Waffenembargo gegen Libyen: Das Beispiel Bosnien:Waffen finden immer ihren Weg

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Die Nato hat entschieden: Die Rebellen in Libyen bekommen keine Gewehre und Raketen - zumindest offiziell. Doch Waffenembargos können unterlaufen werden. Wie das geht, erklärt Edis Kolar, der im Bosnienkrieg Waffen schmuggelte.

Paul Katzenberger

Die Nato hat entschieden, zumindest offiziell keine Waffen an die libyschen Rebellen zu liefern. Allerdings haben Amerikaner und Briten schon seit Wochen Agenten ihrer Geheimdienste CIA und MI6 im Land. Sie sollen sondieren, ob den Aufständischen nicht doch mit Waffen- und Geldlieferungen unter die Arme gegriffen werden könnte. Auch im Bosnienkrieg (1992 - 1995) bestand ein Waffenembargo, das die Muslime bis heute empört. Denn sie standen der hochgerüsteten Armee der bosnischen Serben (Vojska Republike Srpske , VRS ) zunächst nahezu wehrlos gegenüber. Besonders prekär war die Situation in Sarajewo, das von der VRS knapp vier Jahre eingekesselt und beschossen wurde. Dass Sarajewo nicht in die Hände der Serben fiel, verdankt die Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas auch einem 800 Meter langen Tunnel, den die Armee der bosnischen Muslime Anfang 1993 innerhalb von vier Monaten baute. Der "Tunnel der Rettung", durch den Waffen aller Art kamen, verband die eingeschlossene Bevölkerung mit dem von den Muslimen kontrollierten - und frei zugänglichen - Stadtteil Butmir. Zu den damaligen Verteidigern Sarajewos gehörte auch Edis Kolar, 35, neben dessen Geburtshaus der Eingang des Tunnels gegraben worden war.

Edis Kolar: "Wir hatten Waffen, die irgendwo hergekommen sein müssen." (Foto: Paul Katzenberger)

sueddeutsche.de: Herr Kolar, Sie haben im Bosnienkrieg Waffen durch einen Tunnel nach Sarajewo geschafft. Sind Sie der Retter Sarajewos?

Edis Kolar: Wir haben Sarajewo wegen dieser Waffen verteidigen können, natürlich.

sueddeutsche.de: Wie viele Leute haben an diesem Tunnel gebaut?

Kolar: Es waren ungefähr 150. Unter ihnen waren auch mein Vater und ich.

sueddeutsche.de: Wie viele Waffen haben Sie durch diesen Tunnel während der knapp vierjährigen Belagerung Sarajewos geschafft?

Kolar: Nicht sehr viele. Eine sehr geringe Zahl, glauben Sie mir. Vielleicht alle zwanzig Tage bestand eine Lieferung aus Waffen. Nicht mehr. Ansonsten bestanden die Transporte aus Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Waren, die in der Stadt gebraucht wurden.

sueddeutsche.de: War der Tunnel dann überhaupt für die Verteidigung der Stadt notwendig?

Kolar: Auch wenig Kriegsgerät reicht aus, um eine Stadt zu verteidigen, wenn Sie eine stark abgesicherte Front mit Bunkern haben. Unsere Front war in den Gebäuden. Sie war sehr schwer für den Feind zu erobern. Wir haben ja auch unsere Familien verteidigt. Das ist schon etwas völlig anderes, als wenn Sie als Okkupant neues Gebiet einnehmen, dann brauchen Sie viel mehr Waffen.

sueddeutsche.de: Welche Art von Waffen haben Sie befördert?

Kolar: In der Regel waren es leichte Waffen: Kalaschnikows, Panzerfäuste und Munition. Was wir an schwerer Artillerie oder an Panzern hatten, haben wir von den Serben erbeutet. Aber wir konnten keine Panzer oder Kanonen in die Stadt schmuggeln.

sueddeutsche.de: Gab es andere Optionen, Gewehre nach Sarajewo zu schaffen?

Kolar: Nein, das war die einzige Möglickeit. Rundherum waren überall die Serben. Es gab keine Chance, irgendetwas in die Stadt zu bekommen, außer durch den Tunnel.

sueddeutsche.de: Woher hatten Sie Ihr Kampfwerkzeug?

Kolar: Das weiß ich nicht genau. Ich kann nur sagen, was ich gehört habe. Zum Teil auch von den Deutschen ( lacht).

sueddeutsche.de: Das heißt, die Deutschen haben Ihnen trotz des Embargos Waffen verkauft?

