steinmeier (SPD): Wird das alte Rezept der großen Koalition auch das neue? (Foto: Foto: ddp)

Die drei Landtagswahlen am vorigen Sonntag haben jedoch das Missfallen des Landes mit den Kompromisskünstlern in Berlin deutlich zum Ausdruck gebracht. Sowohl CDU als auch SPD haben in der Gesamtbilanz schlecht abgeschnitten. Dagegen immunisierten sie sich mit der Kunst selektiver Wahrnehmung. Es hat volle vier Tage gebraucht, bis ein gestandener Politiker wie der Thüringer Dieter Althaus des Ausmaß der Katastrophe begriff.

Die Strategie der Berliner Koalitionäre, vor allem der sozialdemokratischen, dort Licht zu entdecken, wo Schatten dominiert, ist erschreckend - dabei sind die negativen Entwicklungen für die einstigen "Volksparteien" überhaupt nicht zu leugnen. Die Union verlor in Thüringen und im Saarland nicht nur die absolute Mehrheit, sondern auch noch die schwarz-gelbe Gestaltungsmehrheit, die ja bekanntlich das Rollenmodell für den Bund sein soll.

Und in Sachsen stabilisierten sich die Christdemokraten auf Niedrigstand und können es nur der erstarkten FDP verdanken, dass sie weiterhin den Ministerpräsidenten stellen können.

Es gilt das alte Gesetz des politischen Kintopps: Alle lieben die Wahrheit, und jeder lügt, wie er kann. Die SPD hat den Selbstbetrug inzwischen so sehr zur Konstante ihres Handelns gemacht, dass sie quasi rituell nach Wahltagen ihre Wiedergeburt anzeigt. Dabei dümpeln die Erben Lassalles in ihrem Traditionsland Sachsen weiterhin bei zehn Prozent herum; in Thüringen langen auch einige Prozentpunkte Zugewinn nicht, um auf alte Werte zu kommen oder um am Ende sogar die Linke zu überholen.

Und im Saarland schließlich erlitten die ohnehin gebeutelten Sozialdemokraten neue Verluste - es fehlte nicht viel, und die Linke unter dem ehemaligen SPD-Idol Oskar Lafontaine hätte sie überholt.

Das also ist die ungeschminkte Bilanz der Trägerparteien der Berliner Großkoalition: Abstieg, Enttäuschung auf der ganzen Linie, mühsame Durchhalteparolen. Die Bürger haben bei diesen Testwahlen de facto den realpolitischen Bund der Machttechnokraten Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier abgewählt. Doch je schwächer Union und SPD werden, desto stärker scheint bei vielen die Idee neuer großer Koalitionen zu werden. Der Anlass der Schwäche wird einfach zum Objekt der Hoffnung umfunktioniert.

Deutschland wird die "große Koalition nicht los", im Gegenteil - das angebliche Auslaufmodell wird zum Herbsthit.

Es musste ja nur Althaus zurücktreten, und schon erscheint in Erfurt eine schwarz-rote Ehe gut möglich. Merkel fordert dazu auf, auch wenn sie in Berlin der FDP neuerdings öffentlich Treueschwüre übermittelt. Auch im Saarland ist ein solcher Bund mit den Sozialdemokraten eine reale Option, wenn der amtierende Ministerpräsident Peter Müller die FDP und die Grünen nicht an seine Seite bringt, oder wenn die SPD ihre Scheu vor den Linken und den Grünen nicht ablegt.

Für die Wähler ist das alles reichlich paradox. Längst hatte sich die große Koalition in Berlin seit dem Frühjahr zum Gremienmonster entwickelt, das Reformvorhaben unerledigt abgeheftet und sich ganz dem aktuellen Krisenmanagement verschrieben hat. Zu dieser Dramaturgie gehörte, dass sich die Parteien wochenlang mit Jobretter-Darbietungen im Fall Opel überboten, und nun blamiert dastehen, weil General Motors den Rüsselsheimer Autobauer am Ende nicht verkauft.

Wenn es eng wurde wegen der Attacken der vorhandenen Opposition, beispielsweise bezüglich einer Bankerparty im Kanzleramt, der Dienstwagenurlaubspräferenz der Gesundheitsministerin oder der Advokatenlust des Wirtschaftsministers, dann halfen sich die Großparteien einfach gegenseitig und schmetterten Anträge auf genauere Erforschung ab. Gegen diesen Notstand einer allzu großen Mehrheit kommt keine Opposition an.

