Veteranen in Amerika:Ein Tag voller Dankeschöns genügt nicht

Lesezeit: 4 min

Metallica-Frontmann James Hetfield ist nur einer von vielen hochkarätigen Stars, die beim "Concert for Valor" in Washington auftreten. (Foto: AP)

Bei einem Riesen-Konzert verneigen sich Stars wie Bruce Springsteen, Rihanna und Eminem vor Amerikas Ex-Soldaten. Doch im Alltag fühlen sich viele Veteranen allein - und zweifeln, ob sich ihr Einsatz im Irak und in Afghanistan gelohnt hat.

Von Matthias Kolb, Washington

Da ist der 60-jährige Vater, dessen Sohn im Irak getötet wurde, und der als Chirurg zur Navy geht, um anderen Soldaten das Leben zu retten. Da sind die Ex-Marines, die nach dem Erdbeben sofort nach Haiti reisen, um beim Wiederaufbau zu helfen. Da ist der hochdekorierte Soldat, der auf eine Karriere in der Privatwirtschaft verzichtet und stattdessen in einem Problembezirk von Chicago schwarze Kinder unterrichtet. Und da ist Lieutenant Colonel Kellie McCoy, die als erste Frau ein Bataillon anführt und sich trotz ihres Gewichts von lediglich 52 Kilo viel Respekt verschafft.

Sie alle wurden in perfekt produzierten Videoclips beim großen "Concert for Valor" vorgestellt, das am gestrigen Dienstag zu Ehren der amerikanischen Veteranen vor Hunderttausenden Besuchern auf der National Mall in Washington DC über die Bühne ging. Vorgestellt wurden sie von Hollywood-Stars wie Steven Spielberg, Oprah Winfrey, Will Smith oder Reese Witherspoon. Sowohl Barack Obama als auch die First Lady richteten Grußworte an die Soldaten und an das Publikum, das auch wegen des milden Wetters gut gelaunt war.

"Thank you for your service" sagt Rihanna

Das dreistündige "Konzert für Heldenmut" wurde live im Kabelsender HBO sowie kostenlos im Internet übertragen, sodass jeder Amerikaner sehen konnte, wie sich auf der riesigen Bühne direkt vor dem Kapitol ein knappes Dutzend Musiker bei den aktiven und ehemaligen Soldaten bedankte.

Konzert zum Veterans-Day
:The Boss, Rihanna und Metallica lobpreisen die Tapferkeit

Das Staraufgebot beim Gratiskonzert in Washington ist gewaltig. Neben Pop- und Rockstars bedankt sich auch Hollywoods-Schauspielerriege bei Amerikas Soldaten.

Jennifer Hudson sang die Nationalhymne, danach folgten die Country-Ikonen Carrie Underwood und die Zac Brown Band, Bruce Springsteen spielte sowohl allein als auch mit Foo Fighter Dave Grohl. Sie alle priesen die Ex-Soldaten für ihren Einsatz und forderten die Bürger auf, für Organisationen zu spenden, die Veteranen unterstützen. Die Rocker von Metallica wollten ebenso "Thank you for your service" sagen wie Rihanna, deren Auftritt mit einem Duett mit Rapper Eminem endete.

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Das Konzert, das am alljährlichen "Veterans Day" stattfand, geht auf eine Initiative von Howard Schultz, dem Chef der Kaffeekette Starbucks zurück ( mehr über dessen Motivation erfahren Sie in diesem SZ-Artikel). Ihn stört, dass der Feiertag zuletzt von der Bevölkerung vor allem für Shopping-Exzesse genutzt wurde - und nicht dafür, in Zeiten einer Berufsarmee darüber nachzudenken, welche Opfer die Angehörigen des Militärs bringen und welchen Stellenwert sie in der Gesellschaft und in der Politik haben.

Denn wenn nicht gerade Will Smith, Bryan Cranston oder Meryl Streep von ihren Leistungen schwärmen, fühlen sich viele Soldaten, die nach 9/11 für die USA in den Krieg zogen, ziemlich alleingelassen. "An den Feiertagen sind alle immer sehr patriotisch, aber sonst denken die Leute nicht darüber nach, was die langen Auslandseinsätze für Soldaten und ihre Familien bedeuten", sagt die Gattin eines Navy-Soldaten nüchtern.

Gewiss: Im Vergleich zu Deutschland, wo Normalbürger wenig bis keinen Kontakt zu Bundeswehrangehörigen haben, sind US-Soldaten im Alltag präsenter. Sie dürfen am Flughafen als Erste einsteigen, wenn sie Uniform tragen und bekommen stets ein Lächeln und "Danke schön" von den Flugbegleitern. Den Satz "Thank you for your service" sagen viele Amerikaner, wenn sie einen Soldaten sehen, doch es scheint oft eher eine Floskel zu sein als echtes Interesse.

