Wagner-Chef:Eine Provokation zu viel

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Dieses von Prigoschins Pressedienst zur Verfügung gestellte Videostandbild zeigt den Chef der Söldnertruppe Wagner an einem unbekannten Ort während einer Erklärung per Video. (Foto: /Prigozhin Press Service/AP/dpa/dpa)

Zunächst waren Putin die Söldner im Kampf gegen die Ukraine willkommen. Doch dann forderte ihn der Wagner-Chef heraus.

Von Frank Nienhuysen

Er war auf dem Weg ins russische Machtzentrum. Aber auf halber Strecke nach Moskau hat Jewgenij Prigoschin dann doch abgedreht. Womöglich erschien ihm die Lage zu aussichtslos. "Unsere Kolonnen kehren um und gehen in die entgegengesetzte Richtung zurück zu den Feldlagern", sagte Prigoschin Ende Juni, als er mit seinem versuchten Aufstand weltweit die Aufmerksamkeit auf sich zog. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko präsentierte sich als Vermittler, der nach Absprache mit Kremlchef Wladimir Putin mit Prigoschin gesprochen und eine Vereinbarung ausgehandelt habe. Die Wagner-Kämpfer, von denen 5000 im Konvoi auf dem Weg nach Moskau gewesen sein sollen, erhalten demnach eine Sicherheitsgarantie. 5000 Kämpfer hätten sicher nicht gereicht, um einen Machtkampf gegen die russische Armeeführung zu gewinnen. Auch tschetschenische Truppen des Republikchefs Ramsan Kadyrow waren bereits auf dem Weg, um die Wagner-Söldner aufzuhalten.

Prigoschin war aufs Ganze gegangen mit seinem Marsch auf die Hauptstadt, dem Aufstand gegen die Armeeführung, dem Machtkampf gegen den Verteidigungsminister. Letztendlich auch gegen Putin. Der hatte den bewaffneten Aufstand des mächtigen Söldnerchefs als "Verrat" verurteilt. Und "Verräter", so sagte er da, müssten bestraft werden. Putin wollte nichts weniger als einen Bürgerkrieg abwenden.

Monatelange Provokationen

Der Aufstand der Söldner wurde schließlich beigelegt durch eine Vereinbarung, die der Putin-Freund und Präsident von Belarus, Lukaschenko, eingefädelt hatte. Prigoschin und seine Truppe sollten sich nach Belarus zurückziehen. Im Gegenzug würde ein Strafverfahren gegen ihn wegen bewaffneter Meuterei fallengelassen. Über die Umsetzung der Vereinbarung gab es immer wieder Verwirrung. Fünf Tage nach der Meuterei soll Prigoschin an einem Treffen mit Putin teilgenommen haben. Ende Juli wurde er in Sankt Petersburg fotografiert, als dort ein Russland-Afrika-Gipfel stattfand. Und Anfang dieser Woche erschien er in einem Video, das angeblich in Afrika aufgenommen wurde.

Seit Monaten hatten Prigoschin und die Kommandeure seiner Wagner-Truppe die russische Armeeführung herausgefordert, anfangs waren es noch kleinere Dosen, Klagen über fehlende Munition und mangelnde Wertschätzung. Später eskalierte der Machtkampf. Prigoschin griff Verteidigungsminister Sergej Schojgu an und auch Generalstabchef Walerij Gerassimow. Er sagte, dass die Militärführung gegen die Ukraine versage, geradezu unfähig sei.

Persönlicher Machtkampf

Zuletzt spitzte sich das Duell zu: Prigoschin warf der Armeeführung vor, sie habe Prigoschins Stellungen bombardiert und viele seiner Kämpfer getötet. Er sagte dies, nachdem das Verteidigungsministerium ein Ultimatum gestellt hatte: Alle paramilitärischen Einheiten, im offiziellen Beschönigungssprech "Freiwilligeneinheiten" genannt, müssten bis zum 1. Juli dem Ministerium unterstellt werden. Prigoschin widersetzte sich, antwortete, er werde sich nicht beugen. Und Putin konnte sich nicht mehr heraushalten.