Kolar: Ich weiß nicht genau, wie das damals funktioniert hat. Vielleicht haben die Deutschen ihre Panzerfäuste an Brasilien verkauft, von dort gingen sie nach Rumänien, die Rumänen verkauften sie an die Ungarn und die Ungarn schließlich an die Bosnier. Das ist jetzt nur ein Beispiel. Das Land, das uns die Waffen verkauft hatte, musste in der Regel keine Konsequenzen wegen des Embargos fürchten, aber die deutsche Regierung hat vermutlich davon gewusst.

sueddeutsche.de: Was bringt Sie zu dieser Annahme?

Ein übermaltes Werbeplakat für die Olympischen Winterspiele in Sarajewo 1984 zeigt die Einkesselung der Stadt von 1992 bis 1995 (Offiziell endetete die fast vierjährige Belagerung von Sarajewo durch serbische Truppen erst am 29. Februar 1996). Die roten Flächen stehen für das von den Serben kontrollierte Gebiet, die weißen Flächen für die Gebiete unter Kontrolle der Muslime. Der weiße Korridor in der Bildmitte stand unter der Verwaltung der Vereinten Nationen und war wegen serbischen Beschusses nicht passierbar. Dort verlief der "Tunnel der Rettung". (Foto: Paul Katzenberger)

Kolar: Wir hatten viele Sachen aus Ostdeutschland. Meine Uniform war beispielsweise von dort. Aber wir haben von überall her Kampfmittel bekommen, aus Bulgarien, Ungarn, Slowenien und Österreich. Das Geld dafür stammte wahrscheinlich aber überwiegend aus islamischen Ländern.

sueddeutsche.de: Die bosnischen Muslime bekamen ihre Gewehre und Patronen also über den illegalen internationalen Waffenhandel?

Kolar: Legal. Illegal. Was heißt das schon in dieser Situation? Offiziell durfte uns niemand Rüstungsgüter verkaufen, aber hat damals jemals jemand ein Containerschiff aus Iran gesehen, das uns Kalaschnikows geliefert hat? Natürlich nicht, weil es das nicht gab. Und trotzdem hatten wir Waffen, die irgendwo hergekommen sein müssen.

sueddeutsche.de: Das ist wohl kaum von der Hand zu weisen.

Kolar: Wahrscheinlich war sogar die amerikanische Regierung involviert, und die kroatische. Manche Leute glauben noch heute, dass uns die Saudis direkt Waffen geliefert haben, doch das war unmöglich. Allerdings hat Saudi-Arabien wahrscheinlich einem anderen Land Geld gegeben, diese Gelder flossen dann an ein weiteres Land, und am Schluss bekamen wir Waffen. Das war wahrscheinlich ihre Spende an uns. Aber Sie werden darüber heute nirgends offizielle Dokumente finden.

sueddeutsche.de: Was denken Sie heute über das damalige Waffenembargo durch die Vereinten Nationen?

Kolar: Es war natürlich ein Fehler. Aber wir wissen auch, dass es in der internationalen Gemeinschaft Länder gibt, die immer gegen alles sind. Die Russen waren zum Beispiel niemals auf unserer Seite, sondern immer auf der Serbiens. Ganz egal, was die Serben machen, die Russen unterstützen sie, sogar heute noch.

sueddeutsche.de: Die Russen sind alleine schuld?

Kolar: Wir sind damals in den alten Ost-West-Konflikt hineingeraten. Es bestand ein Interessenkonflikt zwischen der Nato und Russland. Und wir waren mittendrin. Die Serben baten ihren traditionellen Verbündeten Russland um Hilfe, und die Kroaten und wir wandten uns an die Nato.

sueddeutsche.de: Das ist nicht der schlechteste Verbündete.

Kolar: Das Problem für uns bestand darin, dass Jugoslawien zuvor ein kommunistisches Land gewesen war, und das Einflussgebiet der Nato noch nicht einmal nach Kroatien reichte. Und natürlich hatten die Russen kein Interesse an einer Ausdehnung der Nato. Zu Beginn des Bosnienkrieges 1992 haben wir dass noch nicht verstanden, doch heute ist mir die damalige Konstellation völlig klar.

sueddeutsche.de: Im Bosnienkrieg kämpften ja auch ausländische Söldner auf der Seite der Muslime, die aus allen möglichen Ländern kamen, auch aus islamischen Ländern. Denken Sie, dass dies ein Grund für das Waffenembargo gewesen sein könnte?

Kolar: Das weiß ich nicht. Doch die Zahl der Söldner in Bosnien war verhältnismäßig gering und die meisten von ihnen hatten zuvor in Westeuropa gelebt. Es gab bei uns natürlich Kämpfer, die wie fundamentalistische Moslems aussahen, doch die meisten von ihnen stammten von hier.

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