Nach allem, was man weiß, hat Julian Assange nicht einen einzigen Tag seines Lebens in Ecuador verbracht. Für die Präsidentenwahl in dem Andenstaat dürfte er sich trotzdem so sehr interessiert haben wie für kaum etwas anderes. Denn sie war auch eine Abstimmung über das Schicksal des australischen Whistleblowers.
Der Sieger stand erst am späten Sonntagabend (Ortszeit) fest: Lenín Moreno, der Kandidat des linken Regierungslagers, hat laut Wahlkommission mit 51 Prozent die Stichwahl hauchdünn gewonnen. Für Assange bedeutet das: Sein politisches Asyl ist vorerst gesichert.
Assanges Schicksal war zwar mitnichten das zentrale Thema des Wahlkampfs. Den Ecuadorianern selbst ging es vor allem um die Frage, ob die sozialistische Politik des bisherigen Präsidenten Rafael Correa fortgesetzt wird - oder aber Steuern und Regierungsausgaben gesenkt werden sollen, wie es der oppositionelle Kandidat Guillermo Lasso versprochen hat.
Doch für Assange ging es persönlich um sehr viel. Das weiß man spätestens seit einem Interview, das eben jener oppositionelle Kandidat Lasso im Februar dem britischen Guardian gab.
Eine lange Zitterpartie endet
Darin hatte er angekündigt, im Falle eines Wahlsieges werde er Assange "freundlich bitten", die ecuadorianische Botschaft in London binnen 30 Tagen zu verlassen. In dem Gebäude mit der roten Fassade im noblen Stadtteil Knightsbridge lebt der Whistleblower seit Juli 2012.
Die schwedische Justiz wirft Assange unter anderem Vergewaltigung vor, doch er argumentiert, das sei ein Vorwand. Weil er als Chef der Enthüllungsplattform Wikileaks zahlreiche sensible Dokumente von US-Behörden enthüllte, fürchtet er seine Auslieferung in die USA. Die ecuadorianische Regierung hielt die Begründung für gerechtfertigt und gewährte ihm daraufhin Asyl.
Mit der Wahl am Sonntag endet eine lange Zitterpartie für die Ecuadorianer und für Assange. Zunächst hatte es so ausgesehen, als könnte der Kandidat des linken Regierungslagers, Lenín Moreno, schon im ersten Wahlgang Mitte Februar siegen. Mit 39 Prozent verfehlte er die erforderliche Marke von 40 Prozent nur knapp. Sein Herausforderer Lasso landete abgeschlagen bei 28 Prozent.
In den Wochen danach aber gelang es Lasso, die Opposition hinter sich zu versammeln. Er sicherte sich zum Beispiel die Unterstützung der Christsozialen Partei, deren Kandidatin Cynthia Viteri im ersten Wahlgang auf 16 Prozent gekommen war.
Zwischenzeitlich sahen die Umfrageinstitute Lasso vorn. Das renommierte Wahlforschungsinstitut Cedatos sah auch in einer ersten Prognose Lasso in Führung, das Meinungsforschungsinstitut Perfiles de Opinion hingegen Moreno.
Seit Monaten wird über das Ende von Assanges Asyl spekuliert
Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird bereits seit Monaten darüber spekuliert, dass Assanges Asyl bald enden könnte.
Der ecuadorianische Außenminister Guillaume Long hat mehrmals betont, dass der Aufenthalt Assanges in der Londoner Botschaft eine große Belastung ist, für den Whistleblower selbst wie für die Mitarbeiter. Das Gebäude wird von britischen Polizisten, Geheimdienstlern und Journalisten belagert. Assange bezeichnet das Verhältnis zu den Botschaftsmitarbeitern als "familiär", es soll aber auch schon zu Reibereien gekommen sein.
Im US-Präsidentschaftswahlkampf, als Wikileaks sensible E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampfmanager veröffentlichte, stellten die ecuadorianischen Diplomaten Assange das Internet ab. Außenminister Long erklärte den Schritt so: "Wir wollten sicherstellen, dass von unserem souveränen Staatsgebiet aus nichts unternommen wird, um sich in die Wahl eines anderen Staatsgebietes einzumischen."
Assange selbst hätte ja im Prinzip nichts dagegen, wenn er die Botschaft bald verlassen könnte. Im Gegenteil. Seit Juli 2012 lebt er nicht nur in dem Gebäude, er hat es seitdem Berichten zufolge auch kein einziges Mal verlassen. Die britische Polizei würde ihn vermutlich sofort festnehmen, wenn er es täte. Mehrfach klagte er darüber, dass der Aufenthalt in der Botschaft, die nicht einmal einen Garten hat oder einen Hinterhof, einer Haft gleichkomme. Im November wurde Assange intensiv von einem schwedischen Staatsanwalt befragt. Im Januar, nach Barack Obamas Begnadigung der Whistleblowerin Chelsea Manning, teilte Assange mit, er sei bereit, sich einem Gerichtsverfahren in den USA zu stellen, wenn dort seine Rechte respektiert würden.