Diese Entfremdung lässt sich mit Zahlen belegen: Im Frühjahr ergab eine Umfrage der "Kaiser Family Foundation", dass 69 Prozent der Veteranen das Gefühl haben, von "den normalen Amerikanern" nicht verstanden zu werden. Neben den Problemen, nach dem Auslandseinsatz wieder in der Heimat zurechtzukommen ( 51 Prozent finden, das Militär biete zu wenig Hilfe) und falls nötig einen Job zu finden, plagen viele Veteranen Zweifel, ob sich das Risiko überhaupt gelohnt hat.

Jeder zweite Irak-Veteran sagte vor einem halben Jahr, der dortige Einsatz habe sich nicht gelohnt - unter den Afghanistan-Kämpfern lag der Wert bei 41 Prozent. Mittlerweile dürften diese Zahlen gestiegen sein, denn im Irak sind die IS-Dschihadisten nicht zu stoppen und Obama hat zuletzt weitere 1500 Militärberater entsandt.

Skandal in Veteranen-Krankenhäusern ist noch immer nicht aufgeklärt

Welch hohen Preis die US-Gesellschaft und viele Veteranen für die Kriege im Irak und in Afghanistan zahlen, ist unübersehbar. Mit 7,2 Prozent ist deren Arbeitslosigkeit höher als der Landesschnitt von 5,8 Prozent; zudem haben es 700 000 aufgegeben, nach einem Job zu suchen. Seit 2001 wurden 364 000 von ihnen wegen einer posttraumatischen Behandlungsstörung (PTBS) behandelt.

Ein Aufschrei der Empörung ging im Frühjahr 2014 durchs Land, als bekannt wurde, dass mindestens 40 Veteranen starben, weil sie nicht rechtzeitig in einem Militär-Krankenhaus behandelt wurden - sie erhielten schlicht keinen Termin. Spätere Untersuchungen zeigten, dass Zehntausende Ex-Soldaten auf Behandlung warten und in mehreren Kliniken Daten gefälscht wurden, um das Versagen zu vertuschen.

Um diese Missstände zu ändern, hat Obama den alten Veteranen-Minister entlassen und mit Robert McDonald den früheren Chef von Procter & Gamble geholt. Dieser verspricht nun, dass die Behörden ihren Kundenservice verbessern werde. Zudem sollten 1000 Mitarbeiter wegen ihres Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden.

Starbucks-Chef Schultz wirbt für Freiwilligendienst

Bisher haben Howard Schultz sowie seine Partner vom Kabelsender HBO und der Chase-Bank betont, dass das "Konzert für Heldenmut" nicht regelmäßig stattfinden soll. Der Starbucks-Chef hofft aber, dass er mit dem Event, einem eigenen Buch und dem großen Medien-Echo etwas angestoßen hat. Das Argument, dass sich sowohl die Politiker als auch die Mittelklasse-Wähler mehr Gedanken über die Notwendigkeit und die Planung von US-Militäreinsätzen machen würden, wenn ihre eigenen Söhne oder Enkel davon betroffen wären, überzeugt viele.

Über eine Rückkehr zur Wehrpflicht wird allerdings nicht öffentlich debattiert; dies scheint auch nicht realistisch. Schultz selbst wirbt für einen verpflichtenden Freiwilligendienst, den alle jungen Amerikaner leisten sollten - egal ob in sozialen Bereichen oder beim Umweltschutz. Doch es wäre für die Veteranen - und die US-Gesellschaft - schon viel erreicht, wenn häufiger und ehrlicher über die Arbeitsbedingungen im Militär gesprochen würde.

Insofern können sich alle ein Beispiel am letzten Song nehmen, der auf der National Mall vor dem Kapitol gespielt wird: In "I am not afraid" rappt Eminem darüber, dass er sich nicht davor fürchtet, einen Standpunkt offensiv zu vertreten. Und dass es den Veteranen besser gehen könnte und müsste, das sollten viele Amerikaner offen ansprechen.

Linktipps

  • In diesem Gastbeitrag für die New York Times beschreibt Daniel P. Bolger, Generalleutnant im Ruhestand, die Meinung vieler Veteranen: Die USA haben in den Kriegen im Irak und in Afghanistan viele Fehler gemacht und scheuen die Debatte darüber.
  • Die Washington Post hat auf dieser Übersichtsseite ihre umfangreiche Berichterstattung über das große Konzert gebündelt.
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