Vorwahl der US-Demokraten:Wie Hillary Clinton mit Mini-Schritten Geschichte schreibt

Hillary Clinton Holds Get Out The Vote Rally In Delaware

Hillary Clinton am Montag vor Anhängern in Delaware

(Foto: AFP)

Dank einer Kombination aus Detailwissen und Disziplin wird Clinton wohl als erste Frau fürs Weiße Haus nominiert. Begeisterung löst das nicht aus, doch die Demokratin sagt: So bin ich.

Von Matthias Kolb, Philadelphia

Hillary Clinton hört zu. Sie sitzt in der St. Paul Baptist Church und hört zu, als Tanya Brown-Dickerson berichtet, wie Philadelphias Polizei ihren Sohn Brandon Tate-Brown bei einer Verkehrskontrolle erschoss und sich anschließend in Widersprüche verwickelte.

Clinton schüttelt traurig den Kopf, als Nicole Bell schildert, wie New Yorker Cops Stunden vor ihrer Hochzeit 51 Kugeln auf das Auto abfeuerten, in dem ihr Verlobter Sean saß - und dass der Schmerz nach zehn Jahren nicht nachlässt. Nicole Bell gehört zu den "Mothers of the Movement", die die Demokratin unterstützen und dafür sorgen wollen, die Waffengesetze zu verschärfen.

Dieser Event ist typisch für die Strategie, mit der Clinton zur ersten US-Präsidentin werden und damit Geschichte schreiben will. Zielgruppe (Afroamerikaner) und Thema (Waffen-Epidemie) sind klar definiert; der Rahmen ist mit 150 Zuhörern überschaubar. Die meisten sind Aktivisten und tauschen beim Warten Visitenkarten aus.

Wie ernst sie die Multiplikatoren nimmt, beweist Clinton mit Detailkenntnis über örtliche Begebenheiten: "Am Wochenende sind in Philadelphia vier Menschen erschossen worden, darunter ein vierjähriges Mädchen. Es gibt einfach viel zu viele Waffen in unserem Land."

"Ungeliebt und nicht aufzuhalten"

Die Schwarzen werden der 68-Jährigen am Dienstag zu Erfolgen in Pennsylvania, Maryland sowie den kleineren Staaten Delaware, Rhode Island und Connecticut verhelfen: Neben Latinos und älteren Weißen bilden sie die Clinton-Koalition. "Ungeliebt und nicht aufzuhalten", so bilanziert der Economist die Lage der früheren First Lady. Ihr Rivale Bernie Sanders wird von Zehntausenden bejubelt (mehr hier), doch der Senator müsste von nun an in jeder einzelnen Vorwahl etwa sechzig Prozent der Stimmen erhalten.

Die Bernie-Begeisterung unter jungen Amerikanern wird also nicht verhindern, dass Clinton Mitte Juli zur Präsidentschaftskandidatin nominiert wird: "Hier in Philadelphia, der Stadt, aus der mein Schwiegersohn stammt." 2000 Menschen jubeln, als Clinton dies in der Konzerthalle "The Fillmore" ausruft - für sie eine stattliche Zahl. Doch auch wenn an diesem Abend mitunter etwas Euphorie aufkommt, ist der Unterschied zu ihren - möglichen - Vorgängern unübersehbar.

"Dies alles ist nicht leicht für mich. Wer es nicht bemerkt hat: Anders als mein Mann oder Barack Obama bin ich kein geborener Politiker", sagte sie Anfang März in Florida. Das unterscheidet sie auch von Bernie Sanders: Er mag die großen Auftritte und zieht aus jedem Auftritt vor College-Studenten neue Kraft, wenn er einen höheren Mindestlohn sowie kostenlose Unis fordert und die wachsende soziale Ungleichheit anprangert.

Neben ihrer enormen Disziplin hat Hillary Clinton bei ihrem zweiten Anlauf dies wohl am stärksten geholfen: Sie ist selbstsicherer und weiß besser, wer sie ist und was sie kann. "Ich höre am liebsten zu, weil ich dabei am meisten lernen kann", sagte sie dem "Off the Message"-Podcast von Politico. In dem erstaunlich offenen Interview spricht Clinton über den aktuellen Wahlkampf voller Simplifizierungen: Sie weiß natürlich, dass ihre mit Daten gespickten Reden anders wirken als die Auftritte von Sanders und Donald Trump. Dies sei aber der Weg, den sie bevorzuge: "Wir erreichen so bessere Ergebnisse."

Ergebnisse, Lösungen, Resultate, diese Worte benutzt Clinton ständig. Um sich vom "demokratischen Sozialisten" Sanders abzusetzen, ohne dessen Agenda abzuwerten, sagt die 68-Jährige nun: "Es reicht nicht aus, die Probleme nur zu diagnostizieren. Man muss sie auch lösen können."

Sie wirbt dafür, mit ihrer Erfahrung als Senatorin und Ministerin jene Reformen fortführen zu können, die Obama begonnen hat. Wie der unter Demokraten weiterhin extrem populäre US-Präsident ist Clinton Pragmatikerin, die nicht an eine "politische Revolution" (so das Sanders-Motto) glaubt: Verbesserungen lassen sich eher in Mini-Schritten erreichen.

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