US-Vorwahl:Sanders macht Fehler - und braucht die Sensation

  • Ginge es nach Begeisterung und Anzahl der Anhänger, wäre Bernie Sanders bei der Vorwahl im US-Bundesstaat New York klar überlegen.
  • Allerdings finden viele seiner Fans nicht den Weg an die Wahlurnen.
  • Der "demokratische Sozialist" hat zuletzt einige Fehler gemacht, von denen Hillary Clinton profitiert.

Von Matthias Kolb, New York

Den Rekord von Brooklyn kann Queens nicht überbieten. 28 356 Menschen hatten Bernie Sanders am Wochenende im Brooklyner Prospect Park zugejubelt, 27 000 waren es zuvor in Manhattan und nun versammeln sich kurz vor der New Yorker Vorwahl 8500 Bürger am Hudson River. Sie feiern den 74-jährigen Senator aus Vermont, das multikulturelle New York und sich selbst. Hipster liegen auf Picknick-Decken, Kinder tanzen übers Gelände, und fast alle fotografieren sich gegenseitig.

Besonders beliebt ist ein Pappaufsteller, der Sanders mit Sonnenbrille zeigt - und unter seinem Arm klemmt ein plärrendes Donald-Trump-Baby. "Trump ist in Queens geboren, Bernie ist Queens" lautet ein anderer Slogan. Auf dem Plakat von Ozun Saran steht: "Queens hat 138 Sprachen, die alle ein gemeinsames Wort haben: Bernie." Die 30-jährige Saran arbeitet an der Wall Street, aber sie findet trotzdem, dass Bildung niemanden ruinieren sollte.

Die 23 Jahre alte Brianna Adkins ist großer Bernie-Fan, weil er "dafür sorgen will, dass die USA mehr wie Deutschland werden". Die Studentin hat einige Monate in Konstanz gelebt und kann nicht fassen, dass Millionen US-Bürger weiter keine Krankenversicherung haben. Mit der großen Favoritin Hillary Clinton, die wohl in New York siegen wird, können beide wenig anfangen. "Ich vertraue ihr nicht, sie hat zu oft ihre Meinung gewechselt", sagt Saran.

Ginge es nach Begeisterung und Anzahl der Event-Besucher, dann wäre die Ex-Außenministerin chancenlos gegen den "demokratischen Sozialisten". Dessen Aufstieg aus dem Nichts zum ernsthaften Clinton-Rivalen würde alle Schlagzeilen beherrschen, wenn die Welt nicht über die allgegenwärtige Trump-Show staunen würde. Auch in Queens jubeln nicht nur einige Dutzend streikende Verizon-Arbeiter, als der in Brooklyn geborene 74-Jährige einen Mindestlohn von 15 Dollar fordert und über die gierigen Banker schimpft. Das Gefühl, dass es ungerecht zugeht in den USA und den Partei-Eliten nicht zu trauen ist - es existiert auch unter Amerikas Linken.

Welche Nachteile Sanders in New York hat

Allerdings finden längst nicht alle Bernie-Fans den Weg an die Urnen. Auch Bankerin Ozun Saran hat es verpasst, sich für die heutige primary zu registrieren (ähnlich wie Ivanka und Eric Trump). Und Brianna Adkins lebt im benachbarten New Jersey. Dass parteiunabhängige Wähler in New York nicht abstimmen dürfen, benachteiligt den Außenseiter aus Vermont ebenso. Dies sind zwei Gründe, wieso Sanders Umfragen zufolge im Empire State zurückliegt und auch bei den bisher gewonnenen Delegierten mit 1094 zu 1307 einen Rückstand hat.

Dass Clinton, die mit ihrem Mann Bill in der Partei seit mehr als 30 Jahren bestens vernetzt ist, die Unterstützung vieler superdelegates hat, regt neben Sanders' Strategen auch seine Anhänger auf. Aber ähnlich wie die Klagen von Donald Trump über die "korrupte Kandidatenkür" bei den Konservativen überzeugt diese Kritik nicht: Die Verfahrensregeln wurden nicht zu Clintons Gunsten geändert, und Sanders hat es bisher nicht geschafft, die Funktionäre und Abgeordneten zu überzeugen. Und obwohl vor allem junge Amerikaner Bernie wählen: Clinton hat bisher 9,4 Millionen Stimmen erhalten, Sanders nur sieben Millionen.

Sanders braucht Sieg in New York

Daher braucht Sanders nicht nur einen Sensationssieg in New York: Er müsste auch jede einzelne der anschließenden Vorwahlen mit mindestens zwölf Prozentpunkten Vorsprung gewinnen, um Clintons Krönung zu verhindern. Doch der 74 Jahre alte Senator hat auch einige Fehler gemacht.

  • Bernie wird immer böser: Sanders hat lange darauf verzichtet, Clinton persönlich zu attackieren und etwa deren E-Mail-Affäre nicht ausgeschlachtet. Doch nun wird es rau: In der letzten TV-Debatte konnte der Senator seine Abneigung nur hinter sarkastischen Sprüchen verbergen. Und in Queens attackiert er nicht Trump, sondern kritisiert Clinton dafür, Spenden von Millionären und Konzernen anzunehmen. Lustvoll fordert er sie auf, die Transkripte jener Reden zu publizieren, die sie vor Banken hielt. "Sie hat 225 000 Dollar von Goldman Sachs bekommen. Das muss eine tolle Rede gewesen sein, mit Shakespeare-artiger Prosa." Der Jubel seiner Fans ist bei solchen Aussagen groß, doch es wirkt auch ein wenig verzweifelt und unsouverän.
  • Klagen über "soziale Ungleichheit" reichen als Botschaft nicht aus: Anders als Trump behauptet Sanders nicht, alle Probleme allein lösen zu können. Es brauche eine "politische Revolution", bei der Millionen Unterstützer den nötigen Druck ausüben, um etwa kostenlose Hochschulbildung durchzusetzen. Sanders benennt viele Probleme der USA glasklar - etwa die enormen Kosten eines Gesundheitssystems, das Millionen außen vor lässt oder eine Wahlkampffinanzierung, die viele Abgeordnete von Lobbyisten abhängig macht. Doch im April 2016 klingt seine Rede fast wie im Oktober 2015 - er wäre gut beraten gewesen, früher konkretere Pläne vorzulegen, mit welchen Argumenten er Mehrheiten für Gesetze finden will, die den Einfluss der Banken und Großkonzerne begrenzen. Der Spruch "Corporate America, ihr werdet nervös werden, wenn Bernie Sanders Präsident ist" begeistert seine Fans, doch viele Wähler wünschen sich mittlerweile mehr Details.
  • Sanders kommt weiterhin nicht gut bei Afroamerikanern an: Der Senator hat in Schauspieler Danny Glover und Rapper Killer Mike prominente schwarze Unterstützer gefunden. Doch obwohl Sanders in jeder Rede eine Polizeireform fordert und darüber klagt, dass schwarze Amerikaner weiter benachteiligt würden und das US-Justizsystem "eine Schande" sei: Mehr als ein Viertel erreicht er selten unter Afroamerikanern. Gerade die Älteren sind den Clintons treu. Dass er in der letzten TV-Debatte andeutete, dass Clintons Erfolge in den Südstaaten weniger wert seien, da dies der konservativste Teil der USA sei, war politisch unklug und anmaßend. Denn auch wenn die Republikaner in Alabama, Georgia oder Mississippi superkonservativ sind, sind dies die schwarzen Demokraten noch lange nicht. Und Clinton siegte dank der Afroamerikaner auch in Illinois, Missouri und Ohio - also in Staaten, die nicht im Süden liegen.

Dass vor allem ältere schwarze Frauen Hillary lieben, wissen die 46-jährige Yvonne Houston und der 42-jährige James Pearson von ihren Müttern. Die beiden Schwarzen fürchten, dass der New Yorker Wahlkampf zu kurz war und viele ihren Helden Bernie gar nicht haben kennenlernen können. Sie werden am Dienstag wählen gehen und sind zuversichtlich, dass Sanders die Sensation schaffen kann. Der Vorsprung von Hillary Clinton sei zuletzt auf sechs Punkte geschmolzen.

In einer Disziplin ist das Sanders-Lager weiterhin überlegen: Der schwarze Regisseur Spike Lee hat ein sehr gelungenes Wahlkampf-Video gedreht, das das New Yorker Lebensgefühl gut trifft.

Und in einem anderen, deutlich kürzeren Clip vergleicht sich Sanders mit dem legendären US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der ebenfalls in New York geboren wurde. Wie FDR werde Sanders "die Banken zerschlagen, Millionen Jobs schaffen und Amerika wieder aufbauen", heißt es. Ob der 74-Jährige weiter davon träumen darf, dabei haben die New Yorker Wähler nun ein gewichtiges Wort mitzureden.

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