Es war in Russland ein offenes Geheimnis, dass die kurzfristige Anordnung des Ministeriums in erster Linie darauf abzielte, Prigoschin und seine Wagner-Söldner unter Kontrolle zu bringen. Bis zu 50 000 Kämpfer sollen nach westlichen Schätzungen dem Kommando Prigoschins unterstehen. Prigoschin selbst sprach kurz vor dem Putschbeginn gegen die Armeeführung von 25 000 Kämpfern. Was einmal als militärische und für Moskau willkommene Ergänzung begonnen hatte, war da längst zu einem fast persönlichen Machtkampf geworden, und Prigoschins Ton schärfer und schärfer.

Ein paar Tage vor dem Aufstand hatte der Söldnerchef das Verteidigungsministerium und Minister Schojgu beschuldigt, die russische Bevölkerung mit Lügen in die Irre zu führen. Die ukrainischen Erfolge seien deutlich größer als von Moskau eingeräumt. Es seien große Gebiete verloren. Er sagte sogar: "Eines Tages wird Russland aufwachen und erkennen, dass die Krim an die Ukraine übergeben wurde."

Später ging er mit einer neuen Tirade noch deutlich weiter: Prigoschin bezeichnete die russische Invasion in die Ukraine als völlig ungerechtfertigt, weil die Ukraine gar nicht die Absicht gehabt habe, Russland mit Hilfe der Nato anzugreifen. "Das Verteidigungsministerium betrügt die Öffentlichkeit und den Präsidenten", sagte er in einem seiner regelmäßigen Telegram-Videos und machte es für den Tod Abertausender russischer Soldaten allein in den ersten Kriegstagen verantwortlich. Er schoss mit Worten gegen Verteidigungsminister Schojgu, und obwohl er ihn persönlich nicht nannte, traf er damit auch den Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte: Wladimir Putin. Und Kommentatoren meinten stets, dass der Wagner-Chef seine Kritik mit dem Leben bezahlen werde. Wie andere Kritiker Putins zuvor.

Der Söldnerchef war in Russland dauerpräsent, vor allem auf Telegram

Das britische Verteidigungsministerium hatte das Offensichtliche so zusammengefasst: Prigoschin habe die Autorität der offiziellen Militärbehörden untergraben. Vielleicht hatte Prigoschin da schon gedacht, dass er nicht mehr zurückkönne, dass er den begonnenen Machtkampf gegen Schojgu gewinnen müsse, um vielleicht selbst Armeechef zu werden. "Schojgu vs. Prigoschin" titelte die ins Exil gedrängte russische Zeitung Nowaja gaseta Europa.

Jahrelang hatte Russland private Militärverbände bewusst in einer undefinierten Grauzone gehalten und so auch Prigoschins Wagner-Truppe geschützt. So konnte Moskau etwa verdeckte Einsätze im Ausland offiziell leicht dementieren. Die Wagner-Truppe, mehrere Zehntausend Kämpfer stark, beteiligte sich in Syrien, in Mali, Zentralafrika, Libyen, und auch in der Ukraine. Obwohl Moskau Teil dieses gemeinsamen Militär- und Geschäftsmodells um politischen Einfluss war - stets konnte der Kreml sich herauswinden, sagen, er wisse von nichts, russische Soldaten seien nicht beteiligt. Mit dem Feldzug gegen die Ukraine hat sich das geändert. Die Beteiligung der Wagner-Truppe an den Kämpfen wurde offiziell.

Bekannt war Prigoschin aber auch als skrupelloser Unternehmer mit krimineller Vergangenheit. Er und Putin kannten sich lange. Als der heutige Präsident noch in der Sankt Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb ist der Russe, der mehrere Jahre wegen Raubes in Haft saß, auch als "Putins Koch" bekannt.

Der Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf soll sich mit seiner auf Desinformation spezialisierten Internet-Trollfabrik 2020 auch in die US-Präsidentenwahl eingemischt haben. Deshalb haben ihn die Vereinigten Staaten zur internationalen Fahndung ausgeschrieben. Die Wagner-Truppen gelten im Westen als "Terrororganisation", verantwortlich für Kriegsverbrechen in vielen Ländern.

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