Das Ganze funktioniert in solchen Notlagen so wunderbar, dass sich die Beteiligten wie in Österreich daran gewöhnen könnten. Es scheint ja auch so unkompliziert und logisch zu sein, wenn sich die beiden Größten zur Bewältigung der Krise zusammentun.

Wenn nur die Wähler nicht wären: Schon 2005 hatten die Deutschen das großkoalitionäre Gehabe in Wahrheit nicht gewollt, sondern sich schlicht zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün nicht entscheiden können. Gegen die damalige Reformerin Merkel hatte Populist Gerhard Schröder mit radikal sozialpolitischem Gestus am Schluss noch gewaltig aufgeholt.

In ihrem Wellness-Wahlkampf 2009 hält sich CDU-Chefin Merkel vom Morast der lebhaften Auseinandersetzung und von jeder Polarisierung fern. Sie gibt die unangreifbare Moderatorin der Debatte, entrückt in die Höhen historischer Wichtigkeit, gleichsam an der Kapellendecke zwischen Adenauer und Kohl verewigt. Sie weiß, zu viel Ehrlichkeit tun der Stimmung und den Stimmen nicht gut. Diese Frau hält sich alle Optionen offen. Wenn sich die Krise auf dem Arbeits- und Finanzmarkt nach dem 27. September verschärfen sollte, braucht sie die SPD. Entweder als Koalitionspartner, oder als Helfer bei Notmaßnahmen.

Unterdessen sucht der barocke Gegenkandidat und Vizekanzler Steinmeier, der vier Jahre im Team mit Merkel gut harmoniert hat, drei Wochen vor der Wahl noch sein großes Erfolgserlebnis als Stänkerer gegen seine Chefin. Ihm wird am Ende nicht viel mehr bleiben als das olympische Prinzip, dabei gewesen zu sein. Wenn es gutgeht, sichert er seiner SPD ein paar Ministerposten im Kabinett, auch wenn die Partei seltsam ausgebrannt wirkt.

Vor den Landtagswahlen schwelgte Steinmeier von neuen Machtoptionen, und schloss ein Zusammengehen mit den Linken im Saarland und in Thüringen nicht aus. Jetzt, da das Ergebnis da wäre, fehlt es an Schwung. Eine Regierungsallianz gegen die Union aufzustellen, ist offenbar noch schwerer, als aus Steinmeier einen Wahlkämpfer zu machen. Die SPD redet zwar gerne von "linker Politik", die sie machen wolle, doch das ist in diesen Tagen nur eine Portion Mobilat für die eigene Stammklientel, die zum Beispiel im Saarland zum guten Teil Lafontainisten geworden sind.

Nein, die Unzufriedenen mit den Berliner Verhältnissen wissen, dass sie strategisch wählen müssen, um eine Neuauflage der ungeliebten großen Koalition zu verhindern. Und so tendieren beachtlich viele aus dem konservativen Lager zur FDP, die ihr Glück solcher windfall profits kaum fassen kann. Der Zuspruch zur Bundestagswahl ist so groß, dass sogar die CSU grollt; sie droht weniger Ministerposten zu ergattern als die Liberalen. Im linken Lager wiederum bieten sich die Grünen und die Linken als Auffangstationen für unzufriedene SPD-Wähler an und werden als solche genutzt. Kurzum: Alle derzeitigen drei Oppositionsgruppen im Berliner Reichstag werden mittelfristig Gewinner sein.

Irgendwann, wenn die große Koalition doch einmal enden sollte, werden politische Konturen in Deutschland wieder deutlicher werden. Dann würden "neoliberale" Konzepte mit staatsinterventionistischen Modellen konkurrieren, dann dürfte ein Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan breit diskutiert werden. Dann ginge es um die Schröder'sche Residualgröße Hartz IV. Dann könnte die SPD nicht mehr dem Problem ausweichen, sich inhaltlich stärker mit Lafontaines Linken beschäftigen zu müssen - womöglich bis hin zu einem Vereinigungsparteitag eines fernen Tages.

So lange macht Angela Merkel einfach weiter.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Der große Kabinetts-Check
:Top oder flop

Vier Jahre hat die Bundesregierung die Geschicke der Republik bestimmt. Aber waren die Bundesminister gut darin? Wer war kompetent, wer unsicher? Stellen Sie ein Abschlusszeugnis aus!

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: