Die Sonne bescheint die Altbaufassaden, vor den Cafés schlürfen entspannte Menschen ihren Macchiato, auf dem Wochenmarkt längt sich die Schlange am Bio-Bäcker. Wo, wenn nicht im Viertel um den Düsseldorfer Fürstenplatz, finden die Grünen noch ihre Wähler? Das Hybrid-Wahlkampfauto der Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann stoppt an einem der gleich zwei Stände, mit denen die Grünen die Zugänge zum Markt besetzen. Mit dem Taxi kommt die Bundes-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, der Obsthändler wünscht: "Hoffentlich klappt's". Dann geht es los zum Klingelputzen, Göring-Eckardt an den geraden, Löhrmann an den ungeraden Hausnummern, und oben im vierten Stock hat sie Glück. "Ich habe Sie gestern im Fernsehen gesehen, und jetzt stehen Sie vor der Tür", sagt die Bewohnerin. "Gut" habe Löhrmann ihr gefallen bei der TV-Runde der NRW-Spitzenkandidaten, "so schlagfertig". Unten auf dem Markt beugt sie sich hinunter zu einem Jungen: "Wie ist es bei dir auf der Schule?" "Gut", flüstert der Kleine. Löhrmann blickt zu den Umstehenden: "Sehen Sie, wenn man die Kinder fragt . . . "
"Mein Haushaltsvorstand hat mir verboten, grün zu wählen", sagt ein junger Vater mit Kinderwagen
Außerhalb der grünen Blase sieht es freilich nicht ganz so gut aus. "Mein Haushaltsvorstand hat mir verboten, grün zu wählen", sagt ihr ein junger Vater mit Kinderwagen. Seine Ehefrau sei Grundschullehrerin und fühle sich mit der Inklusion förderbedürftiger Kinder alleingelassen. Zuständig dafür: die grüne Schulministerin. Löhrmann verweist auf die Kommunen und darauf, dass Rot-Grün mehr Lehrer eingestellt habe, zunächst vergeblich. Die Skepsis des Wählers wird nicht kleiner.
Nordrhein-Westfalens Grüne haben tatsächlich ein Problem: "Die Umfragen könnten besser sein", sagt Parteichef Sven Lehmann am Sonntag auf einem Delegiertentreffen der Landesgrünen in Bochum. Es ist zwar zuletzt wieder ein bisschen aufwärts gegangen, aber zwischenzeitlich näherten sich die Werte bedrohlich der Fünf-Prozent-Hürde. Die Parteispitze gießt die sie erschreckende Vision, dass "die Grünen den Wiedereinzug in den Landtag nicht schaffen", sogar in einen einstimmig gebilligten Aufruf, darin fett gedruckt: "Es kann auf ganz wenige Stimmen ankommen." Sogar auf ihrem Schlussplakat pfeift sich die Partei Mut zu: "Wir haben nichts zu verlieren außer der Zukunft." Um die eigene müssen die Grünen fürchten, weil auch die SPD und deren Ministerpräsidentin Hannelore Kraft im Kopf-am-Kopf-Rennen mit dem CDU-Herausforderer Armin Laschet um jede Stimme kämpft.
"Man kann auch im Gegenwind die Segel korrigieren", ruft Löhrmann ihren Parteifreunden zu. Das Notmanöver ist nun eine Wahlaussage, auf welche die Grünen bisher verzichten zu können glaubten: Man werde weder CDU noch FDP zur Macht verhelfen, mit Laschet "kann ich mir keine Zusammenarbeit vorstellen", sagt Löhrmann. Damit legt sich die Partei kurz vor der Wahl auf Rot-Grün fest, doch von einer Mehrheit ist die bisherige Regierungskoalition allen Umfragen zufolge weit entfernt.
Und das liegt demnach auch an der Spitzenkandidatin. Löhrmanns persönliche Beliebtheitswerte stecken tief im Minus, sogar bei den eigenen Anhängern sind sie nur mau. Die Schulministerin bekommt allen Ärger zu spüren, den es an Schulen gibt: Unterrichtsausfall, die Inklusion lernbehinderter Kinder in die Regelschulen und nicht zuletzt die Frage, ob es in acht oder neun Jahren zum Abitur gehen soll. Lange hat die Schulministerin die Emotionen unterschätzt, die das von der Vorgängerregierung geerbte Turbo-Abitur weckte. Es hat ihr auch nicht geholfen, dass die Ministerpräsidentin immer deutlicher die Geduld mit ihrer Koalitionspartnerin verlor. So verkündete Kraft, nicht die Schulministerin, im vergangenen Sommer ein Zwei-Milliarden-Programm zur Sanierung maroder Schulen durch die Kommunen.
Dazu kamen Pannen im Wahlkampf. In Bocholt klingelte Löhrmann vor örtlichen Pressevertretern bei einem Mann, der sich überrascht gab - aber tatsächlich der auf den Besuch vorbereitete Bruder der örtlichen Grünen-Kandidatin ist. Ein paar Wochen zuvor wurde Löhrmann fotografiert, als sie vor einem Wahlkampftermin aus ihrer Ministerlimousine in den grünen Hybrid umstieg. Sie habe damit vorbildlich Dienstwagen und Parteiauto unterschieden, twitterte sie zu ihrer Verteidigung. Mancher Ministerkollege reagierte vergrätzt auf diese demonstrative Tugendhaftigkeit. Schließlich wird in Ministerdienstwagen in Fahrtenbüchern festgehalten, wer für welche Fahrt aufkommen muss.
Auf dem Düsseldorfer Fürstenplatz hat Löhrmann doch noch ein Argument für den Mann der Grundschullehrerin: "Wir wollen Grundschullehrer besser bezahlen." Das überzeugt offenbar, der Mann nickt: "Ich werde das daheim vortragen."