NRW: Kraft ist Ministerpräsidentin:Ende eines Traumas

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Startschuss in NRW: Grüne und SPD sind schon ein wenig stolz, dass sie Hannelore Krafts Wahl zur Ministerpräsidentin so gut hingekriegt haben. Jetzt geht es um ihr Team - erste Namen der Kabinettsliste machen bereits die Runde.

Bernd Dörries, Düsseldorf

Als das Ergebnis schließlich verkündet wird, weiß Hannelore Kraft schon, dass es gereicht hat für sie im zweiten Wahlgang. Nicht, weil irgendjemand das vorzeitig im Internet hinausgetwittert hätte. Nein, auf die ganz altmodische Art. Als die Stimmen ausgezählt, aber noch nicht vom Parlamentspräsidenten bekanntgegeben sind, laufen die SPD-Abgeordneten aus der Wahlkommission wieder zu ihren Plätzen, der eine legt Kraft die Hand auf die Schulter, die andere flüstert ihr etwas zu. Kraft schaut zu den Grünen hinüber, zu Sylvia Löhrmann, ihrer künftigen Stellvertreterin, die daraufhin in die eigenen Reihen nickt. Es wäre jetzt übertrieben zu sagen, dass diese Koalition sich schon wortlos versteht. Aber man sieht das doch in den Blicken: Den Stolz, es schon mal ganz gut hingekriegt zu haben mit diesem Start.

Die neue Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen: Hannelore Kraft nach ihrer Wahl. Gut neun Wochen nach der NRW- Landtagswahl wurde die 49-Jährige mit den Stimmen von SPD und Grünen im zweiten Wahlgang zur Chefin einer Minderheitsregierung gewählt. (Foto: dpa)

Hannelore Kraft hat bei ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen im zweiten Wahlgang alle 90 Stimmen der rot-grünen Koalition bekommen. Und die elf Enthaltungen der Linken, die sie brauchte. Sie hatte lange gezögert, in diese Minderheitsregierung zu gehen, aus Angst, so enden zu können wie Heide Simonis. Kraft hat sogar die Bekanntgabe ihres Kabinetts auf Donnerstag hinausgezögert, um möglichst niemanden zu verprellen in der eigenen Fraktion, die recht reich ist an Menschen, die sich eigentlich für ministrabel betrachten. Es gab aber offenbar in der geheimen Wahl nicht einen Enttäuschten bei den Sozialdemokraten, niemand hat ihr die Stimme verweigert. Wahrscheinlich auch, weil das Gefühl ja noch recht frisch ist, wie es war, in der Opposition zu sein.

Nach der Wahl steht Peer Steinbrück in der Wandelhalle, der Mann, der die Landtagswahl 2005 verlor, was die SPD nach 39 Jahren das erste Mal wieder in die Opposition brachte. Steinbrück ist damals vor allem deshalb gescheitert, weil die Leute mal etwas anderes haben wollten, nach so vielen Jahrzehnten.

Guter Wahlkampf von Kraft. Parlament wird gestärkt, murmelt Steinbrück. Er ist nicht unbedingt der Typ, den die Partei so umarmt hätte, wie sie es jetzt ein paar Meter weiter mit Hannelore Kraft tut. Sie wischt sich die Augen, weil ihr etwas hineingeflogen ist oder weil es sie doch ein bisschen überkommt. Oder beides. "Das ist ein besonderer Moment für mich und die Fraktion", sagt Kraft. Die Leute stehen mit Rosen an, es wird sich lange und heftig gedrückt, weil in diesem Moment niemand daran denkt, dass die neue Regierung vielleicht nur einige Monate halten könne. Es ist nun erst einmal das Ende eines Traumas.

Vor den Türen des Landtages steht der Sohn von Hannelore Kraft, der seine Mutter früher erst spät nachts gesehen hat, wenn sie aus den verrauchten Hinterzimmern des Landes kam. "Du stinkst, du kommst von der SPD", hat er dann gesagt. Mittlerweile stinkt die SPD nicht mehr in Nordrhein-Westfalen, aber der Sohn von Hannelore Kraft wird seine Mutter deshalb nicht häufiger sehen. Eher noch weniger, schätzt er. "Aber ich bin ja bald mit der Schule fertig. Das wird schon."

Das "wird schon" drückt die allgemeine Gefühlslage ganz gut aus an diesem Mittwochnachmittag. Die Sozialdemokraten stehen bei Wurst- und Käsestullen herum, mancher hält die Gelegenheit für günstig, ein Pilschen zu trinken. Erste Namen der Kabinettsliste machen die Runde: Norbert Walter-Borjans, der bisherige Kämmerer von Köln und enge Vertraute von Kraft, könnte neuer Finanzminister werden, er müsste in den kommenden Jahren die Verschuldung vom Rekord-Niveau herunterbringen. Wirtschaftsminister soll Harry Voigtsberger werden, der Direktor des Regionalparlaments Landschaftsverband Rheinland, das von einer Ampelkoalition regiert wird. Auch so ein Zeichen an die FDP, von der Kraft lange hoffte, sie würde sich zu einer Ampelkoalition bereitfinden. Jetzt wird aber erst einmal schön Opposition gemacht bei den Liberalen, was mit der Verweigerung eines Blumenstraußes an die Gewählte begann. Die Linken übrigens konnten sich zu einem Blumenstrauß durchringen.

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Deren Fraktionschef Wolfgang Zimmermann steht am Ende des Alphabets und durfte die letzte Stimme abgeben. Zimmermann und die Linken stellen sich auch vor, das letzte Wort zu haben in diesem Land. Am Donnerstag werden sie ihr eigenes Gesetz einbringen zur Abschaffung der Studiengebühren, das Ende der Gebühren käme dann schneller, als es Grüne und SPD für möglich halten. Ob die Linken denn dem Gesetzesantrag der Koalition zustimmen werden, bevor die Abschaffung ganz scheitert? "Lassen sie sich überraschen", sagt die Fraktionschefin Bärbel Beuermann. Das ist offenbar ihre Agenda, unberechenbar zu sein, die Koalition von sich abhängig zu machen.

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Kurz vor der Wahl von Kraft steht die Linke-Fraktion plötzlich gemeinsam auf von ihren Plätzen, um sich in einer Ecke des Plenarsaals zu beratschlagen, so wie Pfadfinder beim Geländespiel. Bei der SPD schauen schon die ersten ganz verwirrt, haben Angst, dass sich die Linken nun vielleicht rächen wollen, weil man ihre Parlamentsvizepräsidentin hat durchfallen lassen im ersten Wahlgang. SPD-Fraktionschef Norbert Römer steht nach dem ersten gescheiterten Wahlgang bei den Linken, redet mit deren Chef Zimmermann, und als er zurückkommt, sieht es von der Besuchertribüne so aus, als würden er und Kraft sich abklatschen, ganz leicht nur.

Die CDU hat sich schnell verzogen von der kleinen Siegesfeier. Vor der Tür des Landtags steht der ehemalige Integrationsminister Armin Laschet und raucht. Sein Fahrer fährt den Audi A8 zu den Parkplätzen, er glänzt in der Sonne. Der ehemalige Minister hat den Wagen erst einen Tag vor seiner Ablösung bekommen und muss ihn nun an seine grüne Nachfolgerin weitergeben. Laschet zieht an seinem Zigarillo und sieht dem Wagen nach.

© SZ vom 15.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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